Dieser Roman ist extrem komplex. Huxley ist nicht so sehr an der Handlung
interessiert wie an der Exposition seiner eigenen Überzeugungen, Ängste und
Wünsche in Bezug auf die Gesellschaft. Ihm ist bewusst, dass die Gesellschaft, die er kennt
nicht „die Gesellschaft“, sondern „seine Gesellschaft“ ist. Deshalb bleibt er
dort, wo er hingehört: in den reichen gebildeten englischen Kreisen. Von diesem
sozialen Standpunkt aus schreibt er seine Analyse. Huxley ist kein „enfant
terrible“. Er liebt seine Wurzeln und verzweifelt versucht er sie am Leben zu
halten. Die Zeit läuft ab. Eine Lebensform stirbt, ohne die alten Probleme gelöst
zu haben. Im Gegenteil: Sie haben sich verschlimmert. Die neuen Generationen
müssen sich weiter mit ihnen auseinandersetzen. Der Elfenbeinturm, in dem er
und seine Kreise leben, wird der Brandungswelle nicht widerstehen können.
Werden die neuen Herrscher besser werden? Kaum, denkt Huxley. Herrschen und
Regieren ist nicht mehr eine Sache der Personen, sondern der Kollektive, und
die Kollektive können nicht richtig denken, nicht richtig fühlen. Herrschen und
Regieren ist kein Sandkastenspiel, sondern besteht darin, Probleme zu lösen; und
die Probleme sind zu groß, zu schwierig, zu komplex geworden. Wie jemand einmal
geschrieben hat: Wir würden eigentlich eine Gesellschaft von Helden brauchen.
Die Angst von Huxley und vielen anderen war, dass wir uns eher für eine
Herden-Gesellschaft entscheiden würden.
„Kontrapunkt des Lebens“ behandelt mehrere Themen. Ich werde sie in einer
Reihe von Blogs analysieren:
-
„Kontrapunkt
des Lebens“ (1928) Huxley.
1.
Huxley
und Virginia Woolf: Gesellschaft, Männer und Politik.
-
„Kontrapunkt
des Lebens“ (1928) Huxley.
2.
Huxley
und Virginia Woolf. Frauen: das Verschwinden des Konfliktes zwischen Pflicht,
Befreiung und Hedonismus.
-
„Kontrapunkt
des Lebens“ (1928) Huxley
3.
Huxley
und Virginia Woolf. Die Neuankömmlinge. Nichts Neues in Sicht… vorerst.
-
„Kontrapunkt
des Lebens“ (1928) Huxley
4.
Huxley
und Nietzsche. Aufklärung: Das schwierige Gleichgewicht zwischen Vernunft und
Gefühl.
-
„Kontrapunkt
des Lebens“ (1928) Huxley
5.
Huxley
und die dunkle Kräfte der Romantik. Die
Ära des Nationalismus und der Mystik.
Es dauerte mehrere Monate bis ich diese Reihe von Blogs auf Spanisch abgeschlossen
hatte. Die Aufgabe einer deutschen Übersetzung schien mir zuerst fast unmöglich. Jetzt muss ich zugeben, dass
sie sogar zur Verbesserung des ursprünglichen spanischen Blog beigetragen hat.
Huxley und Virginia Woolf: Gesellschaft, Männer und
Politik
Viele sehen in Aldous Huxley und Virginia Woolf Antagonisten, weil der
erste sich auf den Ideengehalt konzentriert, während die andere stärker auf die
Form achtet. Auch wenn diese Bemerkung richtig ist, so ist auch zu bemerken,
dass das Bild, das sie von der englischen Gesellschaft zeichnen, ziemlich
ähnlich ist. Was nicht sonderbar ist, wenn wir bedenken, dass sich beide
Schriftsteller in denselben elitären und gebildeten Kreisen bewegen. In dem
Roman von Virginia Woolf: „Mrs. Dalloway“ wird sogar der Name des Großvaters
von Aldous Huxley und bekannte Malthusianer, Thomas Huxley als eine der Lieblingslektüren
der Protagonistin zitiert.
