Sonntag, 22. Juni 2014

2. „Kontrapunkt des Lebens“ (1928) Huxley. Huxley und Virginia Woolf. Frauen: Das Verschwinden des Konflikts zwischen Pflicht, Befreiung und Hedonismus.

Hier sind es, die von mir benutzte Ausgabe:
-          Aldous Huxley „Point Counter Point“ (1928) Vintage Classics, Random House 2004. Auf Deutsch: “Kontrapunkt des Lebens”
-          Aldous Huxley „Brave New World“   (1932) Vintage Classics, Random House 2004. Auf Deutsch: “Schöne neue Welt”
-          Virginia Woolf  “Mrs Dalloway” (1925) S. Fischer Verlag 2006
-          Virginia Woolf  “Ein eigenes Zimmer” (1929) Fischer Taschenbuch Verlag 2007.

Was wird von den Frauen in der hohen Gesellschaft erwartet:

1.        Organisation der Gästeabende.
Die Damen der privilegierten Klassen nehmen an den gesellschaftlichen Treffen teil. Sie organisieren die Salonveranstaltungen und entscheiden über die Gästeliste. Ihre Hauptaufgabe besteht hauptsächlich darin, für die Harmonie und das Gelingen  der Gesellschaftsabende  zu sorgen. Ihre Rolle dort besteht darin, mehr oder weniger passende Bemerkungen zu machen, liebenswürdig die Gäste zu bewirten und Nachsicht gegenüber den maskulinen Schwächen zu zeigen, dabei aber gleichzeitig darauf achtend, dass noch nicht mal die Männer selbst – vor allem die Männer selbst - das das bemerken.

2.       Die Kindererziehung.
In den privilegierten sozialen Klassen mangelt es an Kindern. Die Männer sind überzeugte Malthusianer und denken an Geburtskontrolle. Die Frauen kämpfen um die soziale und politische Gleichberechtigung, aber vor allem um ihre persönliche und kreative Entwicklung. Was sie damit anstreben, ist die ökonomische Unabhängigkeit. In diesem ganzen Prozess bedeutet die Mutterschaft ein Hindernis: Von der Schwangerschaft an bis das Kind wenigstens fünf Jahre alt ist, ist die Mutter gebunden, weil das Kind ihre ganze Energie in Anspruch nimmt. Je mehr Kindern sie bekommt, desto weniger Zeit hat sie für ihre kreative Arbeit und ihre  Selbstverwirklichung.

Ein eigenes Zimmer“ S.25.
„Denn eine College-Stiftung würde die gänzliche Abschaffung der Familie erfordern. Ein Vermögen verdienen und dreizehn Kinder zur Welt bringen –kein Mensch könnte das durchstehen. Betrachten wir die Tatsachen, sagten wir. Als erstes sind da die neun Monate, bevor das Kind geboren wird. Dann wird das Kind geboren. Dann gehen drei oder vier Monate damit hin, das Kind zu stillen. Nachdem das Kind abgestillt worden ist, gehen bestimmt fünf Jahre damit hin, mit dem Kind zu spielen. (…) Manche Leute sagen auch, das Wesen des Menschen bilde sich im Alter von ein bis fünf Jahren heraus.

Diejenigen, die trotz allem Kinder bekommen, folgen dem Freiheitsimperativ, der in den Theorien der Kindererziehung jener Zeit vorherrscht. So gesehen verfügen die Kinder der guten Gesellschaft über eine enorme Flexibilität in ihren Aktivitäten und Stundenplänen.
Huxleys Absicht liegt nicht darin, eine solche Kindheit zu idealisieren. Erstens, weil in Wirklichkeit die kleine Kinder fast immer unter der Beaufsichtigung des Hauspersonals sind. Letzteres stammt aus einfachen sozialen Verhältnissen und hat eine ganz andere Bildung bekommen. Die Bildung des Personals wurde nur durch feste und simple Schemata geprägt. Diese hatten nur ganz wenig mit den kreativen Tendenzen der Erziehungsideale der besseren Kreise zu tun. Die Hausangestellten werden zum Beispiel nie verstehen, warum ein Kind malen darf, ohne sich um die richtigen Proportionen zu kümmern. Sie werden nie akzeptieren, dass sich so etwas „Kreativität“ nennen kann.
Zweitens, weil Huxley zeigt, dass diese scheinbare Freiheit nur die Gleichgültigkeit der Eltern gegenüber ihren Kindern vertuscht. Mütter und Väter beschäftigen sich lieber mit ihren eigenen Zielen und ihrer Selbstverwirklichung als mit der seelischen und intellektuellen Entwicklung ihrer Nachkommen. Auch wenn Huxley den Egoismus beider Elternteile kritisiert, gibt er den Müttern eine größere Verantwortung.  Huxley ist nämlich davon überzeugt, dass es die Mütter sind, die die Kinderseele modellieren.

Der englische Schriftsteller empfiehlt den Frauen, die Mütter geworden sind, dass sie ihren Egoismus hintanstellen und sich auf ihre mütterliche Aufgaben konzentrieren. Sonst könnte ihr verantwortungsloses Verhalten Unsicherheiten und Traumata in den Kinderseelen verursachen, deren Konsequenzen ebenso unvorhersehbar wie unglückselig wären. Der kleine Phil stirbt. Es ist die Rache Huxleys an seiner Figur Elinor, die zu kaltherzig und distanziert zu ihrem Sohn war.
Am negativsten aber erscheint Spandrells Mutter. Ihr Egoismus und leichtsinniges Verhalten werden ihren Sohn für immer zerstören. Kurz nachdem Spandrells Vater gestorben ist, heiratet sie einen Militär. Der Militär ähnelt den Militärs aus den pornografische Schriften, die er im Internat liest. Das ist für einen sensiblen Pubertierenden nahezu unerträglich. Erfolglos fleht er seine Mutter an, ihn nicht zu heiraten. Huxley genehmigt der Mutter nur einige schwache Rechtfertigungen, die keinen – auch den Leser nicht - überzeugen.

