Montag, 8. Dezember 2025

Endlichkeit

 

Das Wort „Endlichkeit“ bezieht sich auf alles, was ein Ende in der Zeit oder eine räumliche Begrenzung hat. Dem Konzept „Endlichkeit“ steht ein entgegengesetztes Konzept gegenüber: „die Unendlichkeit“. Aus der Sicht des Nihilismus, gehört zur Endlichkeit das Leben und zur Unendlichkeit gehört das Nichts. Aus der Sicht des Christentums, ist das Thema komplizierter.

Gott ist das Absolute, ist Unendlichkeit; aber der Mensch kann sich nicht direkt - heutzutage würde man wohl sagen: „automatisch“ - mit dem Absoluten in Verbindung stellen. Auch nach dem Tod gibt es eine Phase der „Reinigung“ bis zum Erreichen jener „mystischen Vereinigung“, die nichts oder wenig mit Ekstase oder mystische Verzückung zu tun hat.

Die verbindende Figur zwischen dem Absoluten (Unendlichkeit) und dem Individuum (Endlichkeit) ist Christus. Christus ist die Unendlichkeit, die endlich geworden ist. Das heißt: die Unendlichkeit (ohne räumliche oder zeitliche Grenzen) ist Geschichte – hier und jetzt- geworden und deshalb auch dem Tod unterworfen.

Als Mensch ist Christus nicht frei von Widersprüchen. So bittet Christus, zum Beispiel, darum „die andere Wange hinzuhalten“ (Matthäus 5:39), aber seine Hand zittert nicht, als er die Kaufleute aus dem Tempel vertreibt. (Matthäus 21:12). Er weist darauf hin, dass das was die rechte Hand weiß, die linke nicht wissen sollte, (Matthäus 6:3) aber er vermehrt das Brot und die Fische vor der Menge. (Matthäus 14:13-21). Er predigt Armut, verwandelt aber Wasser in Wein, (Johannes 2: 1-10,) denn zu einer guten Hochzeit gehört guter Wein und nicht Wasser.

So gesehen ist die christliche Botschaft voller Widersprüche jedes endlichen und konkreten Individuums. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass Christus das Unendlichen, das endlich geworden ist, verkörpert. Daher ist die christliche Botschaft die Ankündigung, dass der Einzelne ein transzendentes Wesen ist. Das heißt, dass er endlich in seiner Individualität ist; deshalb geht er als Individuum und nicht als Volk in Richtung Transzendenz - und noch viel weniger als Herde.

Die Auferstehung Christi ist eine individuelle und einsame Auferstehung, die die Hilfe des unendlichen Absoluten nicht benötigt, um ihn zu retten. Das Individuum aufersteht nur aus dem Vertrauen in seine eigene Transzendenz. Das heißt: in der Transzendenz seiner Werke, die hier und jetzt aufgebaut sind. Das Individuum aufersteht aus dem Vertrauen in die Unendlichkeit seiner eigenen Endlichkeit.

Welcher Begriff verbindet das einsame Individuum mit den anderen? Dieses Konzept ist Liebe.

Das Individuum ist endlich, das bedeutet, dass er die Menschheit nicht lieben kann. Er kann nur den Nächsten lieben. Die Welt ist nicht zu retten. Man kann höchsten sagen: Wer sich retten will, folge mir. Die Liebe zum Nächsten ist keine Pflicht, kein „Muss“. Es ist eine Liebe, die ausschließlich auf individueller Stärker und bewussten Glauben in der Endlichkeit hier und jetzt, die aber diese Endlichkeit transzendiert, beruht.

Die Postmoderne konfrontiert den Menschen mit zwei großen Gefahren:

1.      Die Inversion (Verkehrung, Umkehrung) individueller christlicher Liebe (Nächstenliebe) in kollektive Liebe. Nächstenliebe wird dadurch verdächtig und als narzisstische oder toxische Liebe abgestempelt und im besten Falle als Naivität deklariert. Man wird nur die Liebe zu kollektiven Gruppen akzeptieren, auch wenn jeder weiß, dass jedes Kollektiv und jeder Gruppe einfach nur ein künstliches und funktionales Konstrukt ist.

2.      Postmoderne leugnet die Transzendenz der Endlichkeit; aber um das Hindernis des Nichts überwinden zu können, errichtet die Postmoderne eine Vielzahl von Endlichkeiten: Parallelwelten, multiple Dimensionen, in denen jeder Art von Grenzen, - welche Art auch immer – verabscheut werden. Die Endlichkeit wird ein Labyrinth ohne Grenzen aber gleichzeitig auch ohne Transzendenz, in der die Liebe nur als funktional verstanden und akzeptiert wird. Liebe ist entweder Sex, oder chemische Reaktionen oder Hilfe zu einer Gruppe.

 Meiner Meinung nach, bringt die transzendenzlose Endlichkeit enorme Kopfschmerzen mit sich.

Isabel Viñado

 (Dieser Artikel erschien erstmals in MoMo PubTalk am 27. 11. 2022)

 

 

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