Ich habe keine Zweifel daran, dass Virginia Woolf behaupten würde, dass die
Unterschiede zwischen Huxley und ihr auf ihr verschiedenes Geschlecht zurück zu
führen sind. Huxley ist ein Mann. Deshalb schreibt er wie ein Mann und als
solcher behandelt er die Themen, die ihn interessieren. Virginia Woolf dagegen
ist eine Frau und in ihrer literarischen Arbeit will sie unbedingt das Leben
aus der Perspektive einer Frau behandeln.
Ansonsten sind ihre Ähnlichkeiten verblüffend und das schließt auch die
Betrachtung der Frau ein.
Hier die Ausgaben, die ich für meine Blogs benutzt habe:
-
Aldous Huxley „Point Counter
Point“(1928) Vintage Classics, Random House 2004. Auf
Deutsch: “Kontrapunkt des Lebens”
-
Wilkie Collins „The Moonstone“
(1868) Penguin Books, 1994. Auf Deutsch: “Der Monddiamant”
-
Aldous Huxley “Brave New World
Revisited” (1958) HarperCollins, 2006. Auf Deutsch: „Wiedersehen mit der neuen schönen Welt“
-
Aldous Huxley “Brave New World”
(1932) Vintage Classics, Random House 2004. Auf Deutsch: ”Schöne neue Welt”
-
Virginia Woolf “Mrs Dalloway” (1925)
S. Fischer Verlag 2006.
Die Männer der Hohen Gesellschaft
1.
Interesse
Alle Männer, die Huxley und Woolf in ihren Werken beschreiben, gehören zu
alteingesessenen englischen Familien und üben Berufe wie Politik, Kunst oder Medizin
aus. Normalerweise war die Praxis der Politik für den ältesten Sohn vorgesehen
und die Militärkarriere für den zweiten. Aber es war mehr ein Vorschlag als ein
Zwang. Etwas gilt für alle: dass sie zum Leben nicht arbeiten müssen, enthebt
sie nicht von ihrer Pflicht, sich für die Welt zu interessieren. Allerdings
muss man zugeben, dass es schwierig ist, eine Aktivität zu finden, um sich zu
beschäftigen, wenn die materielle Lage abgesichert ist. Es verlangt große
Anstrengungen und die Betroffenen fallen häufig in Verzweiflung.
(„Point Counter Point“ S.35-36) ‘But what are you interested in?’ his father had asked. And the trouble
was that Lord Edward didn’t know. (…) The fourth marquess could not conceal his
anger and disappointment. ‘The boy’s an imbecile,’ he said, and Lord Edward
himself was inclined to agree. He was good for nothing, a failure; the world had
no place for him. There were times when he thought of
suicide.’
Trotz solcher großen Gesten ist – wie Huxley selbst mit seine Figuren zeigt
– dieses Interesse an den eigenen Aktivitäten in den meisten Fällen nur
oberflächlich. Sogar Lord Edward, der endlich in der Medizin seine Berufung
gefunden hat, unterbricht seine wissenschaftlichen Forschungen und rennt ins
Wohnzimmer, um der Musik von Bach zu zuhören, die in diesem Moment für die
Gäste gespielt wird; Philip, Mr. Quarles Sohn und Elinors Ehemann, ist ein
durchschnittlicher Schriftsteller, die mehr Zeit in die Konzeption der künftige
Bücher als in die Schreiberei selbst investiert. Was die politischen Meinungen
des Journalisten Walter Bidlake betrifft, sie alle mangeln an ideologischer
Tiefe. Wie der Butler in dem Buch „Der
Monddiamant“ sagt:
(The Moonstone (1868) Wilkie Collins. Pg.58-59) ‘Gentlefolks in
general have a very awkward rock ahead in life –the rock ahead of their own
idleness. Their lives being, for the most part, passed in looking about them
for something to do, it is curious to see –especially when their tastes are of
what is called the intellectual sort – how often they drift blindfold into some
nasty pursuit’.
2.
