Hier die Ausgabe, die ich benutzt habe:
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Aldous
Huxley: „Point Counter Point“ (1923) Vintage Classics, Random
House 2004.
Auf Deutsch: “Kontrapunkt des Lebens”
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Heinrich
Heine: „Zur Geschichte der Religion und der Philosophie in Deutschland“ (1834/35)
DigBib.org. Die digitale Bibliothek.
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Friedrich
Nietzsche: „Die Geburt der Tragödie“ (1872)
-
Bertrand
Russell: „The Prospects of Industrial Civilization” (1923)
Ed. Routledge Classics. This edition first published in 1959 by George Allen
& Unwin Ltd. First published in the Routledge Classics in 2010 by
Routledge. First Indian Reprint, 2010.
Andere Titel, auf die ich in diesem Blog Bezug nehme:
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„Die Leiden des jungen Werthers“ (1774)
Goethe.
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„Faust“ Teil I (1808) und Teil II
(Posthum, 1832) Goethe.
-
„Die Wahlverwandtschaften“ (1809) Goethe
-
„Die Welt von gestern“ (1939-1941)
Stephan Zweig.
-
„Von Nutzen und Nachteil der Historie
für das Leben“ (1873) Nietzsche
-
„Kreutzer
Sonate“ (1889) Tolstoi
-
„L’ère
du vide“ (1983) Gilles Lipovetsky
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„Leben
des Galilei“ (1939) Brecht
……………………………………………
1774 veröffentlichte Goethe „Die Leiden des jungen Werthers“, 1808
erschien der erste Teil des „Faust“, 1828
in überarbeiteter Fassung. Goethe ist eine extrem bedeutende Figur für das
Verständnis der Konflikte zwischen Aufklärung und Romantik und das Scheitern
dieser kulturellen wie politischen Bewegungen.
In „Die Leiden des jungen Werthers“ kritisiert Goethe die
melancholischen und selbstzerstörerischen Posen, die aus einem unkontrollierten Romantizismus entstehen* (Note am Ende dieses Blogs).
Jahre später wird Goethe in „Faust“ die tiefe Unzufriedenheit zeigen,
die ein in sich selbst eingeschlossenes Wissen in einem Menschen verursacht.
Nietzsche wird in diese Richtung
weiter fortgehen. Der Unterschied zwischen Vernunft (apollinische Welt) und Emotion
(dionysische Welt), den er in „Der Geburt
der Tragödie“(1872) zeichnet, geht mit dem Unterschied zwischen Aufklärung
und Romantizismus einher.
Huxley nimmt Nietzsches Fackel
auf und er bewahrt sie während seinem Weg durch die Welt und das Leben. Die
große Sorge, die den englischen Schriftsteller beschäftigt, ist - wie früher
bei Nietzsche- die Entmenschlichung des Menschen.
Beide Autoren kritisieren die
Exzesse der Aufklärung sowie die Wahnvorstellungen und Launenhaftigkeit der
Romantik. Das Übermaß der Vernunft wird vor allen durch den Missbrauch der
Technik erzeugt. Die romantischen Verirrungen entstehen aus dem Missverhältnis
der Gefühle in der Liebe sowie in der Religion.
Huxley behauptet, dass die Wissenschaft uns in Barbaren des Intellekts, die
Religion in Barbaren der Seele und der Gefühle verwandelt. Seiner Meinung nach
führt die Religion zur Barbarei, weil sie sich nur um die Seele, die Zukunft
und die Resignation kümmert; Sie bietet aber weder der Gegenwart noch dem
Körper etwas an. Das Christentum hat dem Menschen die Hälfte seines Wesens geplündert.
Deshalb ist die Askese keine Lösung.
Die Wissenschaft versucht dagegen
dem Menschen die Hälfte zu entziehen, die die Religion übrig gelassen hat.
Auch entgegengesetzte Verhaltensweisen
wie die Promiskuität bedeuten keine Alternative. Aus Huxleys Sicht drücken beide
Haltungen – Askese und Promiskuität- ein und dasselbe aus: nämlich ein tiefen
Hass gegen sich selbst. Huxley weigert sich, mit dreiviertel toten Teilen von
sich selbst weiter zu leben. Er mag lieber ein ganzer und vollständiger Mensch sein.
**********
(„Point Counter Point“ Pg. 138)
She’s a barbarian of the soul, he went on. All soul and future, no
present, no past, no body; no intellect. Only the soul and the future and in
the meantime resignation. Could anything be more barbarous?
(“Point Counter Point” Pg. 156)
You hate yourselves, you hate life. Your only alternatives are
promiscuity or ascetism. Two forms of death.
(“Point Counter Point” Pg. 155)
The Christians, who weren’t sane, told people that they got to throw
half of themselves in the waste-paper basket. And now the scientists and
business men come and tell us that we must throw away half of what the
Christians left us. But I don’t want to be three-quarters dead. I prefer to be
alive, entirely alive. It’s time was a revolt in favour of life and wholeness.
