Mittwoch, 10. Dezember 2025

Liebe

 

Liebe

Liebe ist die mächtigste Kraft, die es im Universum existiert.

Ein paar Bemerkungen scheinen mir nötig:

a) Die Identifizierung von Gott und Liebe ist unumgänglich.  Gott IST Liebe. Die Liebe ist demnach eine geistige Kraft, die die Materie antreibt, aber selbst keine Materie ist (Aristoteles: Gott als unbeweglicher Beweger).

b) Die Inversion der Liebe ist die Identifizierung der Liebe mit der Materie; und nicht der Hass – wie viele irrtümlicherweise glauben. Der Hass kann sich gegen den Geist sowie gegen die Materie richten. Da der Mensch Materie und Geist zugleich ist, ergibt es keinen Sinn, Materie oder Geist zu hassen. Letztlich ist Hass daher nur die Defizienz der Kraft in einem der beiden Elemente und nicht die ganze Inversion der Liebe.

Die Liebe weist eine kreisförmige Bewegung auf. Dank der Liebe, die hier Immanent ist, tritt das Individuum aus sich selbst heraus, folgt einem aufsteigenden Weg und in seiner Ankunft im Absoluten vereint man sich mit dem ganzen Universum. Hier die Liebe die das Individuum antreibt ist vor allem Transzendenz. Diese Auffassung der Liebe findet sich sowohl im griechischen Denken als auch im christlichen Evangelium und prägt damit die Essentiale der abendländischen Vorstellungen von der Liebe.

Man kann ihre Natur als „Trinität“ bezeichnen: Auch wenn sie drei Gestaltungen der Entfaltung erfährt, bleibt ihre Einheit untrennbar. Die Liebe erhält in jedem dieser Gestaltungen ihre Vollkommenheit. Es hängt von der jeweiligen Gestaltung ab, welche bestimmten Aspekte oder Merkmale der Liebe stärker als die anderen erscheint. Das erschwert ihre Analyse.

Die drei Gestaltungen sind:

1.      Liebe als Trennungskraft (Immanenz-, Schöpferkraft): „Erkenne DICH SELBST“, „Liebe Deinen Nächsten WIE DICH SELBST“.

Die Liebe ist erstens ein Trennungskraft. Sie verlangt von dem Individuum, den Spiegel, in dem es sich stier „anglotzt“, bei Seite lässt und stattdessen beginnt, sich im Spiegel zu betrachten, um sich zu erkennen und anzuerkennen und so in der Lage zu sein, aus sich heraus zu treten. Hier ist die Immanenz das am stärksten hervortretende Merkmal und sie erweckt die Schöpferkraft des Individuums.

Liebe ist hier die Schöpferkraft, der schöpferische Gott. Das Sein ist in sich selbst eingeschlossen und nur wegen der immanenten Kraft der Liebe, kann es sich selbst betrachten und sich dadurch bewusst werden, dass es bestimmte Fähigkeiten in sich selbst trägt, die auch noch gut sind, und empfindet den unwiderstehlichen Wunsch, diese Fähigkeiten als Schöpfung nach außen hervorzubringen. Dieser Wunsch „nach draußen zu gehen“ beruht nicht auf der Liebe zu den anderen und auch nicht auf der Liebe zur Transzendenz (Liebe zu Gott); denn jeder, der in sich selbst eingeschlossen ist, kann nur sich selbst sehen – und nicht den anderen und noch weniger die Transzendenz. Nur wenn der Mensch sich selbst betrachtend entdeckt, erkennt er seine Fähigkeiten und zwar als gute. Er beginnt, sich selbst zu lieben (Immanenz kraft) und hat den Wunsch diese Fähigkeiten, ins Außen zu bringen (Schöpferkraft). Das ist: Potenz in Handlung zu übertragen.

Die Liebe hier ist eine immanente Kraft, die in sich selbst eingeschlossene Ich aus seinem Gefängnis trennt (befreit). Diesen Prozess meint Jesus in den Evangelien, wenn er fordert, „Früchte“ hervorzubringen.