Die Politik
Huxleys Roman lässt die Veränderung einer Aktivität – der Politik -
durchblicken, deren Praxis bis zu diesem Moment nur einigen wenigen reserviert
war. Er zeigt die totalitaristischen Tendenzen einiger politischer Parteien
seiner Zeit. Einige wie seine Figur Everard Webley werden solche Ideen hinter
der Fassade der Intellektualität und Intelligenz zu verstecken suchen. Der
britische Schriftsteller wird sich immer gegen solche Ideen äußern. Huxley wird
immer die Demokratie verteidigen, aber ihm ist bewusst, dass sie zu bewahren
nicht einfach ist und nicht einfacher sein wird. Es gibt zwei Risiken, auf die
Huxley insbesondere hinweist:
-
1. Erstens:
Die Entwicklung der Technik ermöglicht bessere Lebensumstände aber verstärkt
auch die Neigung zu einer falschen Konzeption des Hedonismus.
- 2. Zweitens:
Die schädlichen Konsequenzen der Industrialisierung für die Umwelt.
Die katastrophale Folge wäre, nach Huxleys Meinung, die Entstehung eines
totalitären politischen Regimes.
1.
In
der Tat: Die Entwicklung der Technik vermittelt jeder sozialen Schicht Wohlgefühl
und ermöglicht ein bequemeres Leben. Aber sie verursacht auch eine Massengesellschaft,
deren Merkmale die Uniformierung der Sitten und Gedanken und hedonistisches
Verhalten sind. Hedonistisch in dem Sinne, dass Anstrengung nicht mehr der
wichtigste Wert ist, sondern die Suche nach Aktivitäten, die ein unverzügliches
Vergnügen verschaffen. Wörter wie „Lust“ und „Spaß“ bekommen jetzt gleichsam eine
moralische Bedeutung, die sie früher nicht hatten. Gut ist eigentlich nur, was
uns „Spaß“ macht. Alles andere ist „Pflicht“. In dem neuen Wertesystem bringt
die Pflichterfüllung keine Ehre und keine Befriedigung mit sich, sondern vielmehr
nur eine Belastung, eine Kastration der eigenen Fähigkeiten. Auch die Kritik
als Bewertungsinstrument für die Qualität einer Produktion verliert ihre Relevanz
in der Gesellschaft. Sie wird nur als ein Mittel gesehen, um die kreativen
Kräften der Mensch zu behindern. Zum höchsten Axiom wird: Wert ist alles, was
sich gut verkauft.
2.
Das
zweite Risiko ist die Industrialisierung. Bereits 1928 warnt Huxley, dass die politische Krise darin liegt, dass die
Politiker nur an den technologischen Fortschritt denken. Die schädlichen
Konsequenzen, die die Industrialisierung in der Umwelt und in den sozialen
Strukturen verursacht, kümmert sie nicht.
(„Point Counter Point“ Pg. 74/75) ‘Progress!
You politicians are always talking about it. As though it were going to last.
Indefinitely. More motors, more babies, more food, more advertising, more
money, more everything, forever. You ought to take a few lessons in my subject.
Physical biology. Progress, indeed! What do you propose to do about phosphorus,
for example?’
His question was a personal accusation.
‘But all this is entirely beside the point,’ said Webley impatiently.
‘On the contrary’, retorted Lord Edward, ‘it’s the only point.’ (…) ‘With
your intensive agriculture,’ he went on, ‘you’re simply draining the soil of
phosphorus. More than half of one per cent a year. Going clean out of
circulation. And then the way you throw away hundreds of thousands of tons of
phosphorus pentoxide in your sewage systems! (…) ‘You ought to be putting it
back where it came from. On the Land.’
‘But all this has nothing to do with me,’ protested Webley.
‘Then it ought to,’ (…) ‘That’s the trouble with you politicians. You
don’t even think of the important things. Talking about progress and votes and
Bolshevism and every year allowing a million tons of phosphorus pentoxide to
run away into the sea. (…) it’s fiddling while Rome is burning.’
Dreißig Jahre später – im Jahr 1958
- wird Huxley dieses Thema in seinem Essay: „Wiedersehen mit der neuen schönen Welt“ sorgfältig analysieren. Huxley
ist überzeugt, dass die Vorteile der Industrialisierung gleichzeitig ihre
Nachteile sind. Einerseits hat die Industrialisierung das Leben einfacher
gemacht, was zum Wachstum der Geburtenrate führt. Anderseits bedeutet sie die
Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Beide Faktoren zusammen führen zur eine
Steigerung der Bedürfnisse und einem Mangel der Ressourcen, weil sie nicht
unerschöpflich sind. Die Energie und Ernährungsquellen werden immer knapper. Es
entstehen permanente Krisen die radikale und autoritäre Maßnahmen gegenüber der
Bevölkerung erwarten lassen.
