Liebe
Liebe ist die mächtigste Kraft, die es im Universum
existiert.
Ein
paar Bemerkungen scheinen mir nötig:
a)
Die Identifizierung von Gott und Liebe ist unumgänglich. Gott IST Liebe. Die Liebe ist demnach eine
geistige Kraft, die die Materie antreibt, aber selbst keine Materie ist
(Aristoteles: Gott als unbeweglicher Beweger).
b)
Die Inversion der Liebe ist die Identifizierung der Liebe mit der Materie; und
nicht der Hass – wie viele irrtümlicherweise glauben. Der Hass kann sich gegen
den Geist sowie gegen die Materie richten. Da der Mensch Materie und Geist
zugleich ist, ergibt es keinen Sinn, Materie oder Geist zu hassen. Letztlich
ist Hass daher nur die Defizienz der Kraft in einem der beiden Elemente und
nicht die ganze Inversion der Liebe.
Die
Liebe weist eine kreisförmige Bewegung auf. Dank der Liebe, die hier Immanent
ist, tritt das Individuum aus sich selbst heraus, folgt einem aufsteigenden Weg
und in seiner Ankunft im Absoluten vereint man sich mit dem ganzen Universum. Hier
die Liebe die das Individuum antreibt ist vor allem Transzendenz. Diese
Auffassung der Liebe findet sich sowohl im griechischen Denken als auch im
christlichen Evangelium und prägt damit die Essentiale der abendländischen
Vorstellungen von der Liebe.
Man kann ihre Natur als „Trinität“
bezeichnen: Auch wenn sie drei Gestaltungen der Entfaltung erfährt, bleibt ihre
Einheit untrennbar. Die Liebe erhält in jedem dieser Gestaltungen ihre
Vollkommenheit. Es hängt von der jeweiligen Gestaltung ab, welche bestimmten
Aspekte oder Merkmale der Liebe stärker als die anderen erscheint. Das
erschwert ihre Analyse.
1. Liebe
als Trennungskraft (Immanenz-, Schöpferkraft): „Erkenne
DICH SELBST“, „Liebe Deinen Nächsten WIE DICH SELBST“.
Die
Liebe ist erstens ein Trennungskraft. Sie verlangt von dem Individuum,
den Spiegel, in dem es sich stier „anglotzt“, bei Seite lässt und stattdessen
beginnt, sich im Spiegel zu betrachten, um sich zu erkennen und anzuerkennen
und so in der Lage zu sein, aus sich heraus zu treten. Hier ist die Immanenz
das am stärksten hervortretende Merkmal und sie erweckt die Schöpferkraft des
Individuums.
Liebe
ist hier die Schöpferkraft, der schöpferische Gott. Das Sein ist in sich selbst
eingeschlossen und nur wegen der immanenten Kraft der Liebe, kann es sich
selbst betrachten und sich dadurch bewusst werden, dass es bestimmte
Fähigkeiten in sich selbst trägt, die auch noch gut sind, und empfindet den
unwiderstehlichen Wunsch, diese Fähigkeiten als Schöpfung nach außen hervorzubringen.
Dieser Wunsch „nach draußen zu gehen“ beruht nicht auf der Liebe zu den anderen
und auch nicht auf der Liebe zur Transzendenz (Liebe zu Gott); denn jeder, der
in sich selbst eingeschlossen ist, kann nur sich selbst sehen – und nicht den
anderen und noch weniger die Transzendenz. Nur wenn der Mensch sich selbst
betrachtend entdeckt, erkennt er seine Fähigkeiten und zwar als gute. Er
beginnt, sich selbst zu lieben (Immanenz kraft) und hat den Wunsch diese
Fähigkeiten, ins Außen zu bringen (Schöpferkraft). Das ist: Potenz in Handlung
zu übertragen.
Die
Inversion der Liebe als immanenter Kraft ist nicht Narzissmus. Narzissmus ist vielmehr
eine täuschende Spiegelung. Das
Individuum ist ja davon überzeugt, dass es außerhalb seiner selbst und seinem
Gefängnis sei. In Wahrheit aber ist es immer noch in seiner eigenen
Geschlossenheit gefangen (sich selbst verfehlendes stieres „Anglotzen“ des
Spiegelbilds im Wasser).
Dieser
Hochmut hat drei Konsequenzen:
a)
Derjenige, der nicht durch die geistige Kraft der Liebe aus sich heraustritt,
sondern geleitet von der Inversion der Liebe, das ist: durch die Liebe allein
zur Materie, kann nie richtig stolz sein auf das, was er schafft, auf das Werk
seiner Schöpferkraft. Er stellt nur Produkte her. Deshalb muss er immer mehr
schöpfen, immer mehr machen, ohne sich auszuruhen. Das ist der Grund warum,
Hochmut und „Hochaktivität“ meistens zusammen erscheinen. Ein spanisches
Sprichwort sagt: „El diablo corriendo detrás de su cola” - “Der Teufel rennt seinem
Schwanz nach.“
b)
Derjenige, der nicht das Gute, jene geistige Kraft der Liebe, die er in sich trägt,
sieht, kann auch nicht den Geist der Welt lieben. Die Kraft, die von der Liebe
zur Materie geleitet ist, erschöpft im bloßen Produzieren. Die Liebe kann sich
nicht weiter entwickeln und stirbt.