Die Inversion der Liebe als immanenter Kraft ist nicht Narzissmus. Narzissmus ist vielmehr eine täuschende Spiegelung. Das Individuum ist ja davon überzeugt, dass es außerhalb seiner selbst und seinem Gefängnis sei. In Wahrheit aber ist es immer noch in seiner eigenen Geschlossenheit gefangen (sich selbst verfehlendes stieres „Anglotzen“ des Spiegelbilds im Wasser).

Die Inversion der Liebe in der Gestaltung als immanente Trennungskraft ist Hochmut, die Hybris. Daher ist die Symbolfigur nicht Narzissus, sondern Luzifer, der Lichtträger. Anders als Narzissus vermag Luzifer aus sich selbst herauszutreten. Aber die Liebe, die ihn treibt ist nicht Liebe-Geist, sondern Liebe-Materie. Das Licht, das er bringt ist nicht das Licht der Erleuchtung, sondern nur der Schein des Glanzes. Seine Schöpfung bedeutet keine „wahre, gute, schöne, gerechte“ Schöpfung, sondern einfach nur der äußerliche Glanz der Materie.

Dieser Hochmut hat drei Konsequenzen:

a) Derjenige, der nicht durch die geistige Kraft der Liebe aus sich heraustritt, sondern geleitet von der Inversion der Liebe, das ist: durch die Liebe allein zur Materie, kann nie richtig stolz sein auf das, was er schafft, auf das Werk seiner Schöpferkraft. Er stellt nur Produkte her. Deshalb muss er immer mehr schöpfen, immer mehr machen, ohne sich auszuruhen. Das ist der Grund warum, Hochmut und „Hochaktivität“ meistens zusammen erscheinen. Ein spanisches Sprichwort sagt: „El diablo corriendo detrás de su cola” - “Der Teufel rennt seinem Schwanz nach.“

b) Derjenige, der nicht das Gute, jene geistige Kraft der Liebe, die er in sich trägt, sieht, kann auch nicht den Geist der Welt lieben. Die Kraft, die von der Liebe zur Materie geleitet ist, erschöpft im bloßen Produzieren. Die Liebe kann sich nicht weiter entwickeln und stirbt.

Deshalb ist Vorsicht gegenüber allen pseudoreligiösen und pseudowissenschaftlichen Theorien geboten, die vom Individuum verlangen, dass er sein Ich von seinem Ego trenne. Solche Theorien behaupten, dass der Mensch sein Ego töten, umbringen solle. Wer so spricht, verlangt, die Schöpferkraft des Menschen zu zerstören. Der Psychoanalytiker Jung meint, dass jeder den Dämon, den er in sich trägt, umarmen solle. Jung hat Recht: Die schöpferische Kraft hat eine dämonische (demiurgische) Seite, die mit der Bewegung, die die Liebe hervorbringt, entsteht. In der Tat: Das Übergehen von der Potenz zur Handlung bedeutet nicht nur Schöpfung, sondern auch die Aufgabe der Vollkommenheit. Statt das Ego umzubringen, soll der Mensch lernen, die Leidenschaften zu kontrollieren und gut zu führen.

c) Wenn der Mensch schöpft, so ist er Ebenbild des Schöpfer-Gottes, der gleichfalls aus sich selbst heraustrat, als Er die Welt schuf (Schelling). Wenn der Mensch selbst mit seiner geistigen Kraft schöpft, so strebt er an, dass seine Schöpfungen das Gute, das Schöne, die Wahrheit und das Gerecht in sich tragen (Platon). Wie Kandinsky treffend sagt, wahre Kunst ist mit der Kraft des Geistes geschöpft und nicht mit der Kraft des Marketings.

2.      Liebe als Richtungskraft (Kraft zum Aufbauen): „nihil a me alienum puto“, Nächstenliebe

Zweitens ist die Liebe eine aufsteigende Richtungskraft. Hierzu gehört die Nächstenliebe und die Liebe zum Aufbau. Das Individuum hat sich selbst und das, was in ihm steckt, entdeckt - und es hat das geliebt. Dank der Kraft der immanenten Liebe empfindet es den unwiderstehlichen Wunsch, dasjenige, was in der Potenz ruht, nach Außen, zum Licht zu bringen - Potenz in Handlung übertragend. Das Individuum wird dadurch zum Schöpfer.

