Alle Krisen sind durch drei gemeinsame Merkmale gekennzeichnet.
Erstens: Jede Krise ist ein Zustand, eine Situation, - geometrisch bezeichnet ist die Krise eine Linie. Diese Eigenschaft unterscheidet eine Krise von einem Schock. Der Schock ist im Gegensatz zu einer Krise ein Moment, ein Punkt. Es ist möglich, dass dieser Moment den Anfang einer Krise bedeutet; genau wie ein Punkt der Beginn eine Linie sein kann. Nicht jeder Schock aber verursacht eine Krise. Das hängt von der Stärke des Schocks, der Stärke des Menschen, der ihm empfängt, und von den Umständen ab.
Zweitens: Jede Krise ist ein Zustand, der durch ein Dilemma gekennzeichnet ist: entweder/oder. Entweder findet man eine Lösung oder nicht. Die Auflösung dieses Dilemmas wird entweder der Krise ein Ende setzen, wenn man die Lösung für das Problem findet (eine Erlösung), oder – falls es keine Lösung gibt oder man keine Lösung findet -, wird sich diese Krise in eine chronische Krise, das ist in eine stationäre/stabile Situation, verwandeln. In diesem Fall bleibt nur die Akzeptanz übrig. Stoizismus als Fassung und Duldung, Hedonismus als Vergessen, Zynismus als maskierte Verzweiflung sind einige mögliche Arten, in denen die Akzeptanz sich ausdrückt.
Drittens: Jede Krise besitzt eine objektive und eine subjektive Seite. Um
eine Krise korrekt überwinden zu können, müssen beide Aspekte berücksichtig werden,
ohne dass einer von beiden über den anderen vorherrscht. Herrscht die objektive
Seite vor, kann es sein, dass der Mensch sein Herz für sich und für die anderen
verliert. Herrscht die subjektive Seite vor, ist es möglich, dass der Mensch,
der unter einer Krise leidet, als Gefangener im Gefängnis des Selbstmitleids verharrt.
Es gibt verschiedene Arten von
Krisen: Wirtschaftskrise, Alterskrise, Existenzkrise, Gesundheitskrise, berufliche
Krise, Karrierekrise, ideologische Krise, religiöse Krise… Die Intensität kann
auch variieren.
Eine Krise kann auch andere Krisen
auslösen. Zum Beispiel: Eine Wirtschaftskrise kann eine Krise in dem
Freundschaftskreis auslosen, eine Beziehungskrise kann eine Existenzkrise
provozieren.
Die Existenzkrise ist eine „radikale
Krise“. Die Auflösung des Dilemmas „entweder/oder“ kann man in diesem Fall als
dramatisch bezeichnen. Entweder findet das Individuum eine Lösung oder die
Krise wird sich in einer chronischen Situation mit schlimmen Konsequenzen
fortsetzen: Das Individuum könnte in eine Depression verfallen oder sogar
Selbstmord begehen. Es ist in der Existenzkrise, wenn der Glaube an Gott oder
an ein transzendentales erstes Axiom (der Mensch) seine Bedeutung hat.
Diejenigen, die an Gott oder an ein transzendentales erstes Axiom glauben,
betrachten das Leben als Geschenk und als Möglichkeit – als eine Wanderung. Im
Allgemeinen zeigen die wahren Gläubige mehr Resilienz in einer Krise.
Neben der Individuellen Krise
existiert auch noch die Gesellschaftskrise. In solchen Situationen
verhält sich die Gesellschaft wie ein Individuum: entweder findet sie eine
Lösung für die Krise (Einführung von bestimmten Reformen in dem System, die
funktionieren), oder die Krise wird zu einer chronischen Situation. Eine
chronische depressive Situation in der Gesellschaft heißt „Stagnation“, Es kann
sogar Selbstmord werden. Selbstmorde einer Gesellschaft sind „Revolution“, „Bürgerkrieg“
oder „Eroberungskrieg“.
Es ist wichtig zu akzeptieren, dass
das Leben immer in der Krise ist, einfach weil das Leben von Anfang an aus diesem
radikalen „Entweder Leben oder Tod“ besteht. Fatalismus ist die Lösung,
die viele anwenden, um eine Krise zu bewältigen. Meiner Meinung nach ist diese
Lösung falsch. Die Menschen und die Gesellschaften sollen verstehen, dass
solange sie am Leben sind, sie ein Sieg über den Tod sind. Dieses „am Leben
sein“ (und nicht nur „am Leben bleiben“) soll, wie Albert Schweitzer sagte,
„optimistisch und ethisch sein“. Fatalismus raubt uns beide Elemente.
Isabel Viñado Gascón.
(Dieser Artikel erschien erstmals in MoMo PubTalk am 16. Februar, 2025)
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