Deshalb
ist Vorsicht gegenüber allen pseudoreligiösen und pseudowissenschaftlichen
Theorien geboten, die vom Individuum verlangen, dass er sein Ich von seinem Ego
trenne. Solche Theorien behaupten, dass der Mensch sein Ego töten, umbringen
solle. Wer so spricht, verlangt, die Schöpferkraft des Menschen zu zerstören. Der
Psychoanalytiker Jung meint, dass jeder den Dämon, den er in sich trägt,
umarmen solle. Jung hat Recht: Die schöpferische Kraft hat eine dämonische
(demiurgische) Seite, die mit der Bewegung, die die Liebe hervorbringt,
entsteht. In der Tat: Das Übergehen von der Potenz zur Handlung bedeutet nicht
nur Schöpfung, sondern auch die Aufgabe der Vollkommenheit. Statt das Ego
umzubringen, soll der Mensch lernen, die Leidenschaften zu kontrollieren und
gut zu führen.
c)
Wenn der Mensch schöpft, so ist er Ebenbild des Schöpfer-Gottes, der
gleichfalls aus sich selbst heraustrat, als Er die Welt schuf (Schelling). Wenn
der Mensch selbst mit seiner geistigen Kraft schöpft, so strebt er an, dass
seine Schöpfungen das Gute, das Schöne, die Wahrheit und das Gerecht in sich tragen
(Platon). Wie Kandinsky treffend sagt, wahre Kunst ist mit der Kraft des Geistes
geschöpft und nicht mit der Kraft des Marketings.
2. Liebe
als Richtungskraft (Kraft zum Aufbauen): „nihil a me alienum puto“,
Nächstenliebe
Zweitens
ist die Liebe eine aufsteigende Richtungskraft.
Hierzu gehört die Nächstenliebe und die Liebe zum Aufbau. Das Individuum hat
sich selbst und das, was in ihm steckt, entdeckt - und es hat das geliebt. Dank
der Kraft der immanenten Liebe empfindet es den unwiderstehlichen Wunsch, dasjenige,
was in der Potenz ruht, nach Außen, zum Licht zu bringen - Potenz in Handlung
übertragend. Das Individuum wird dadurch zum Schöpfer.
Genau
in diesem Prozess, entdeckt das Individuum den Anderen und betrachtet ihn als
sein Gleicher. Diese Liebe ist keine Schöpferkraft mehr, denn der Schöpfungsakt
findet immer in der personalen Einsamkeit des Individuums statt – Schöpfung ist
ein absolut-individueller Akt. Liebe als Richtungskraft bedeutet Liebe zum Aufbau.
Aufbau impliziert einen sozialen Akt zusammen mit Anderen. Dieser Aufbau folgt einem
bestimmten Modell, das ist: eine bestimmte Richtung. Der Aufbau einer Familie,
einer Gemeinde, einer Gesellschaft, einer Kultur, einer Zivilisation – all dies
ist nur möglich, wenn Liebe als Richtungskraft, die eine Kraft zum Aufbauen
ist, existiert. Hier erscheint und findet statt, was wir unter „Menschsein“ verstehen.
Das kann – genau wie die Schöpferkraft - verschiedene Modelle annehmen. Wichtig
ist: Was hier aufgebaut wird ist das konkrete und tangible Leben im Hier und
Jetzt: Sitten, moralische Prinzipien, Gesetze, Staats- und Regierungsformen,
Wissenschaft, Literatur, Wirtschaft.
Das ursprünglichste Beispiel der Nächstenliebe mit
ihrer starken Kraft zum Aufbauen ist die Liebe zwischen zwei Menschen. Sie
symbolisiert die Einheit zwischen Geist und Materie: also das, was den Menschen
ausmacht. Es gibt zwei Möglichkeiten, dass
diese Liebe zwischen Menschen unvollkommen und deshalb unbefriedigend ist:
a)
Wenn die Liebe zwischen zwei Menschen nur „geistlich“
ist – wie die platonische Liebe. Hier ist die Liebe unvollkommen; denn der
Körper kann in diesem Zusammensein nicht teilhaben.
b)
Wenn die Liebe nur körperliche ist, ist sie
zur Auslöschung verurteilt, weil der Körper immer begrenzt ist. Nur in der
Einheit von Materie und Geist ist die Liebe zwischen zwei Menschen vollkommen.