Genau in diesem Prozess, entdeckt das Individuum den Anderen und betrachtet ihn als sein Gleicher. Diese Liebe ist keine Schöpferkraft mehr, denn der Schöpfungsakt findet immer in der personalen Einsamkeit des Individuums statt – Schöpfung ist ein absolut-individueller Akt. Liebe als Richtungskraft bedeutet Liebe zum Aufbau. Aufbau impliziert einen sozialen Akt zusammen mit Anderen. Dieser Aufbau folgt einem bestimmten Modell, das ist: eine bestimmte Richtung. Der Aufbau einer Familie, einer Gemeinde, einer Gesellschaft, einer Kultur, einer Zivilisation – all dies ist nur möglich, wenn Liebe als Richtungskraft, die eine Kraft zum Aufbauen ist, existiert. Hier erscheint und findet statt, was wir unter „Menschsein“ verstehen. Das kann – genau wie die Schöpferkraft - verschiedene Modelle annehmen. Wichtig ist: Was hier aufgebaut wird ist das konkrete und tangible Leben im Hier und Jetzt: Sitten, moralische Prinzipien, Gesetze, Staats- und Regierungsformen, Wissenschaft, Literatur, Wirtschaft.

Das ursprünglichste Beispiel der Nächstenliebe mit ihrer starken Kraft zum Aufbauen ist die Liebe zwischen zwei Menschen. Sie symbolisiert die Einheit zwischen Geist und Materie: also das, was den Menschen ausmacht. Es gibt zwei Möglichkeiten, dass diese Liebe zwischen Menschen unvollkommen und deshalb unbefriedigend ist:

a)      Wenn die Liebe zwischen zwei Menschen nur „geistlich“ ist – wie die platonische Liebe. Hier ist die Liebe unvollkommen; denn der Körper kann in diesem Zusammensein nicht teilhaben.

 

b)      Wenn die Liebe nur körperliche ist, ist sie zur Auslöschung verurteilt, weil der Körper immer begrenzt ist. Nur in der Einheit von Materie und Geist ist die Liebe zwischen zwei Menschen vollkommen.

Die Liebe zwischen zwei Menschen ist immer fordernd und anspruchsvoll. Nur wer das Gute, das er in sich selbst trägt, entdeckt hat, ist auch in der Lage das Gute in den anderen zu entdecken und zu akzeptieren. Schwierig ist die Tatsache zu verstehen, dass, auch wenn beide Menschen eine gleiche Natur besitzen, deren Ausdruck doch so verschieden ist.

Es ist in dem gemeinsamen Kind, in dem sie beide entdecken, dass es etwas Gemeinsames – eine Synthesis – gibt. Durch ihr Kind entdecken die Eltern, dass es einen Weg in Richtung Ewigkeit und Transzendenz gibt. Ihnen wird bewusst, dass eine Zukunft zum Aufbauen existiert, und dass sie dafür und folglich auch für die Zukunft verantwortlich sind.

Das Kind öffnet auch die Tür zur letzten Entfaltung der Liebe – zur Transzendenz.

Es gibt aktuell zwei ernste Probleme betreffend das Konzept „Liebespaar“, die wir angehen müssen.

Das erste ist die Erwartung einer Vollkommenheit in der Paarliebe, die die menschliche Natur übertrifft. Durch den sexuellen Akt wird eine materielle wie geistige Ekstase angestrebt, die gleichsam den Stellenwert des Absoluten einnimmt. Die wirklichen Möglichkeiten des Menschen entfliehen dadurch. Das führt das Individuum entweder zu einer febrilen und verzweifelten Suche nach der vollkommenen Liebe oder in einen depressiven und hoffnungslosen Zustand.