Point Counter Point“   Pg. 235.
‚But the responsibility of his upbringing weighed on her heavily. The future had always frightened her; she had always been afraid of taking decisions; she had no trust in her own powers. Besides, after her husband’s death, there wasn’t much money. (…) For nine months out of twelve she was alone (…) It was shortly after poor old Fritz’s death that she first met Major Knoyle, as he then was.’

Weder die Argumente Geld noch Einsamkeit wirken überzeugend. Huxley lässt den Lesern durchschauen, dass in ihrer Entscheidung in Wirklichkeit nur ein Faktor zählte: Egoismus. Spandrell wird sich von diesen Traumata nie erholen. Spandrell wird an nichts und niemanden glauben. Er wird ein Außenseiter der Gesellschaft.

„Point Counter Point“  Pg.236.
‚You didn’t  think much of my happiness in the past; he said (…) ‘When you married that man’, he went on, ‘did you think of my happiness? (…) ‘You didn’t listen to me, and now you tell me you wanted to make me happy.’

Das Gegenbild ist die positive Figur Jane Paston. John Bidlake heiratete sie, weil er krank und allein war. Er suchte jemanden, der sich um ihn kümmern würde. John Bidlakes Meinung nach vereint Jane Paston die richtigen Eigenschaften dafür. Sie ist hübsch, ernst und häuslich. (‚a stay-at-home‘ „Point Counter Point.“ Pg.240) Als John Bidlake unerwartet gesund wird, kehrt er zu seinem alten Single-Leben zurück. Sie bleibt allein mit den zwei Kindern und übernimmt ihre Erziehung.
                                                                                    
Die Frauen der hohen Gesellschaft: Die traditionelle Frau und die Geburt des Neuen.

Huxley und Virginia Woolf weisen Frauen und Männern verschiedene Wirkungskreise zu. Der Mann ist Intellekt. Die Frau ist Gefühl. “But Elinor was more interested in love than in logic“, schreibt Huxley in „Point Counter Point” (Pg.94). Der Mann ist Ying und die Frau ist Yang. Keiner von beiden ist wichtiger oder höher als der andere. Virginia Woolf behauptet in „Ein eigenes Zimmer“, dass jeder Mensch zwei verschiedene Naturen in sich trägt: eine weibliche und eine männliche. In Abhänigigkeit vom konkreten Geschlecht wird der eine oder der andere Teil dieser Natur mehr aktiviert. Dagegen ist Huxley überzeugt, dass jedes Geschlecht spezifische Merkmale besitzt. Trotzdem erkennt er an, dass die Kommunikation zwischen Mann und Frau durch die Existenz eines gemeinsamen Gebietes möglich ist.

“Point Counter Point”. Pg.148.
 ‘Living comes to you too easily’, he tried to explain. ‘You live by instinct. You know what to do quite naturally, like an insect when it comes out of the pupa. It´s too simple, too simple’. He shook his head. ‘You haven’t earned your knowledge; you’ve never realized the alternatives.’
‘In other words,’ said Mary, I´m a fool.’
‘No, a woman.’

Beide Schriftsteller wären gewiss sehr empört, würde man sie als „machistisch“ bezeichnen. Beide verteidigen die Idee, dass sowohl die Männer wie die Frauen ihre Unabhängigkeit und Autonomie in ihrer Beziehung behalten sollen. Jeder von ihnen benötigt seinen eigenen Aktionsraum. Deshalb ist es wichtig, dass jeder seine eigenen Freundeskreis und seine Beschäftigung hat. Virginia Woolf meint, dass der Geist sich nur so entwickeln kann. Ihre Figur Mrs. Dalloway heiratet Richard Dalloway statt Peter Walsch, weil sie mit Richard ihre Freiheit weiter genießen kann.

Mrs Dalloway. S.11.
‘Denn in der Ehe musste es einen kleinen Freiraum, eine kleine Unabhängigkeit geben zwischen Leuten, die tagein, tagaus im selben Haus lebten; die Richard ihr gab, und sie ihm. (…) Aber mit Peter musste alles geteilt werden; alles durchgesprochen werden‘.

Dieses Bedürfnis nach einen Freiraum stellt die Grundlage für die Kommunikation und gegenseitig Achtung und Respekt dar. Damit meint Woolf weder, dass jeder ein getrenntes Leben zu führen noch, dass das Zusammenleben der Ehe einer bloßen Wohngemeinschaft zu ähneln habe. Es handelt sich einfach darum, gleichsam einen eigenen Garten zu haben, um sich bei Bedarf zurückziehen zu können.
Huxleys Meinung nach hat ein Mann nur dann einen wahren Freiraum, wenn  seine Ehefrau ihm keine Vorwürfe und keine Szenen macht. Huxley ist überzeug, dass eine Frau nicht nur die Abendgesellschaften vorbereiten soll; vor allem soll sie sich um ihren Mann kümmern. Das heißt: Sie soll seine Schwächen akzeptieren statt ihn ändern zu wollen. Wenn es denn unbedingt sein muss, ist es ratsam, den Mann auf zärtliche Art und Weise zu verändern zu versuchen, ohne dass er es merkt. Es ist dies nicht eine Frage der Unterordnung,  sondern der praktischen Intelligenz. (Ich muss gestehen: für „Musketier-Frauen“ wie mich ist das unmöglich.)

Huxleys Vorbilder sind Lady Edward und Rachel Quarles. Lady Edward heiratet Lord Edward: gleichermaßen reich wie kindlich. Lady Edwards Lösung ist John Bidlake als Geliebte zu haben.  Es ist eine Liebe, die es ihr erlaubt, ihre eigene Sensualität zu entdecken, ohne den Kopf zu verlieren. Letzteres hätte bedeutet, Haus, Geld und Adelstitel zu verlieren. Lady Edward ist nicht bereit zu erlauben, dass das passiert.

„Point Counter Point“  Pg.27.
„If she had lost her head, she might have lost Tantamount House and the Tantamount millions and the Tantamount title as well. She had no intention of losing these things.”

