Montag, 8. Dezember 2025

Eigentum

 

Ein Aspekt, der in der Regel übersehen wird, wenn man den Begriff Eigentum analysiert, ist der etymologische: Meiner Meinung nach, - ist es aber genau hier, wo sich die wahre Natur des Eigentums findet.

 Eigentum“ - auf Deutch, „eigendom“ - auf Niederländisch; „propiedad“ - auf Spanisch, „propieté“ auf Französisch und „property“ - auf Englisch. Diese wenigen Beispiele zeigen: Dem Begrifft „Eigentum“ inhärent ist die Idee, dass „Eigentum“ etwas Natürliches und in Bezug auf uns Wesentliches ist.

Wenn man auf Deutsch die Ähnlichkeit zwischen Eigentum und Eigenschaft nicht verneinen kann, so ist in den romanischen Sprachen, das Wort für beide Begriffe eine und dasselbe: „Propiedades“. So wie die Mineralien und andere Wesen, eigene „Eigenschaften“ („propiedades“) haben, die sie wesentlich definieren, haben die Menschen auch materielle Eigenschaften, die sie „Eigentum“ nennen, die auch natürlich zu ihnen selbst sind.

Etymologisch gesehen impliziert Eigentum, dass es etwas von uns, Untrennbares ist.

Sehr wahrscheinlich hatte Aristoteles diese Idee im Blick als er in der Nikomachischen Ethik“ meinte, dass es notwendig ist, Eigentum zu haben, bevor man mit dem Denken anfangen kann; dass das Eigentum das eigene Überleben – das ist: das eigene Sicherheit, und in Konsequenz auch die notwendige Freiheit – erst erlaubt.  

In der Antike sieht sich der Mensch als Teil des Makrokosmos. Die Familie ist der Mikrokosmos, dessen Dominus er ist. Der Dominus hat Macht über das Leben und dem Tod seiner Kinder und Sklaven. Aber anders als im 19. Jahrhundert werden Kinder und Sklaven als Eigentum und nicht als „Ausbeutung des anderen“ betrachtet, so dass es eine ganze Reihe von Gesetzen gibt, die bestimmen, wie sie zu behandeln sind und wie Kinder und Sklaven die Mündigkeit – das heißt: die Freiheit – erlangen.

Was die Frau betrifft, sind die Begriffe Frau und Eigentum historisch miteinander verbunden. Eine Frau ist in der Lage Eigentum zu haben oder nicht, je nachdem, welche andere Eigenschaften sie besitzen darf, nach ihrer metaphysischen Betrachtung des historischen Momentes in dem sie lebt. In historischen Phasen, in denen sie keine Seele besitzt, darf sie auch kein Eigentum besitzen.

Da der Mensch Leib und Seele ist, sind materielles Eigentum und geistige Eigenschaften untrennbar miteinander verbunden. Daher geht die Ausübung von Tugenden Hand in Hand mit der Ausübung von Eigentum (und nicht nur mit der Ausübung von Eigenschaften). Durch die richtige Entwicklung seiner Haupt- und Nebentugenden verwaltet ein guter Dominus folglich seine Eigenschaften und sein Eigentum richtig. Ein Dominus muss über die positive Ausübung seiner Tugenden wachen und darf sich nicht auf dem Weg verirren und nicht zulassen, dass entweder schlechte „Qualitäten“ ihn seiner eigenen Eigenschaft und sein Eigentum verlustig gehen, an schlechte Ratgeber und Usurpatoren.

So wie er mit seinen Tugenden seine Eigenschaften wacht, muss er auch über sein Eigentum wachen. Es ist gerade der Geist, der in der Etymologie des Wortes enthalten ist, was erklärt, warum ein Individuum sein Eigentum auch mit Gewalt verteidigen kann. Es darf das, weil Eigentum etwas ist, das - genau wie unsere Eigenschaften -, ihm auf natürliche Weise gehört, was uns als Mensch definiert. Je nachdem wie wir unsere Tugenden und Anstrengung ausüben, darf man mit Gewalt verteidigen: Freiheit und Würde; Eigenschaften und Eigentum.

Und so wie durch die Tugenden die Eigenschaften entwickeln und verbessern können und ohne die Tugenden die Eigenschaften aufgegeben und verdorben werden, wird durch die Tugenden das Eigentum gut gepflegt und vermehrt werden, und ohne sie wird das Eigentum vernachlässigt werden und verloren gehen. Das ist es, was Gogol in seinem Werk „Tote Seelen“ zeigt. Es geht nicht darum, viel Eigentum zu haben, sondern darum, es gut zu verwalten. Die Charaktere des ersten Teils des Werkes haben etwas Gemeinsames. Sie alle haben die meisten ihrer Tugenden vernachlässigt. Das hat Verwahrlosung zu Folge - das maßlose Wachstum des Unkrauts sowohl bei ihren Eigenschaften als auch bei ihrem Eigentum.