Die
Liebe zwischen zwei Menschen ist immer fordernd und anspruchsvoll. Nur wer das Gute,
das er in sich selbst trägt, entdeckt hat, ist auch in der Lage das Gute in den
anderen zu entdecken und zu akzeptieren. Schwierig ist die Tatsache zu
verstehen, dass, auch wenn beide Menschen eine gleiche Natur besitzen, deren
Ausdruck doch so verschieden ist.
Das
Kind öffnet auch die Tür zur letzten Entfaltung der Liebe – zur Transzendenz.
Es gibt aktuell zwei ernste Probleme betreffend
das Konzept „Liebespaar“, die wir angehen müssen.
Das erste ist die Erwartung einer
Vollkommenheit in der Paarliebe, die die menschliche Natur übertrifft. Durch
den sexuellen Akt wird eine materielle wie geistige Ekstase angestrebt, die
gleichsam den Stellenwert des Absoluten einnimmt. Die wirklichen Möglichkeiten
des Menschen entfliehen dadurch. Das führt das Individuum entweder zu einer
febrilen und verzweifelten Suche nach der vollkommenen Liebe oder in einen depressiven
und hoffnungslosen Zustand.
Das zweiten ist die Überzeugung, wonach das
Individuum nur existiert, wenn es gesehen (und anerkannt) wird. So fällt das
Individuum in einem unsinnigen und törichten Wettlauf, damit der andere es
sieht und anerkennt, damit es – das Individuum – als solche „geboren“ und
existieren kann (und darf). So etwas kann man nicht Liebe nennen. Es ist noch
nicht einmal Egoismus. Es ist vielmehr die Folge der tiefen Unwissenheit, die
das Individuum über sich selbst, über den anderen und über die Kraft der Liebe
hat. Ein solches Individuum ist vom Lärm des Außen geweckt und in die Welt
hinausgegangen, ohne sich zuvor die Zeit genommen zu haben, sich selbst zu
entdecken. Deshalb sucht es, verlangt es sogar, dass der andere diese Aufgabe
für es übernimmt.
Die
Inversion der Liebe besteht zum einen darin, den anderen als Mittel zu
benutzen. Hier
wird kein Paar, keine Gemeinde, keine Gesellschaft, keine Kultur, keine
Zivilisation aufgebaut, sondern nur ein System, das effizient und effektiv sein
soll. Die Inversion der Liebe impliziert zum anderen die
Liebe zur Macht, zu sozialem Ruhm und Status. Kurz: die absteigenden
Kräfte, mit denen der Teufel Jesus in der Wüste verführt hat. Drittens besteht die Inversion der Liebe in der Versuchung
hier und jetzt das Absolute zu erreichen.
3. Liebe
als Zusammenhaltkraft (Kohäsionskraft): „Du
sollst den Herren, deinen Gott lieben“.
Die
immanente Kraft der Liebe macht aus dem Individuum einen Schöpfer. Trotzdem
sieht es, dass alles, was es schafft, immer ungenügend und begrenzt ist.
Zusammen mit anderen fängt es an aufzubauen. Sie bauen immer großer, ohne sich
zufrieden zu geben. Der Mensch fühlt „Sehnsucht nach mehr“ und strebt danach. Er
erkennt, dass es etwas Größeres als ihn gibt.
Platons Theorie über das Schöne, das Gute, die Wahrheit und die
Gerechtigkeit und über die Erinnerung des Menschen an die Welt der Idee zeigt
genau diesen „Sehnsucht nach mehr“: nach der „Vollkommenheit“. Die Zusammenhaltkraft
bewegt im Menschen einen unwiderstehlichen Wunsch nach der Suche der
Vollkommenheit. Damit öffnet er die Tür zur Anerkennung der Existenz der
Transzendenz.
Die Zusammenhaltkraft der Liebe bewegt den Menschen
dazu, dem Aufmerksamkeit zu schenken und das zu bewundern, was besser und
großer als er selbst ist. Das Zittern vor dem Großen ist die Anerkennung dieser
Überlegenheit. Die Zusammenhaltkraft der Liebe zeigt, dass diese Große nicht zu
fürchten ist. Es geht vielmehr darum zu verstehen und zu akzeptieren, dass das
Individuum kein Wesen ist, dass in sich selbst endet, sondern dass das
Individuum transzendent und Teil dieses Großen und Unermesslichen ist. Kurz:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben“. Letztlich meint das die
Notwendigkeit, dass die Zusammenhaltkraft in Bewegung gerät, damit der Mensch
nicht als Einzelner unvollkommen bleibt, sondern Teil des Ganzen wird.
Die
Inversion der Liebe als Zusammenhaltkraft ist daher der Nihilismus.
(Ein Teil dieses Artikels erschien erstmals in MoMo PubTalk am 02.Juli, 2023)
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