Rachel Quarles ist auch ein Vorbild, wenn auch anderen Stils. Sie heiratet einen Mann, der absolut unfähig für die Politik und für die Geschäfte ist. Um den Bankrott zu vermeiden, stellt sie sich vor ihn und übernimmt die Verantwortung dafür. Sie macht dies so taktvoll, dass ihr Mann sich nicht als Versager ansieht. Eher das Gegenteil.

Die intellektuelle Teilnahme der Frauen an der Gesellschaft spielt nur eine sekundäre Rolle für Huxley. Der gebildete Engländer zeigt keine Scham, wenn es sich darum handelt, sich über das intellektuelles Streben der Frauen lustig zu machen. Seine Figur Molly wird von ihm sehr streng beurteilt. Der Schriftsteller bestreitet nicht, dass Molly intelligent ist. Aber er behauptet, dass sie ihr Wissen allein ihrer disziplinierten und harten Arbeit verdankt. Im Roman zeigt er mehrere Widersprüche, wenn er sie beschreibt. Nach einigen Zweifeln, die vielleicht auf Gewissensbisse bei der Behandlung seiner Figur zurückzuführen sind, verwandelt Huxley sie in ein Plappermaul. Sie kann sich zwar lang uns ausgiebig unterhalten, aber nur über eine beschränkt Zahl von Themen. Wie sie selbst anerkennt; sie macht jeden nervös, auch ihren Mann. Er droht ihr sogar mit der Scheidung, weil sie nicht beruhigend genug ist.

„Point Counter Point“   Pg.111.
Like all conscientious professionals, she was not content to be merely talented. She was industrious; she worked hard to develop her native powers. (…) Like all professional talkers Molly was very economical with her wit and wisdom.

“Point Counter Point” Pg.115.
‘That’s why Jean is always threatening to divorce me. He says I’m too stimulating. ‘Tu ne m’ennuies pas assez,’ he says; and that what he needs is une femme sedative.’

Das sind nicht nur Huxleys Ideen. Traditionell hat die Gesellschaft das Wissen der Frau nie richtig akzeptiert; noch weniger, dass sie es mit Stolz in der Öffentlichkeit zeigt. Einige „tolerante“ und Männer „von Welt“, akzeptieren die intellektuelle Beteiligung der Frau, wenn sie damit eine Liebesbeziehung anfangen wollen. Aber Huxley beschreibt Molly als jemanden, der sich nur um der Unterhaltung wegen unterhält. Sie akzeptiert keine liaison; noch nicht mal mit ihrem Bewunderer: der phlegmatische Philip. So will Huxley Molly „le coup de grâce“ geben.
Rampion - eine der Hauptfiguren des Romans - befiehl seiner Frau Mary zu schweigen. Er kann noch nicht mal ertragen, dass seine Frau seine Ideen wiederholt. Aus ihrem Mund, meint er, klingen sie total anders. Das heißt: schlechter.

„Point Counter Point“  Pg.122
‚Oh, for God’s sake shut up!’ said Rampion.
‘But isn’t that what you say?’
‘What I say is what I say. It becomes quite different when you say it.’

Mary reagiert gelassen. Sie lacht. Das Einzige, was sie stört, sind die groben Manieren ihres Mannes ihr gegenüber in der Öffentlichkeit. Er wahrt nicht die Umgangsformen. Man muss daran erinnern, dass der Unterschied zwischen Huxley und Woolf in der wichtigeren Bedeutung der Form in Woolfs Werke liegt. Gerade weil sie eine Frau ist, hätte die britische Schriftstellerin wahrscheinlich geantwortet. Huxley hätte dieser Behauptung gewiss zugestimmt.

„Point Counter Point“ Pg.122
She laughed. ‘Ah, well’, she said good-humouredly, ‘ratiocination was never my strongest point. But you might be a little more polite about it in public.’

Marjory - eine andere Figur -  gibt zu verstehen, dass ihr kulturelles Niveau hoch ist. Sie hat viele Bücher gelesen; sie erinnert sich sogar daran, was sie gelesen hat. Aber sie ist sich nicht sicher, ob sie den Inhalt richtig verstanden hat. Die Beobachtungen, die sie in Gesprächen beiträgt, sind eigentlich auswendige gelernte Lektürefragmente.

„Point Counter Point“  Pg.13
(…) she was really rather a bore with her heavy, insensitive earnestness. Really rather stupid in spite of her culture –because of it perhaps. The culture was genuine all right; she had read the books, she remembered them. But did she understand them? Could she understand him? (…) Marjorie knew how to listen well and sympathetically. (…) For Marjorie had a retentive memory and had formed the habit of learning the great thoughts and the purple passages by heart.

Nach Huxleys Meinung hat die weibliche Seele eine intuitive Natur. Deshalb versteht er das Interesse der Frauen für den intellektuellen Bereich als eine Quelle von Ruhe und Frieden für ihre Seelen. Er sieht in der Kunst, in der Literatur und in der Meditation, die richtigen Instrumente, mit denen Frauen ihr seelisches Gleichgewicht finden können. Er ermuntert das Interesse der Frauen an intellektuellen Aktivitäten. Letztlich liefern sie auch die notwendige Kraft und Gefasstheit, um die stets merkwürdigen  und unverständlichen Männer ertragen zu können. Aber seine Unterstützung verschwindet sobald die Frauen beanspruchen, dass ihre künstliche Ausdrücke und Produktionen denen der Männer gleichwertig sind.

„Point Counter Point“ Pg.422)
But Mrs. Bidlake had permitted her husband to fade out of their married life without a quarrel, with hardly a word.
Pg.423)
She held her peace and herself retired for consolation into those regions of artistic and literary fancy, where she was native and felt most at home. A private income, supplemented by the irregular and fluctuating contributions which John Bidlake made whenever he remembered or felt he could afford to support a wife and family, allowed her to make a habit of this foreign travel of the imagination. (pg 322. “Mrs Bidlake had a special weakness for Buddhism.”