(„Brave New World Revisited“Pg.12) ‘And
permanent crisis is what we have to expect in a world in which over-population
is producing a state of things, in which dictatorship under Communist auspices
becomes almost inevitable’.)
Es ist interessant zu bemerken welche Analogien zwischen den Sorgen Huxleys
in „Wiedersehen
mit der neuen schönen Welt“ und der aktuelle Situation bestehen. Ich persönlich bin der Meinung, dass viele
der sogenannten „Verschwörungstheoretiker“ ihre Inspiration und Ängste dort
gefunden haben. Ich empfehle ihnen die Lektüre.
Bis diesem Zeitpunkt war die Politik eine traditionelle Möglichkeit für die
Mitglieder der höchsten Kreise gewesen. Aber für Viele bedeutet sie jetzt keine
akzeptable Entscheidung mehr. Die Politik ist zu komplex geworden. Das
wichtigste Ziel in der Politik ist nicht mehr die Ehre der Elite zu schützen
und zu beweisen, sondern die Industrialisierung der Gesellschaft. Sie ist nicht
mehr Sache der Lords und großen Landbesitzer, sondern der Technokraten. Die
alten Zeiten kommen zu ihrem Ende. Nicht mehr Europa, sondern Amerika ist das
Modell, das alle anstreben, sogar die Bolschewiken – so Huxley. Amerika ist das
Symbol für das neue politische, wirtschaftliche und Wertesystem, das gerade
entsteht und gleichzeitig der Beweis dafür, dass das alte nicht länger nützlich
ist. In der Tat: Neue Lebensformen erscheinen am Horizont wie schwarze Wolken,
die ein starkes Gewitter ankündigen. Nach Huxleys Meinung kann die Politik dem
Bürger keine Lösung anbieten. Die verschiedenen politischen Ideologien
unterscheiden sich nur in der Art und Weise wie sie die Gesellschaft in die Hölle führen werden: Mit öffentlichen
Verkehrsmitteln oder im Privatwagen. Als prioritäres Ziel haben sie alle die
Amerikanisierung und Industrialisierung
der Gesellschaft. Der englische Schriftsteller meint, dass sogar die
Bolschewistische Partei das amerikanische Axiom als Vorbild hat. Der
Unterschied liegt daran, dass in den kommunistischen Regimen die
Verwaltungsbehörden den Trust ersetzen, und die Beamten die Stelle der reichen
Männer bekommen haben. Die Situation in Europa ist genauso. Nur hat hier noch
die Figur des reichen Mannes ihre Stellung bewahrt hat.
Solche Umstände sind für einige inakzeptabel, für andere zu kompliziert, zu
unverständlich, zu irrational und vor allem zu langweilig. Daher beschließen
sie, sich aus dem Thema heraus zu halten. Der vernünftige Mensch macht dasselbe.
Er ist zu der Überzeugung gekommen, dass der ideologische Kampf eigentlich nur
Machtkrieg ist.
(“Point Counter Point” S.390) ‘But
it’s silly, all this political squabbling’ said Rampion (…) ‘Bolscheviks and
Fascists, Radicals and Conservatives, Communists and British Freeman –what the
devil are they all fighting about? I’ll tell you. They’re fighting to decide
whether we shall go to hell by communist express train or capitalist racing
motor car, by individualist ‘bus or collectivist tram running on the rails of
state control. The destination is the same in every case (…) The only point of
difference between them is: How shall we get there? It’s simply impossible for
a man of sense to be interested in such disputes. (…) The question for a man of
sense is: Do we or do we not want to go to hell? And his answer is: No, we
don’t. And if that’s his answer, then he won’t have anything to do with any of
the politicians. Because they all want to land us in hell. All, without
exception. Lenin and Mussolini, MacDonald and Baldwin. (…) They all believe in
industrialism in one form or another, they all believe in Americanisation.