Das zweiten ist die Überzeugung, wonach das Individuum nur existiert, wenn es gesehen (und anerkannt) wird. So fällt das Individuum in einem unsinnigen und törichten Wettlauf, damit der andere es sieht und anerkennt, damit es – das Individuum – als solche „geboren“ und existieren kann (und darf). So etwas kann man nicht Liebe nennen. Es ist noch nicht einmal Egoismus. Es ist vielmehr die Folge der tiefen Unwissenheit, die das Individuum über sich selbst, über den anderen und über die Kraft der Liebe hat. Ein solches Individuum ist vom Lärm des Außen geweckt und in die Welt hinausgegangen, ohne sich zuvor die Zeit genommen zu haben, sich selbst zu entdecken. Deshalb sucht es, verlangt es sogar, dass der andere diese Aufgabe für es übernimmt.

Die Inversion der Liebe besteht zum einen darin, den anderen als Mittel zu benutzen. Hier wird kein Paar, keine Gemeinde, keine Gesellschaft, keine Kultur, keine Zivilisation aufgebaut, sondern nur ein System, das effizient und effektiv sein soll. Die Inversion der Liebe impliziert zum anderen die Liebe zur Macht, zu sozialem Ruhm und Status. Kurz: die absteigenden Kräfte, mit denen der Teufel Jesus in der Wüste verführt hat. Drittens besteht die Inversion der Liebe in der Versuchung hier und jetzt das Absolute zu erreichen.

3.      Liebe als Zusammenhaltkraft (Kohäsionskraft):  „Du sollst den Herren, deinen Gott lieben“.

Hier verbinden sich die Immanenz mit der Transzendenz, der Eine mit dem Anderen, der Singular mit dem Plural.

Die immanente Kraft der Liebe macht aus dem Individuum einen Schöpfer. Trotzdem sieht es, dass alles, was es schafft, immer ungenügend und begrenzt ist. Zusammen mit anderen fängt es an aufzubauen. Sie bauen immer großer, ohne sich zufrieden zu geben. Der Mensch fühlt „Sehnsucht nach mehr“ und strebt danach. Er erkennt, dass es etwas Größeres als ihn gibt.  Platons Theorie über das Schöne, das Gute, die Wahrheit und die Gerechtigkeit und über die Erinnerung des Menschen an die Welt der Idee zeigt genau diesen „Sehnsucht nach mehr“: nach der „Vollkommenheit“. Die Zusammenhaltkraft bewegt im Menschen einen unwiderstehlichen Wunsch nach der Suche der Vollkommenheit. Damit öffnet er die Tür zur Anerkennung der Existenz der Transzendenz.

Hier findet er die aufsteigende Richtung nach dem Absoluten. Folgt er dieser Richtung, fühlt er den Zusammenhang, die Verbindung, die Konnexion zwischen ihm und dem Ganzen. In diesem Moment der Entfaltung erscheinen die drei Aspekte der Liebe zusammen: Immanenz oder Schöpferkraft, Aufbaukraft oder Nächstenliebe und Zusammenhaltkraft, die eine transzendente Kraft ist, werden Eins. Der Mensch tritt aus sich selbst heraus, er schöpft, er baut auf - und entdeckt schließlich den unwiderstehlichen Wunsch, sich mit dem Absolut zu vereinen. (In einigen Religionen verschmilzt das Individuum mit dem Absoluten).

Die Zusammenhaltkraft der Liebe bewegt den Menschen dazu, dem Aufmerksamkeit zu schenken und das zu bewundern, was besser und großer als er selbst ist. Das Zittern vor dem Großen ist die Anerkennung dieser Überlegenheit. Die Zusammenhaltkraft der Liebe zeigt, dass diese Große nicht zu fürchten ist. Es geht vielmehr darum zu verstehen und zu akzeptieren, dass das Individuum kein Wesen ist, dass in sich selbst endet, sondern dass das Individuum transzendent und Teil dieses Großen und Unermesslichen ist. Kurz: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben“. Letztlich meint das die Notwendigkeit, dass die Zusammenhaltkraft in Bewegung gerät, damit der Mensch nicht als Einzelner unvollkommen bleibt, sondern Teil des Ganzen wird.

Die Inversion der Liebe als Zusammenhaltkraft ist daher der Nihilismus.

 Isabel Viñado Gascón

(Ein Teil dieses Artikels erschien erstmals in MoMo PubTalk am 02.Juli, 2023)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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