Huxley lehnt die intellektuelle Gleichheit zwischen Frauen und Männern ab. Das bedeutet aber nicht, dass er die Intelligenz der Frauen bestreit. Ganz im Gegenteil: Er ist überzeugt, dass die weibliche Intelligenz subtiler als die männliche ist. Deshalb ist John Bidlake verärgert mit seiner früheren Geliebten, Lady Edward. Lady Edward hat bei einem Abendessen einen französischen Maler und seinen schärfsten Kritiker am Tisch  zusammengesetzt. Lady Edward versucht John Bidlake zu überreden, dass es nur ein bedauerlicher Zufall gewesen ist. Bidlake ist bewusst, dass Lady Edward sich damit nur amüsieren wollte.

„Point Counter Point“ Pg.49. ‘You might occasionally forget, if your memory were bad. But I assure you, it needs a first-class memory to forget every time. A first-class memory and a first-class love of mischief.’

Virginia Woolf bestreitet nicht die Behauptung, dass die Frauen weniger als die Männer zur Geschichte beigetragen haben. Stattdessen sucht sie eine Antwort dafür. Anders als Huxley begründet sie dies nicht mit intellektuellen Mangel der Frauen, sondern mit den besonderen Umständen, unter denen sie in der Regel gelebt haben.

Trotz allem gibt es etwas, dass die Männer und die Frauen der wohlhabenden Kreise immer geteilt haben: Der Elfenbeinturm.

Weder das Haushaltspersonal noch die anderen sozialen Schichten spielen irgendeine Rolle in ihrem Leben. Lord Edwards Assistent Illidge, Mitglied der Kommunistischen Partei, wird diesem seine Unbekümmertheit für die sozialen Probleme vorwerfen. Huxleys Protagonisten betrachten diese Empfindungslosigkeit gegenüber den fremden Existenzen nicht – wie Illidge -  als unmoralisches Benehmen, sondern als ein Ausdruck des Respektes für ihre Privatsphäre. Ihrer Meinung nach beweist ihre Interesslosigkeit für die Probleme der Anderen eigentlich nur ihre Höflichkeit und Diskretion.
In solchen wohlhabenden Gruppen besitzt die individuelle Autonomie einen der höchsten Plätze in ihrer Werteskala. Illidge klagt, dass eine solche Autonomie nur mit Geld praktizierbar ist. Die Bewohner des Elfenbeinturms sind damit einverstanden. Aber sie weigern sich das „Mea Culpa“ zu intonieren. Sie geben zu, dass das Geld wichtig ist. Aber es ist eigentlich nur die erste Stufe auf der Treppe zu einer erfolgreichen, bewundernswerten und einzigartigen Persönlichkeit. Die Treppe zu steigen, das macht jeder allein. Dort ist die Konkurrenz zwischen Ebenbürtigen so gewiss wie die Tatsache, dass alle Stufen einer Treppe nach oben wie nach unten führen.

Auf jeden Fall bedeutet Illidges Anwesenheit in einer bis dahin abgeschlossenen Welt, dass die neuen Ideen nicht mehr verschwiegen werden können. In unserem nächsten Blog werden wir dieses Phänomen analysieren.

Lucy, das Symbol der neuen Frau.

Die Veränderungen werden jedoch nicht nur in der äußeren Welt auftauchen. Auch im inneren Bereich erscheinen neue Strömungen, die in den Ideen und Lebensformen der jugendlichen Gesellschaftsmitglieder ihren Ursprung haben. Sie werden die Fundamente einer Jahrzehnte lang unaufgeregten Welt zum Schwanken bringen. Der Generationskonflikt wird eine Revolution noch bedeutsamerer und tieferer Dimensionen verursachen als die sozio-politischen Umwälzungen. Die Jugend sieht ihre Vorfahren wie Lebewesen aus einer anderen Welt und sogar aus einer anderen Galaxie. Nicht nur Huxley, sondern auch andere europäische Schriftsteller werden über diesen Bruch in ihren Romanen  berichten, zum Beispiel Erich Maria Remarque in „Im Westen nichts Neues“ (1929); allerdings mit katastrophalen Konsequenzen für die Jugend, die bis zum Krieg an die alten Strukturen und ihre Werte glaubte. Die Neuigkeit, die Huxley einführt ist, dass in seinem Elfenbeinturm die Fraktur durch eine weibliche Figur – Lucy - eintritt.

„Point Counter Point“   Pg.175
‘You speak of the old as though they were Kaffirs or Eskimos.’
‘Well, isn’t that just about what they are? Hearts of gold, and all that. And wonderfully intelligent – in their way, and all things considered. But they don’t happen to belong to our civilization. They’re aliens.’

Solche Spaltungen haben vor allem mit den Veränderungen in der Mentalität der Frauen in Bezug auf die sexuellen Themen zu tun. Die neuen Frauen sind stolz auf ihren Körper und ihre Weiblichkeit. Sie haben nicht den geringsten Wunsch, den intellektuellen Ambitionen der Männer nachzujagen. Wie schon Collins, Huxley und Woolf in ihren Werken betont haben, ist die zerebrale Frau vor allem langweilig. Deshalb kann diese Figur nicht als Vorbild einer Generation dienen, die die ersten Steine für die Gründung der Spaßgesellschaft gelegt hat. Die Spaßgesellschaft öffnet verschiedene Wege, um mit neuen Erfahrungen zu experimentieren. Es gibt zwei Merkmale, die diese Generation charakterisieren und gleichzeitig die den Unterschied gegenüber den Vorgängergenerationen ausmachen. Erstens, wird sie die erste Massengeneration sein. Die Unterhaltung wird eine Massenunterhaltung werden, die Kommunikation wird eine Massenkommunikation werden, die Medien Massenmedien. Jazz, Kino...alle diese Arten der Unterhaltung werden Massenphänomene. Zweitens, die sexuelle Befreiung der Frau ist Teil der neuen Herausforderungen. Lord Edward führt in seiner Bibliothek ein für ihn ernstes und unangenehmes Gespräch mit seiner Tochter Lucy. Die Sache ist wichtig. Ihm ist wurde berichtet, dass seine Tochter mit jungen Männern tanzt. Lucy bezeichnet die väterlichen Warnungen als naiv. Lucy: das „party-girl“, das „it-girl“, wird diejenige sein, die den Sturz der alten und überholten Gesellschaft verursachen wird.