Think of the Bolshevist ideal. America but much more so. America with
government departments taking the place of trusts and state officials instead
of rich men. And the ideal of the rest of Europe. The same thing, only with the
rich men preserved.’
Ein Jahrzehnt später wird die politische Gleichgültigkeit weder für den
bequemen noch für den vernünftigen Mensch ein Zufluchtsort sein können. Wie Franco Battiato Anfang der 80er Jahre
in seinem Lied ‚Die weiße Fahne‘
besingen wird: ‚Wie schwierig ist es, ruhig zu bleiben, gleichgültig, während
alles rundherum laut ist. In dieser Ära der Irre fehlten nur noch die Idioten
des Schreckens‘.
3. Die private Sphäre
a)
Die Doppelmoral
In den Kreisen, in denen Huxley sich bewegt, endet auf jeden Fall die Sphäre
dort, wo er die private berührt. Die private Sphäre ist eigentlich die einzige,
die Huxleys Protagonisten interessiert. Für sie hat das Individuum immer einen
höheren Rang als das Kollektiv. Die Größe eines Mannes hängt von seiner
Fähigkeit ab, sich von der öffentlichen Meinung zu distanzieren und seine
eigene durchzusetzen. Deshalb sind die Künstler so sehr geschätzt. So sehr,
dass man ihnen die Türen ihrer exklusiven Milieus öffnet.
Trotz dieses Strebens nach der Individualität stellt die Heuchelei, Ironie
der Ironie, eines der wichtigsten Merkmale der guten Gesellschaft dar.
So wird zum Beispiel Marjorie – die Geliebte von Walter Bidlake (der Sohn von
John und Jane Bidlake) - nie akzeptiert. Sie ist eine verheiratete Frau, deren
extrem religiöser Mann ihr die Scheidung verweigert. Diese selben Kreise zeigen
aber keine Bedenken, Lucy die promiskuitive Tochter von Lord Edward zu akzeptieren.
Huxley, immer seinem Wurzeln treu, wird diese Doppelmoral relativieren. Er
behauptet, dass die Gründe für die unterschiedliche Behandlung nicht in der sozialen
Stellung, sondern in Marjories schrecklicher Stimme zu suchen ist. Marjories
Stimme - wiederholt Huxley immer wieder - ist unerträglich.
b)
Die Vorliebe für die Reise.
Die wohlhabende Gesellschaft liebt es, die Welt zu entdecken und neue
Kulturen zu beobachten. Europäische Ziele wie Paris und exotische wie Indien
sind ein Teil der Bildung geworden. Die Technologie und der Kolonialismus sind
die beiden Faktoren, die das Reisen ermöglicht haben. Die Überfahrten sind schneller
und bequemer geworden und in den Kolonien schützt das Militär den Komfort der
Reisenden. Reisen ist gesund und empfehlungswert nur wenn der Reisende seiner
eigenen Kultur treu bleibt. Das heißt: Das Unbekannte soll immer aus der
eigenen Perspektive betrachtet werden. Viele denken, dass das nur in Bezug auf
Kulturen und Religionen gemeint war. Das ist aber nicht der Fall. Ein Engländer
sollte sich in Paris weiter wie ein Engländer verhalten und ein Franzose in
London weiter wie ein Franzose. Ansonsten besteht das Risiko, von den eigenen
Wurzeln weggeführt zu werden. Collins
warnt in seinem Roman „Der Monddiamant“ vor den Gefahren des Kosmopolitismus.
(„The Moonstone“Pg.52) ‚It was not till later that I learned (…)
that these puzzling shifts and transformations in Mr. Franklin were due to the
effect on him of his foreign training. At the age when we are all of us most
apt to take our colouring, in the form of a reflection from the colouring of
other people, he had been sent abroad, and had been passed on from one nation
to another, before there was time for any one colouring more than another to
settle itself on him firmly. (…) He has his French side, and his German side,
and his Italian side –the original English foundation showing through, every
now and then, as much as to say, ‘Here I am, sorely transmogrified, as you see,
but there’s something of me left at the bottom of him still.’
