Dienstag, 9. Dezember 2025

Heldentum

 

Wie wir alle wissen, ist der Held in der griechischen Mythologie ein Hybrid von Gott und Mensch.  Nietzsche versteht den Begriff des Helden als die Möglichkeit an zwei Welte teilzunehmen, ohne in einer von beiden ganz aufzugehen. Nietzsche bezeichnet bekanntlich diese Welten als apollinisch und dionysisch. Jedoch bedeutet zwischen zwei Welten zu sein, keiner anzugehören. Das heißt: entwurzelt, ein „Johann ohne Land“ zu sein.

Die Bedeutung des Helden lag darin, der Träger der Hoffnung für eine Gruppe, für die Gesellschaft, für die Welt zu sein. Die Kehrseite der Münze ist die Figur des Märtyrers, der Mensch der für eine Sache stirbt.

Vielleicht waren diese zwei Probleme Nietzche bewusst: Entwurzelung des Helden und die Gefahr des Märtyrertums. Vielleicht war dies der Grund, warum er die Figur des Helden Prometheus die in seinem ersten Werk „Die Geburt der Tragödie“ erscheint, in seinem zweiten Buch „Vorteil und Nachteil der Historie für das Leben“ aufgegeben und durch die Figur der Jugend ersetzt wurde. Nach Nietzsche ist es die Jugend die Hoffnungsträger der Gesellschaft. Die Jugend, sagt Nietzsche ist die Einzige, die wegen ihrer Ehrlichkeit die Gesellschaft von ihrer Dekadenz retten kann.

Leider löst Nietzsche damit nicht das Problem des Heldentums. Der einzige Unterschied besteht darin, dass er den individuellen und einsamen Held, - Prometheus -, in einen kollektiven Held, - die Jugend -, umgewandelt hat. Uns allen ist bewusst, wozu eine Gesellschaft einen kollektiven Helden benötigt. Wenn wir gerade festgestellt haben, dass der individuelle Held ein Märtyrer werden kann, so können wir jetzt festhalten, dass ein kollektiver Held ein Opfer sein könnte, das für eine Sache stirbt, ohne Wurzeln in der vorherigen Generation zu finden, um wenigstens dort eine Unterstützung zu haben. Der Held, individuell oder kollektiv betrachtet, ist immer entwurzelt und in der Gefahr.

In „Die Geburt der Tragödie“ stellt Nietzsche Prometheus als Held im Gegensatz zu Adam – der listiger, sagt Nietzsche. Meiner Meinung nach, wäre es angemessener Prometheus Herkules gegenüber zu stellen. Hier ein Prometheus -der den Göttern gegenüber ungehorsam ist, und ihnen das Feuer stiehlt, um den Menschen zu helfen; dort ein Herkules, den Göttern gehorsame Held, die zwölf Aufgaben ausführt, die ihm aufgetragen sind. Die Schmerzen, die die beide aus verschiedenen Gründen ertragen müssen, sind heftig. Allerdings erhält Herkules, der Gehorsame, nur dank Heras Mitgefühl die Unsterblichkeit.

Wir stellen fest, dass das Schicksal des Helden, der frei und unabhängig handelt, nicht dasselbe ist wie das des Helden, der die Befehle der Götter befolgt.

Diese Botschaft ist vielleicht diejenige, die jede Diktatur aussendet. Im Fernsehen und auch auf den Werben monitoren in der U-Bahn sieht man Menschen, die Helden sind, weil sie ihre Aufgaben im Beruf erfüllen. Die Erfüllung der Aufgabe ist ihr Schicksal und ihr Beitrag zum Schicksal der Nation. Selbst wenn sie kleine technische Pannen beheben sind sie heroisiert dargestellt.

Das ist der Grund, warum keine Diktatur (egal welche Art von Diktatur) schaffen kann, was sie eigentlich verfolgt: eine Gesellschaft der Helden. Was die Diktaturen stattdessen schaffen sind entweder narzisstischen Systemen (kollektiver Narzissmus, wie nationale Größe) – wo jeder sich selbst als Helden sieht, weil wenn er einem alltäglichen Problem löst, davon überzeugt ist, dass er damit zur Größe der Nation beiträgt – oder in einem waghalsigen und todesmutigen Kommando, bereit ist, für die Große der Nation zu sterben.

Hier möchte ich an zwei Gedankengänge erinnern:

1.      Wie Brecht in einer seiner Gedichte geschrieben hat: ein Toter ist ein Toter und riecht schlecht.

2.      Wie die Helden - die frei und alleine kämpfen für das, dass sie als wesentlich und essentiell betrachten - sagen: Jeder Mensch wird sterben; entscheidend ist aber, wofür er stirbt.

Held-sein bedeutet keinen Titel, kein Amt. Held-sein ist weder eine Pflicht noch eine Verantwortung; noch viel weniger bedeutet Held-sein ein Schicksal.

Held-sein bedeutet, aus einer freien und fundamentalen persönlichen Überzeugung heraus zu handeln, frei von Gefühlsduseleien Manipulationen und propagandistischen Narrativen.

In Zeiten wie unserer, in denen ein auf sich gestellter Mensch kaum überleben kann vermag ich nicht daran zu glauben, dass Helden existieren können. Es gibt aber Menschen, die sich dafür entscheiden für eine Sache zu kämpfen und sogar zu sterben, unabhängig davon, ob sie von einer Gruppe, einem Narrativ, eine Ideologie manipuliert sind oder nicht. Ob jemand ein Held oder eher ein verführter Mensch ist, entscheiden die Götter. Das heißt: die Mächtigen.

Isabel Viñado Gascón

 (Dieser Artikel erschien erstmals in MoMo PubTalk am 28.04.2024)

 

 

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