Die Figur von Lucy zeigt zwei extreme Eigenschaften.

1.       Die sexuell befreite Frau
Sie hat sich von der romantischen Liebe verabschiedet. Sie ist überzeugt, dass Eheschließung ebenso wie Liebe  - und damit Treue und Aufopferung für die Familie - nur Hindernisse für ihre Selbstverwirklichung und die Entwicklung ihrer Persönlichkeit sind. Sie verachtet Liebeskonflikte und Liebeskummer, sobald sie sie ernsthaft emotional belasten.
Huxley versteckt seine Sorgen nicht. 1932 wird er sein Buch “Schöne neue Welt” veröffentlichen. Dort wird er ausführlicher auf dieses Verhalten eingehen. In diesem Roman wird er nach den emotionalen Konflikten der Vergangenheit fragen.
„Brave New World“   Pg. 35
 ‘Their world didn’t allow them to take things easily, didn’t allow them to be sane, virtuous, happy (…) what with all the diseases and the endless isolating pain, what with the uncertainties and the poverty –they were forced to feel strongly (and strongly, what was more, in solitude, in hopelessly individual isolation, how could they be stable?’

Aber was als „sexuelle Unabhängigkeit“ daher kommt bedeutet für Huxley die Umwandlung der Frau in ein Stück Fleisch - pure Materie. In “Schöne neue Welt” findet es ein Mädchen, Fanny, erstaunlich, dass ihre Freundin Lenina sich vier Monate lang mit demselben Mann getroffen hat, ohne gleochzeitig eine Beziehung einem anderen gehabt zu haben („Brave New World“ Pg.34/35). Huxley lässt die Frauen sprechen. Jedoch zeigt er, dass das emotionales Element im tiefsten Kern der Frau steckt; nicht aber in der Natur des Mannes präsent ist. So füllen die Unterhaltungen zwischen Fanny und Lenina über die Männer, mit denen sie sexuelle Beziehungen haben könnten, mehrere Seiten des Romans. Die Männer dagegen verlieren nur wenige Worte über dasselbe Thema.
Huxleys Schlussfolgerung ist, dass die vielgepriesene sexuellle Befreiung der Frau sie zur Entwürdigung und Verkommenheit führe.
„Brave New World“ Pg.39.
‚Talking about her as though she were a bit of meat. ‘Bernard ground his teeth. ‚Have her here, have her there. Like mutton. Degrading her to so much mutton.‘

2.       Ehrliches Desinteresse für den intellektuellen Bereich
Man könnte sich fragen, warum sich die Figur von Lucy durchsetzt und nicht die Figur der zerebralen Frau, gerade wenn ihr Kampf für die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau die ersten Früchte trägt.  Die Frauen haben das Wahlrecht errungen und studieren immer zahlreicher an den Universitäten. Aus der Sicht der Männer werden solche intellektuellen weiblichen Strömungen allerdings mit Skeptizismus betrachtet. Sie behandeln die Frauen immer noch als das „schwache Geschlecht“.
Bemerkenswert ist, dass die Frauen dieser Zeit mehr Verständnis und Sympathie für Lucy als für die intellektuellen Frauen zeigen. Die Abneigung von Virginia Woolf gegenüber den Feministinnen ihrer Zeit und den radikal-christlich intellektuellen Frauen wie Miss Kilman, einer ihre Figuren in Mrs Dalloway, ist bekannt. Sie liefert dieselbe Begründung, die Huxley benutzte, um seine Abscheu gegen den Kommunisten Illidge zu rechtfertigen: Beiden Arten von Menschen mangelt es an Leichtigkeit und Humor.
Woolf wirft den intellektuellen Frauen vor, dass sie zu streng seien. Ihre Welt sei eng und rieche schlecht. Ihre Bücher und ihr theoretisches Wissen könnten ihnen den notwendigen inneren Frieden nicht vermitteln, weil sie ihre Weiblichkeit und das gute Benehmen vernachlässigten.

„Mrs. Dalloway“ (S.123)
„Miss Kilman hatte nicht vor, sich angenehm zu machen. Sie hatte immer ihren Lebensunterhalt verdient. Ihre Kenntnis der neueren Geschichte war im höchsten Grade gründlich.“

Das erklärt auch, warum ihre Kenntnisse sie nicht glücklich machen können. Sie sind neidisch auf die Schönheit und Feinsinnigkeit anderer Frauen. Elizabeth, Mrs Dalloways Tochter, fühlt sich von der Persönlichkeit von Miss Kilman angezogen. Sie ist ganz anders als die Frauen, mit denen sie normalerweise umgeht. Aber letztlich lehnt Elizabeth ihre Angebote ab. Ihre Vorschläge sind zu kaltherzig und zu wenig weiblich. Elizabeth kann es nicht mehr ertragen, dass ihre scheinbar moralische Überlegenheit immer von unendlichen Klagen und Jammerei begleitet ist.

