Dienstag, 9. Dezember 2025

Frieden und Gewaltbereitschaft

 

Ich möchte vier Werke vorschlagen: „Defensor Pacis“ (Verteidigung des Friedens) (1324) von Marsilius von Padua; „Discours de la servitude volontaire“, von Étienne de la Boétie, (15747 1576); „Der Leviathan“ (1651) von Hobbes; „Zum Ewigen Frieden“ (1795) von mmanuel Kant.

Alle diese Autoren thematisieren die Voraussetzungen für Frieden. De La Boétie fragt sich, warum es Menschen gibt, die freiwillig die Knechtschaft akzeptieren. Er antwortet: weil sie sich irren. Menschen, die freiwillig gehorchen, sind alle davon überzeugt, keine andere Möglichkeit zu haben. Die Wahrheit aber ist, dass ohne die „Kollaboration“, sei diese passiv oder aktiv, sich keine Macht halten kann.

Wenn die meisten Menschen den Frieden verfolgen, stellt sich die Frage, wann sie für die Gewalt bereit sind.

Eine erste Antwort würde lauten: Selbstverteidigung. Sie ist gegeben, wenn die eigene Sicherheit und Freiheit in Gefahr sind. Die meisten Menschen würden darunter auch die Sicherheit und Freiheit von denjenigen verstehen, die ihnen am nächsten stehen.

Damit ist nicht alles geklärt. Wichtig ist zu wissen, was Sicherheit und Freiheit bedeuten. Im Prinzip sieht so aus, dass Gewalt zu üben, mehr Unsicherheit mit sich bringt. Fast jeder wird verstehen, dass ein Mensch, der nicht kämpft, weniger bedroht von Tod oder Gefängnis ist.

Es ist in solchen extremen Situationen, wenn die Begriffe „Sicherheit“ und „Freiheit“ ihren tiefsten und wahren Inhalt und Bedeutung zeigen.

Erstens: In Situationen, in denen die Menschen von anderen Tieren angegriffen werden, verschwindet die Dichotomie Sicherheit/Freiheit. Der Begriff „Sicherheit“ wird das erste Ziel werden.

Wenn die Menschen dagegen von anderen Menschen angegriffen werden, verschwindet die Dichotomie Sicherheit/Freiheit ebenfalls. Aber: Der Begriff „Freiheit“ wird jetzt das erste Ziel werden.

Zweitens: In Situationen, in denen die Menschen von anderen Tieren oder von anderen Menschen angegriffen werden, wird man nicht mehr für abstrakte Begriffe kämpfen, und auch nicht für „Perspektiven“. Man kämpft für gänzlich Konkretes. Nicht für das Leben, sondern für „mein“ Leben, „meine Familie“, „mein Rudel“; nicht für das Vaterland, sondern für „mein Haus“, „mein Grundstuck“, „meine Heimat“.

Warum wird die Freiheit das erste Ziel bei einem Angriff zwischen Menschen?

Nicht weil die Freiheit ein erstes Axiom ist, sondern weil die Freiheit das Instrument ist, das die Entwicklung, Ausbildung und Leistung dessen ermöglicht, was aus einem Lebenswesen einen Menschen macht: das Denken. Das radikale Denken. Das heißt: nicht das Denken als Verstand oder als kognitive Fähigkeit, sondern das Denken als existenzielle Vernunft, was sowohl die kognitive Fähigkeit wie den emotionalen und existenzialen Aspekt umfasst. Das heißt: kein fremdes Dogma als Grenze, als Barriere, für dieses radikale Denken. In der Praxis drückt sich dieses Denken in und durch freie Meinungsäußerung aus.

Das ist der Grund, warum die Tyrannen Bücher verbrennen. Es sind nicht die Seiten aus Papier, die sie verbrennen, sondern das Denken, das in diesen Seiten enthalten ist.

In Friedenszeiten ist das Denken abgesichert, so dass die Menschen nicht viel darauf achten. Es scheint dann, als ob die Sicherheit das Wichtigste wäre, um diese Frieden erhalten zu können.

In Diktaturen ist Frieden dagegen nur einen Schein, weil nur Gewalt und Unterdrückung diesen „Frieden“, nämlich die herrschende Ordnung, absichern. Entweder revoltieren die Menschen oder sie gewöhnen sich an die Knechtschaft und leben damit friedlich, weil sie nichts etwas anderes kennen. Für diese Menschen würde Freiheit ein Synonym für Unordnung, Chaos sein.

Wenn eine Gruppe von Menschen von anderen Menschen angegriffen wird, ganz gleich auf welche Art und Weise, werden alle Menschen, die angegriffen worden sind in ihrem tiefsten Inneren als Mensch konfrontiert. Sie müssen sich fragen, „wofür“ die Freiheit und das Leben, für die sie zu kämpfen und in letzte Konsequenz zu streben bereit sind.

Ich würde sagen: für das Menschlichste, was es gibt: das radikale Denken. Dafür das Menschenleben. Dafür die Menschenfreiheit.

Isabel Viñado Gascón

 (Dieser Artikel erschien erstmals in MoMo PubTalk am 27.03:2022)

 

 

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.