Indien ist die Inspiration für viele
Schriftsteller. Einige wie Collins betonen in ihren Romanen den exotischen und
geheimnisvollen Charakter. Andere wie Huxley konzentrieren sich lieber auf die
politischen und sozialen Probleme des Landes. Sie zeigen die Diskrepanzen, die
zwischen Engländern und Indern in Bezug auf Indien herrschen.
Die Engländer verstecken weder ihre rassistischen Tendenzen noch ihre
Besorgnis angesichts der Übervölkerung. Ihrer Meinung nach wäre die beste
Lösung dafür die Einführung der Geburtenkontrolle. Man darf nicht vergessen,
dass Malthus Theorien der vorherrschende Trend in den wissenschaftlichen
Kreisen waren. Huxleys Großvater Thomas Huxley war ein bekannter Vertreter
dieser Idee gewesen. Es ist eine Frau, Eleanor, die in „Kontrapunkt des Lebens“
dieses Thema aufwirft. Dem Bedürfnis
nach Krankenhäusern und Medikamenten in Indien steht die niedrige Geburtenrate der
privilegierten sozialen Klassen in England gegenüber. Grund hierfür sind die Ängste
der Frauen vor den Komplikationen der Geburt und ihr Wunsch, sich als Mensch zu
entwickeln und realisieren. In „Kontrapunkt des Lebens“ ist Huxleys Haltung
hierzu noch nicht definiert. Er wird sich aber weiter mit diesem Thema in ”Schöne neue Welt”(1932) beschäftigen.
In „Wiedersehen mit der neuen schönen Welt“
(1958) wird er dann seine radikale malthusianische Auffassung zur Ende
denken.
In „Schöne neue Welt“ sind
„Gemeinschaft, Stabilität und Identität“ (Community, Stability, Identity) die
drei wichtigsten Prinzipien, die die neue Gesellschaft bilden. Das Ideal ist
die soziale Stabilität und die Asepsis. Es wird versucht, die traditionellen
Merkmale des Menschen wie zum Beispiel seine Emotionalität, auszurotten. Die
Zahl der Bevölkerung zu stabilisieren, ist einer der Prioritäten. („Brave New
World“ Pg.5).
In seinem Essay „Wiedersehen mit der
neuen schönen Welt“ wird er sorgfältiger die Gründe solcher Positionen
begründen. Sie haben vor allem mit dem Mangel an natürlichen Ressourcen zu tun.
Die Knappheit an Nahrungsmitteln wird die Destabilisierung der Gesellschaft
provozieren. Die verschiedenen Regierungen werden gezwungen sein, mehr
Autorität zu übernehmen, was für das Überleben der Demokratie ein großes Risiko
bedeutet. Nur eine Gesellschaft, die die richtige Maßnahme rechtzeitig ergreift,
kann friedlich unter demokratische Prinzipien weiterleben und als „schöne Welt“
bezeichnet werden.
Als Gegensatz zu dieser „schönen Welt“ zeigt Huxley die menschliche
Gesellschaft. Diese Gesellschaft ist
fragmentiert und unstrukturiert. Kenntnisse und Aberglaube treten zusammen auf.
Ihre Existenz hat mehr mit der von Tieren als mit der von Menschen zu tun.
Kurz: Für die gebildete europäische Gesellschaft wird das größte Problem
darin bestehen, die Knappheit an Ressourcen zu bewältigen.
Die indische Elite dagegen hat andere Kümmernisse. Das erste
ist das absolute Unverständnis, das die Engländer gegenüber der indischen
Kultur und ihren Traditionen zeigen. Ihr Eurozentrismus hemmt sie zu
akzeptieren, dass das wichtigste Problem in Indien nicht die Übervölkerung ist.
Die indische religiöse Philosophie behauptet, dass Leben und Tod sich
untrennbar verbunden in einem ewigen Prozess befinden, der sich ständig
wiederholt. Deshalb brauche man sich nicht viele Sorgen um Leben und Tod zu
machen.
Dagegen sind für die Inder die dringenden Probleme: Der englischen
Rassismus, unter dem sie leiden, so wie die Förderung der politischen und
sozialen Reformen, die die demokratische Selbstbestimmung in ihrem Land
aktivieren sollen.
„Point Counter Point“
(Pg. 91) „But why don’t you teach them birth control,
Mr Sita Ram?’ Elinor had asked (…) ‘Isn’t it the only hope for India?