„Mrs. Dalloway“ (Pg.133)
„Es war das ständige Reden von ihren eigenen Leiden, das Miss Kilman so schwierig machte.“

Nicht nur Virginia Woolf beschreibt intellektuelles Streben als unweiblich. Die Hauptfiguren in den Jane Austen Romanen („Stolz und Vorurteil“ zum Beispiel) kümmern sich kaum um die Förderung ihrer intellektuellen Kenntnisse. Ihnen kommt es dagegen auf die Entwicklung ihres gesunden Menschenverstandes an. Dieser ist nämlich unentbehrlich, wenn es um die richtige Wahl eines Ehemannes geht. Die Hauptfiguren der Geschwister Bronte  - „Jane Eyre“, „Agnes Grey“ - sind Frauen, deren Armut sie dazu zwingt zu lernen, um ihrer Misere über den Ausweg als Erzieherin oder Gouvernante entfliehen zu können. Nur die Liebe rettet sie aber von ihrem Schicksal als graue Maus und Melancholikerin ihre Leben zu fristen. In „Sturmhöhe“, aber nicht nur dort, wird gezeigt, dass gesunder Menschenverstand nicht nur eine rationale, sondern auch eine emotionale Seite enthalten muss. Andernfalls ist die Tragödie unvermeidbar.
Woher kommt die Verachtung dieses Frauentyps? Historisch betrachtet trifft es zu, dass die sozial unangepassten intellektuellen Frauen häufig als Hexe behandelt wurden. Entweder kamen sie auf dem Scheiterhaufen um oder sie waren zur Einsamkeit und sozialen Isolation verdammt. Die angepassten intellektuellen Frauen verbrachten  ihr Leben – freiwillig oder unfreiwillig - im Kloster.
Die Männer bleiben ihren Vorurteilen treu. Isaak Bashevis Singer verurteilt sie in seinen Werken zur Kinderlosigkeit. Huxley beschreibt sie als „Plappermäulchen“, als „Schwätzer“ oder einfach als fleißige und disziplinierte Wesen, die ihre Kenntnisse auswendig gelernt haben, ohne sie richtig zu verstehen.
Solche männlichen Gehässigkeiten hätten doch eigentlich Mitgefühl, Sympathie und Verständnis des Rests der weiblichen Gesellschaft für den intellektuellen Frauentyp wecken sollen. Er hätte das Symbol des neuen Frauentyps werden können. Es ist schwer zu erklären, warum Woolf sie als langweilig und als Jammerlappen beschreibt und warum Woolf nicht bereit ist, solche Frauen in ihren exklusiven Kreisen zu akzeptieren.

Meiner Meinung nach ist der Ursprung dieser Ablehnung in dem Kampf der sozialen Eliten Englands gegen den Puritanismus zu sehen. Diese vom Calvinismus beeinflusste religiöse Strömung wurde in XVI. Jahrhundert in England geboren. Ihre drei Hauptmerkmale waren: die Schrift als Mittelpunkt des Glaubens, die Genügsamkeit als Lebensform und der Wert der Bildung, die sich aber eigentlich nur auf die Bibel konzentriert.
Die Konsequenz eines solchen Rigorismus im Glauben und in den Sitten war der Mangel an Geistesfreiheit. Das verhinderte ebenso das richtige Wissen wie die Kreativität. Hier liegt der Grund für die Zurückweisung des Puritanismus in Woolfs Kreisen. Dieser religiöse Puritanismus und die Liebe (romantische wie eheliche Liebe) verurteilten die Frauen zur Immobilismus und Passivität. Sie halten die Frauen fern von weltlichen Vergnügen und machten ihre geistige Entwicklung unmöglich.

„Mrs. Dalloway“  S.124.
„Liebe und Religion! dachte Clarissa, als sie, mit einem Kribbeln über den ganzen Körper, in den Salon zurückging. Wie abscheulich, wie abscheulich sie sind!“

Clarissa Dalloway und ihre Zeitgenosse haben diese enge Religiosität und die Liebe bekämpft und besiegt.  Lucys Generation ist von solchen Ketten befreit, ohne an den Kämpfen teilgenommen zu haben.
Mehr noch: Lucys Generation kehrt die Kritik von Clarissas Generation um. Die puritanische christliche Religiosität und die Liebe sind nicht mehr die Haupthindernisse für die Freiheit. Die Themen der Religion und der Romantik interessieren sie einfach nicht. Freiheit und Wissen sind die Elemente, die die neue Generation als inkompatibel betrachtet. Dank den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritten sind die Lebensumstände einfacher geworden. Der Anspruch nach absoluter Freiheit trifft mit dem Wunsch nach einem hedonistischen Lebensstil zusammen. Er wird zuerst in der besseren Gesellschaft erscheinen und wird sich nach und nach in den andere Schichten der Gesellschaft verbreiten.

Die neue Frau lebt ohne die Paradigmen des christlichen Glauben und der sentimentalen Romantik. Die neue Frau glaubt nicht mehr an die ewige Liebe. Tochter einer neuen Welt, die sich gegen jede – gleichgültig welche - Bindung stellt, stürzt sie im Leben ohne ein anderes Ideal als das, in jedem Moment ihre sinnlichen Erwartungen zu befriedigen.

Huxley positioniert sich als Gegner einer solchen Haltung. Er ist überzeugt, dass das Verhältnis zwischen der Anzahl der Freizeitmöglichkeiten und der Spaß, der aus diesen Möglichkeiten resultiert, umgekehrt proportional ist. Deshalb darf der Hedonismus nach Huxleys Meinung  als Wertprinzip der Gesellschaft  nicht in Frage kommen. Es gibt hierfür vor allem zwei Argumente. Das erste ist die Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten. In einer hedonistischen Gesellschaft kann der Mensch seine eigenen Kräfte nicht mehr entwickeln. Wenn der Mensch schwach und oberflächlich wird, ist er dazu verdammt, von einem leeren und sinnlosen Werdegang geherrscht zu sein. Er selber kann die Zügel seiner Existenz nicht in seine eigenen Händen nehmen. Das zweite Argument ist, dass ein Leben, das primär auf die sinnlichen Emotionen ausgerichtet ist, kein vollendetes Leben sein kann. Die sinnlichen Sensationen verlangen immer neue und größere Emotionen. Sie enden immer in moralischen Aberrationen. Je mehr Unterhaltungsmöglichkeiten desto mehr Unzufriedenheit. Der frenetische Wunsch nach neuen Emotionen ist letztlich immer eine fruchtlose Suche. Die Konsequenzen sind entweder Verdrossenheit gefolgt von Passivität, oder der Fall in eine tiefe Grube unkontrollierter sinnlicher Emotionen.

Die Lösung wäre die Minderung der Anzahl der Vergnügungen, damit diese richtig und authentisch genossen werden können. Lucy kennt die Gefahren. Sie selbst weißt nicht wo und wie die Lebensexperimente enden können, aber sie lehnt diesen Vorschlag ab.