Die positive Figur in Gogols Werk ist jemand, der sich um seine spirituellen Eigenschaften ebenso kümmert wie um sein materielles Eigentum: durch die Ausübung der Haupt- und Nebentugenden. Deshalb kann man aus Gogols Werk herleiten, dass das Land nicht für den, der es bearbeitet, sondern für den, der es bewirtschaftet. Unmündigkeit oder Mündigkeit, sind aufs Engste verbunden mit der Entwicklung der eigenen Eigenschaften und des Eigentums. Man kann sowohl das Materielle Eigentum und die geistlichen Eigenschaften vertuschen und ausnutzen, um die soziale Macht, Ehre und öffentliche Anerkennung zu bekommen, oder man kann beides einsetzen, um die Gesellschaft zu verbessern. 

Das gewonnene Eigentum durch Eroberung wird gleichgesetzt mit den Eigenschaften, die durch Anstrengung erreicht werden. Dagegen haben Worte wie „Besetzung” und “Usurpation” eine absolute negative Bedeutung; sie führen in Bedeutungen wie „Raub“ und „Diebstahl“.

Ein Wort zu Erbschaft: Da nicht jede Eigenschaft von den Eltern vererbt wird, kann man auch nicht verlangen, jedes materielle Gut von ihnen zu erben.

Auf Grund der etymologischen Bedeutung wäre das Verbot des Eigentums auf privater Ebene eine Unmöglichkeit, da es bedeuten würde uns selbst zu verbieten.

Sozial betrachtet ist das Thema des Eigentums komplexer. Ein erster Grund ist die Diversität. In der Gesellschaft interagieren miteinander mehrere Eigentümer - jeder von ihnen mit ihren eigenen verschiedenen Eigentümern und Eigenschaften. Der zweite Grund ist ökonomisch. Während die Akquisitionswünsche grenzenlos sind, sind die Ressourcen begrenzt. Der dritte Grund hat mit der Organisation der Prioritäten zu tun. Wie Jules Vernes in seinem Werk Die Schiffbrüchigen der “Jonathan“, zeigt, würde sogar auf einer einsamen Insel Anarchismus eine Utopie bleiben.

Gleichzeitig und ähnlich wie bei den Individuen, bleiben Eigentum und Tugenden auch auf der gesellschaftlichen Ebene eng verbunden. Eine Gesellschaft kann es sich nur leisten, konsumorientiert zu sein, wenn sie ihre Tugenden im gleichen Verhältnis ausübt. Wenn eine Gesellschaft Tugenden wie Disziplin, kritisches Urteilsvermögen und eine gewisse Stabilität in der Hierarchie ihrer eigenen Prinzipien aufgibt, wird es ihr gleichgültig sein, ob sie materielle oder spirituelle Güter konsumiert. Die Schlussfolgerung wird, dass sie am Ende entweder der materialistischen Barbarei oder der spirituellen Barbarei erliegen wird. 

Die Entwicklung und Ausübung der Grundstücke stellen einen bemerkenswerten Aufwand dar. In diesem Sinne glaube ich, dass Albert Schweitzer recht hat, wenn er in seinem Werk „Kulturphilosophie“ sagt, dass Ethik und Optimismus die notwendigen Haltungen sind um dies zu erreichen.

Meiner Meinung nach sollten vier Bereiche vom Staat geschützt werden: die Justiz, das Bildungswesen, das Gesundheitswesen und der öffentliche Verkehr, und zwar aus dem einfachen Grund, dass es sich nicht um Eigentum im engeren Sinne, sondern um Dienstleistungen der Daseinsvorsorge handelt, und damit um kollektive Güter. Das heißt nicht, dass ich gegen private Dienstleistungen bin. Beide Sphären sollen konkurrieren. Aber das bedeutet nicht, dass, die privaten Dienstleistungen automatisch besser werden, weil privat und nicht öffentlich, wären. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Bürger Steuern bezahlen sollen: damit die Konkurrenz fair wird. In Bezug zu diejenigen, die mehr haben, sollen sie mehr Steuer bezahlen, nicht nur weil sie mehr verdienen, sondern weil sie auch mehr Ressourcen konsumieren (können). Das alles verlangt öffentliche Pluralität und öffentliche Diskussion; Meritokratie statt demagogischen Egalitarismus. Das ist: Freiheit, zusammen mit Ethik und Optimismus, von denen Schweitzer gesprochen hat.

Isabel Viñado 

(Dieser Artikel erschien erstmals in MoMo PubTalk am 12.11.2023)

 

 

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