Mr Sita Ram, however,
thought that the only hope was universal suffrage and self-government. He went
on with the station-master’s history. The man had passed all his examinations
with credit; his qualifications were the highest possible. And yet he had been
passed over for the promotion no less than four times. Four times, and always
in favour of Europeans or Eurasians. Mr. Sita Ram´s blood boiled when he
thought of the five thousand years of Indian civilization, Indian spirituality,
Indian moral superiority, cynically trampled, in the person of the
station-master of Bhowanipore, under English feet…
‘Is dat justice, I
ask?’ He banged the table.
‘Who knows?’ Philip wondered ‘Perhaps it is.’
c)
Die
Vorliebe für die Natur.
Neben der Lust auf Reisen und als Gegengewicht dazu fühlen die Mitglieder
der guten Gesellschaft eine große Zuneigung zur Natur. Viele leben auf dem
Land; andere wie Philip und Elinor Quarrel ziehen dorthin. Trotzdem ist Huxley der
Meinung, dass diese Gewohnheit eigentlich nur für Senioren und ruhige Gestalten
empfehlenswert ist. Diejenigen, die einen neugierigen und offenen Charakter
haben, sollten dort lieber nur als Besuch hingehen.
&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&
Eine Reflexion über die Politik
Obwohl die Politik immer mehr an Gewicht in der Gesellschaft gewinnt,
beweist Huxleys Analyse die Unwirksamkeit der politischen Ideologien für die
Lösung der dringendsten sozialen und ökonomischen Probleme. Er antizipiert auch
die unglückseligen Konsequenzen, die aus der Hegemonie solcher Ideologien
resultieren können. Seine pessimistischen Prognosen werden einen noch gewalttätigeren
Grad erreichen als sich irgendjemand damals hätte vorstellen können. Europa
wird durch Totalitarismen zerstört werden. Mit Hilfe der Technologie sind neue
Waffen entwickeln worden. Ihre zerstörerische Kraft ist nicht nur
lebensgefährlich für den Menschen, sondern für den ganzen Planeten. Der wilde
Hedonismus - wie er sich schon in der Zwischenkriegszeit zeigte - wird zu einem
Pfeiler der neuen Gesellschaft. Huxley behauptet: Promiskuität und Asketismus sind
eigentlich zwei Seiten ein und derselben Münze.
Beide äußern einen tiefen Hass gegenüber dem Menschen. Der wilde und promiskuitive
Hedonismus setzt sich durch, weil die technologischen Fortschritte dies ermöglichen.
In der Wohlstandgesellschaft sind Anstrengung und Selbstüberwindung keine
essentiellen Elemente mehr für das Überleben. Sie werden durch andere Elemente
wie Anpassungsfähigkeit, Mobilität und geistige Flexibilität ersetzt. Die
Konsumkraft und der Umgang mit neuen Maschinen werden die Kennzeichen der neuen
Gesellschaft.
1958 vertieft Huxley in „Wiedersehen
mit der neuen schönen Welt“ die sozialen Konsequenzen der Industrialisierung.
Der Mensch hat aus seinen eigenen Fehlern nichts gelernt. Wie denn auch? Er hat
noch nicht erkannt, worin der Ursprung der Probleme liegt. Die politischen
Ideologien konnten die ernsten Konflikte ihrer Zeit nicht lösen, aber sie waren
nicht ihre Ursache. Sie stecken auch nicht hinter dem Neuen. Huxleys Meinung
ist, dass der wahre Schuldige an allem das Phänomen der Industrialisierung
gewesen war und weiter sein würde.
Auf jeden Fall werden die politischen Ideologien weiter an Einfluss verlieren.
Alle – unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung - versuchen zu erreichen, was Huxley „Amerikanisierung“
genannt hatte. Niemand wird sich fragen wie viele natürliche Ressourcen nötig
sind, um einen solchen Lebensstil zu erreichen.
Nach dem Berliner Mauerfall und Untergang des Ostblocks konzentrieren
internationale Organismen immer mehr Macht. Gleichzeitig sinkt das Interesse
der Bürger für den politischen Bereich. Die Programme der verschieden Parteien ähneln
sich so sehr, dass es eigentlich irrelevant ist, wer die Regierung übernimmt.