„Point Counter Point“ Pg.62/63                             
‚Children are brought up so stupidly nowadays. No wonder the’re cynical.’ She preceded eloquently. Children were given too much, too early. They were satiated with amusements, inured to all the pleasures from the cradle.’ (…) She quoted Shakespeare.
                                  “Therefore are feasts so solemn and so rare,
                                  Since seldom coming, in the long year set,
                                  Like stones of worth they thinly placed are…”
‘They’re a row of pearls nowadays’
‘And false ones at that’, said Lucy.
Mrs Betterton was triumphant. ‘False ones –you see? But for us they were genuine, because they were rare. We didn’t “blunt the fine point of seldom pleasure” by daily wear. Nowadays young people are bored and world-weary before they come of age. A pleasure too often repeated produces numbness; it’s no more felt as a pleasure.’
‘And what’s your remedy?’ enquired John Bidlake.
‘The remedy’, she went on, ‘is fewer diversions.’
‘But I don’t want them fewer,’ objected John Bidlake.
‘In that case’ said Lucy, ‘they must be stronger –progressively.’
‘Progressively’ Mrs Betterton repeated ‘But where would that sort of progress end?’
In bull fighting?’ suggested John Bidlake. ‘Or gladiatorial shows? Or public executions, perhaps? Or the amusements of the Marquis de Sade? Where?’
Lucy shrugged her shoulders. ‘Who knows?’
                                            

Lucy verkörpert aus meiner Sicht einen Frauen-Typ, der sich in bestimmte Gesellschaften etabliert hat: Dieser Typus versucht - wie damals die Passagiere der ersten Klasse der Titanic – den Rhythmus des Spaßes zu halten während das Schiff hoffnungslos sinkt.
Dieses Thema habe ich in meinen Blog über die „Persische(n) Briefe“ von Montesquieu (Oktober 2012) ausführlich behandelt. Andere Blogs über der Problematik Situation der Frau sind: „Ein eigenes Zimmer“, von Virginia Woolf. „Feinde, die Geschichte einer Liebe“, von Isaac Bashevis Singer, und „Frau und Mutterschaft“. Sie alle sind im Mai 2012 erschienen.

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Es bleibt nicht mehr viel zu sagen übrig: Die aktuelle Frau ist Opfer und Vollstrecker ihrer aktuellen Situation. Sie will Mutter werden, ohne auf die Merkmale der Weiblichkeit zu verzichten. Sie will weiter als Frau behandelt werden, ohne ihre traditionellen eigenen Tugenden zu üben. Sie verlangt, dass die Tür für sie aufgehalten wird  – in der Form von Quoten in der Politik und in den Unternehmen.
Auf die Gefahr hin als „Moralist“ oder „altmodisch“ beschimpft zu werden: Das „Schminkalter“ fängt für viele Mädchen mit zehn Jahre an. Sie leben ihr siebzehntes Lebensjahr, wenn sie dreizehn sind. Nächtliche Ausflüge und alkoholische Getränke sind für viele Pubertierende etwas ganz Normales. Viele Male sind die Mädchen diejenigen, die das Limit des Vernünftigen sprengen. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem die Gesellschaft „es reicht“ sagen sollte.   Vielen Eltern ist nicht bewusst, dass die Reife der Körper ihrer Kinder nicht unbedingt der Reife ihrer intellektuellen Fähigkeiten entspricht. Diese haben sich schneller als letztere entwickelt. Die Schlussfolgerung ist: körperlich frühreif und geistiger Infantilismus. In vielen „You Tube“ Videos stellen sich Hunderte von Mädchen vor, die wie Sechzehnjährige aussehen. Dabei sind sie zum Teil nur zwölf Jahre alt. Sie zeigen stolz ihre schönen und modischen Klamotten und geben ihren gleichaltrigen Zuschauerinnen 12 oder 16?) Tips. Diese Beschäftigung könnte positiv und amüsant sein, weil sie die freie Kommunikation und die Kreativität fördert. In der Tat: Die Beschreibung der Farben, der Stoffe, der Kombinationsmöglichkeiten… all das würde ein „sehr gut“ verdienen. Leider wiederholen sie in jedem ihrer Videos ständig dieselben Formeln.
Das Problem: Ein Mangel an Sprachbeherrschung? Das wäre nicht so schlimm. Schlimmer scheint mir der  Mangel an Ideen. Schlimmer noch: Die Gleichgültigkeit gegenüber Ideen; ja sogar der Wille, dass Ideen nicht existieren. Ich würde mir keine Sorge über die jungen Mädchen machen, wenn es andere Arten von Videos gäbe. Videos über kleine Ausflüge oder über ferne Reise; über wissenschaftliche Experimente in der Küche; Kinokritiken; Meinungen über Zeitungsartikel; Ausstellungen; Essensvorbereitung… Bestimmt wird es das geben. Ich glaube das gerne. Aber sie sind nicht die bekanntesten Clips. Ich habe sie noch nicht gesehen. Außer auf dem Feld der klassischen Musik vermeidet die „gute“ Jugend ihren großen Auftritt auf der großen Schaubühne, die das Internet geworden ist. Der Grund dafür liegt nicht an ihrer Schüchternheit. Der Grund ist, dass so etwas nicht gut ankommt. Es ist einfach nicht „cool“.