Ihre Unterschiede liegen in Bagatellen. Alle streben dasselbe Ziel an:
Amerikanischer Wohlstand.
Ab 1980 tauchten Parteien mit ganz anderer Konzeption und Geist auf. So
wurde in Deutschland die Partei „die Grünen“ gegründet. Ihre Bemühungen waren
darauf gerichtet, die Bevölkerung für die Umwelt zu sensibilisieren. Sie waren von der Hippie-Doktrin
der Liebe zur Natur als Äußerung der Harmonie zwischen dem Universum und dem
Menschen beeinflusst. Zum ersten Mal in der Geschichte der Politik verfolgte
man die Bewahrung der Natur als prioritäres Ziel. Sie versuchten der
Bevölkerung bewusst zu machen, dass der Planet Erde ein erschöpflicher Ort ist.
Deshalb müssen wir ihn schützen. Die Grünen hatten verstanden, was Huxley sagte:
Die wahre Gefahr liegt nicht in den Ideologien, sondern in der unkontrollierte
Industrialisierung. Eine der ursprünglichen Aktionen der „Grünen“ war der Kampf
gegen die Atomenergie.
Anfang der neunziger Jahre entstanden andere Art von Parteien. Ihre
Programme waren teilweise so zynisch wie unhaltbar. Trotzdem weckten ihre
Angriffe auf die traditionelle und konventionelle Politik große Sympathien bei
den Wählern. In Spanien war eine dieser neuen Parteien „GIL“. Ihre spanische
Abkürzung steht für „Unabhängige Liberale Gruppe“. Eigentlich bezog sie sich
aber auf den Nachnamen ihres Präsidenten und Begründers: „Gil y Gil“. Es ist
war, dass sie nicht lange existiert und nur kurze Zeit in der Kommunalpolitik
regiert haben. Sie waren ständig in Korruptionsskandale verwickelt und ihre
schädlichen Folgen reichen bis zu unseren heutigen Tagen. Aber die Existenz
solcher Parteien zeigte die Politikverdrossenheit vieler Bürger.
Eigentlich drückten „die Grünen“ mit ihren vernünftigen und dringend
notwendigen Vorschlägen ein und dieselbe Idee aus wie die zynische,
populistische und demagogische „GIL“: Die alte Ideologien waren obsolet. Neue
Formen organisierter politischer Gruppierungen waren unentbehrlich.
Auch die neuen Parteien, die in den letzten Jahren in Deutschland
entstanden sind, folgen dieser Idee. Nur „die Linke“ hat die gewohnten
Strukturen. Die anderen haben sich mehr nach dem Modell bürgerschaftlicher
Plattformen konfiguriert. Ihre Ziele konzentrieren sich auf einen bestimmten
politischen Anspruch. So kämpfen „die Piraten“ zum Beispiel für die absolute
Internetfreiheit und die „Alternative für Deutschland“ (AfD) gegen die
Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung.
Auch wenn die Ideen dieser neuen Gruppen eine große Unterstützung der
Wähler bekommen; sie alle haben eine Nachteil: die globale Perspektivlosigkeit
der Gesellschaft und ihre Probleme in ihren politischen Programmen, weil sie
sich nur um ein Thema kümmern. Die Konsequenz ist die innere Spaltung, sobald
sie den Sprung ins Parlament geschafft haben. Dann müssen sie sich nämlich mit
der Komplexität der politischen Probleme und zwar aller auseinander setzen; und
nicht nur mit dem politischen Thema mit dem sie angetreten sind.
Ihre Existenz aber enthält einen essentiellen Trend: die Bürger sammeln sich
nicht mehr (oder nicht nur) unter der Fahne der Liberalen, Faschisten,
Sozialisten oder Konservativen, sondern nach konkreten und bestimmten
Bedürfnissen.
All diese Gruppen werfen eine gemeinsame Herausforderung auf. Nämlich: Eine
globalisierte Gesellschaft wie die unsere verlangt nach einem radikalen Wechsel
der politischen Strukturen und Organisation.
Isabel Viñado-Gascón
Fortsetzung folgt …
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