Manchmal erinnere ich mich an den biblischen Satz: „Die Frau wird den Teufel besiegen.“ Ich habe den Verdacht, dass – um das zu verhindern - der Teufel sich entschieden hat, die Frau zu zerstören.
Ich habe Angst, dass meine Leser meine Worte missverstehen und sie mich in enge und erstickende religiöse Konzepte einrahmen. Dies läge meinen Absichten fern. Es ist wahr: Ich plädiere immer wieder für eine Korrektur der Haltung der Frauen. Aber nur deshalb, weil ich der Meinung bin, dass solche Haltungen extrem gefährlich für sie selbst sind. Entweder werden die Frauen in die Selbstverachtung fallen, oder ihre Haltung wird zum Vorwand missbraucht werden, um den Frauen wieder in Hareme oder Klöster einzuschließen. „Ni pute, ni soumise“ –schreit die neue Frau. Ich auch. Wir brauchen die Kraft, um die Mauer zu zerstören, und die Kraft, ein neues Gebäude zu errichten. Man kann das nicht ohne die körperliche Freiheit schaffen - das ist wahr. Meine These aber ist, dass wir ohne die gleichzeitige Entwicklung unserer intellektuellen Fähigkeiten und der Entwicklung unserer Empfindlichkeit nicht viel erreichen können werden. Auf jeden Fall kein dauerhaftes und wertvolles Gebäude.

Virginia Woolf und andere Frauen haben gezeigt, dass eine Frau mit Kopf aber ohne Weiblichkeit langweilig und unerträglich ist. Meine Absicht ist zu beweisen, dass eine Frau mit Weiblichkeit, aber ohne Kopf dazu verdammt ist, von den Männern „ausradiert“ zu werden. Die Männer ihrerseits sind nicht frei von Gefahr. Aber sie haben besser gewusst, Hedonismus und Lebenskampf zu verbinden. Um ehrlich zu sein, haben sie oft Spaß und Unterhaltung (Liebe inbegriffen) ausgenutzt, um ihre Ziele zu erreichen. Deshalb überrascht nicht, dass Maupassant – zum Beispiel -  seinen „Bel Ami“ schrieb.
Hinter der Leidenschaft, die ein Bel Ami gegenüber den Frauen vorspielt, gibt es keine wahre Liebe. Es gibt nur einen kalten und machiavellistischen Wunsch, die soziale Macht zu erreichen. Gerade weil ihm die soziale Relevanz der Frauen in der Gesellschaft bewusst war, wollte er sie sexuell erobern. Damit suchte er aber nicht ihre Liebe. Eigentlich wollte er nur die Vorteile, die ihr sozial Einfluss für sein Leben bringen können. In der Sehnsucht nach der romantischen und ewigen Liebe lassen die Frauen sich ausnutzen. So kann man Virginia Woolf verstehen, wenn sie über die Abscheulichkeit der Liebe und der Religion klagte. Aber auf kein Fall kann man behaupten, dass Bel Amis Promiskuität ihn in „reines Fleisch“ oder „pure Materie“, verwandelt hätte.

Was die „it girls“ in pure Materie umwandelt ist, dass ihre Promiskuität kein anderes Ziel als die Promiskuität selbst hat. Sie sind überzeugt, dass sie Männerfresser sind. Sie lassen sich jedoch von der Liste der Klassenschönheiten, die die Jungen anfertigen, beindrucken und manipulieren. Sie merken noch nicht einmal, dass die Liste immer die Namen der Mädchen enthält, die immer bereit waren, mit den Jungen auszugehen.

Ich wiederhole. Ich habe nichts gegen die Sorgsamkeit der Frau um ihre Schönheit. Die Schönheit um der Schönheit selbst ist eines der wichtigsten Ideale der Kunst. Trotzdem muss man eine Präzisierung hinzufügen. Die Schönheit um der Schönheit willen verlangt als „Conditio sine qua non“ die Distanz zwischen dem angeschauten Objekt und dem Individuum, das es anschaut. Die pure Schönheit ist nur pure Schönheit, wenn sie unberührte Schönheit ist. Das ist: Eine Schönheit, die kein externes Element beschmutzt hat. Wie Kierkegaard in „In Vino Veritas“ geschrieben hat: Die Frau als Gattung treibt den Mann zu den höchsten Idealen an. Die konkrete Frau in seiner Nähe, seine bessere Hälfte, aber ist an das Alltagsleben gefesselt.

Mit Recht haben sich viele Frauen gegen die Betrachtung der Frau als Ideal der Schönheit gestellt. Sie weigerten sich, marmorne Statue zu sein. Sie wollten kein Objekt werden. Sie wollten auch nicht die „Alltagsfrau“ sein; haben ihre volle Teilnahme in der Gesellschaft gefordert. Eine diese Frauen war Virginia Woolf. In ihrem Essay „Ein eigenes Zimmer“ bedauerte sie, dass die Männer ihre beste Werke den Frauen gewidmet haben, ohne jedoch ihnen ihre Unabhängigkeit zu erlauben.

Virginia Woolf verteidigt die These, dass das Heruntersteigen der Frau von dem Sockel, auf den die Männer sie gestellt hatten, nicht die Ablehnung ihrer Weiblichkeit bedeuten darf. Ich sehe mich dazu verpflichtet hinzuzufügen: Aber auch nicht die Ablehnung ihres Gehirns.

Virginia Woolf hätte nicht vermutet, dass die Frauen ihre Empfindsamkeit und ihre Kreativität vernachlässigen und stattdessen ein sinnloses Verhalten annehmen würden. Die Sinnlosigkeit dieses Verhaltens hat nichts mit seinem moralischen oder unmoralischen Charakter zu tun. Dieses Verhalten ist sinnlos, weil es kein Ziel verfolgt.
Sie verfolgen kein geistiges Ziel. Noch nicht mal ein materielles! Natürlich verachtet ein „it girl“ nicht das Geld – ganz im Gegenteil. Geld hier und jetzt, nicht mit einem auf lange Sicht angelegten Gewinnstreben. Und wenn das Geld dann aufgebraucht ist, bleibt das „it girl“ dann möglicherweise als zerbrochenes Spielzeug zurück. Anders eine Frau, die das Image des „it girls“ zielgerichtet einsetzt, um ihr Leben zu bestreiten. Sie hat ein Ziel!

Isabel Viñado Gascón

Nächstes Mal:
3.       Huxley und Virginia Woolf. Die Neuankömmlinge. Nichts Neues in Sicht…vorerst.
„Kontrapunkt des Lebens“ (1928) Huxley.

Fortsetzung folgt…
                                                                                                                                                         






















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