**********
Die Frage besteht nun darin zu
wissen, was unter „ganzen und vollständigen Wesen“ verstanden werde kann. Die
Antwort alle dieser Autoren, von Nietzsche bis Huxley, ohne Virginia Woolf und
Oscar Wilde zu vergessen, ist, dass allein durch die ehrliche individuelle Schöpferkraft und Schaffenskraft der Mensch „Mensch“ und ein „freies und ganzes Wesen“
werden kann. Der Kunst übernimmt dabei eine zentrale Rolle. Die wahre Kunst hat
zwei Merkmale. Sie ist vor allem ehrlich und sie gestattet einen Dialog
zwischen jenen beiden Elementen, die das menschliche Tun leiten: Der Dialog
zwischen der Inspiration (das Gefühl) und der Technik (die Vernunft). Kunst ist
Ausdruck der Seele und des Intellektes. Das Experimentieren mit Formen, der
Technik und dem Material wird eine Konstante für eine ganze Generation, die mit
den alten und obsoleten Lebensbegriffen und Weltbildern ihrer Zeit brechen
will.
Analysieren wir die Gründe, aus
denen die Verachtung der Vernunft entstanden sind.
Das Einsperren der Vernunft in sich selbst
Goethe so wie Nietzsche und
Huxley, hat geahnt und bemerkt wie viele Probleme eine Vernunft zuerst in den
Individuen und dann in der Gesellschaft generieren kann, die sich nur auf sich
selbst konzentriert. Alle stimmen überein, dass ein übermassiger Intellektualismus
die volle Entwicklung des Menschen verhindert. Dafür gibt es zwei Gründe.
1.
Die Gefühle müssen in Betracht genommen
werden, weil sie Teil der menschlichen Natur sind.
(„Point Counter Point“ Pg.19)
He felt ashamed of these emotions as
he remembered them. But that was how he had felt, how he still felt. “One
should be loyal to one’s instincts. No, not to all, no to the bad ones.”
2.
Außerdem darf die menschliche Aktivität
nicht nur abstrakt sein. Sie soll auch praktische, weltzugewandte Aspekte
einschließen.
(„Point Counter Point“ Pg.145)
„I could never go back to being a
perfect lady “She used to say. “It would bore me to death. Goodness knows,
housework and managing and looking after the children can be boring and exasperating
enough. But being quite out of touch with all the ordinary facts of existence,
living in a different planet from the world of daily, physical reality –that’s
much worse.”
Rampion was of the same opinion. He
refused to make art and thought excuses for living a life of abstraction. In
the intervals of painting and writing he helped Mary with the housework.
Trotz allem bewegt sich die
gebildete Elite in Huxleys Zeit lieber in einem stagnierenden und unproduktiven
Intellektualismus. Während Huxley Kritik an der Wirkungslosigkeit der
Geisteswissenschaften äußert, stellt Nietzsche die Wissenschaft insgesamt in
den Mittelpunkt seiner Angriffe. Was Nietzsche am meisten stört, ist der Eifer
der Wissenschaften, sich in jede Angelegenheit der Realität einzumischen.
Nietzsche ist davon überzeugt, dass es für das Leben unmöglich ist aufzublühen,
weil die Wissenschaft angefangen hat, es zu beherrschen. Insbesondere spricht
Nietzsche die Geschichtswissenschaft an, der er vorwirft, eine Trennung
zwischen Geschichte und Leben verursacht zu haben. Eine solche Spaltung gipfelt
in dem bedrohlichen Satz „Fiat veritas pereat vita“ („Die Wahrheit soll werden,
und wenn auch das Leben darüber zugrunde geht.“ Übersetzung von P. Putz in F.
Nietzsche Unzeit gemäße Betrachtungen. München 1984. S.355)
Huxley wird sich in Gestalt seiner
Figur Lord Edward über die verlorene Schulzeit in Eton, als er lateinische
Verse übersetzen müsste, beschweren. Der englische Schriftsteller behauptet,
dass Bücher zu lesen, nur um die Zeit totzuschlagen, so viel Wert habe wie
Fasanen zu töten. Das Bücherlesen ist wohl kein so gewalttätiger Zeitvertrieb
wie letzteres, aber auf jeden Fall genauso nutzlos.
(„Point Counter Point“ Pg. 36)
He preferred to sit at home and read
(…). The best that could be said of it was that it kept his mind from brooding
and killed time. But what was the good of that? Killing time with a book was
not intrinsically much better than killing pheasants and time with a gun. He
might go on reading like this for the rest of his days, but it would never help
him to achieve anything.
Wahr ist, dass je mehr die Gesellschaft ihre Bemühungen auf den Erwerb von
Wissen konzentriert, desto mehr wachsen Unzufriedenheit und faustische
Frustrationen zusammen mit anderen negativen Faktoren wie der Infantilisierung
des Individuums und der Verlust seiner Instinkte.
(„Point Counter Point“ Pg.25)
At forty Lord Edward was in all but
intellect a kind of child. In the laboratory, at his desk, he was an old as
sciences itself. But his feelings, his intuitions, his instincts were those of
a little boy. Unexercised, the greater part of his spiritual being had never
developed.
All dies macht ihn unfähig, sich im realen Leben bewegen zu können. In
bestimmter Weise ist das Individuum dazu verdammt, sein ganzes Leben in einem
Laboratorium zu verbringen, weil dieses sein einziges mögliches Habitat
geworden ist. Nietzsche und Huxley sind beide der Meinung, dass das Individuum
so viel Zeit der Entwicklung seines intellektuellen Potenziales gewidmet hat,
dass sein emotiver Teil vom Nichtgebrauch verkümmert ist. Der Mensch kann nicht
mehr als vollständiges Wesen betrachtet werden. Das Individuum ist nur „fast menschlich“. Das einzige, was ihn
vom Schimpansen unterscheidet, so Huxley, ist der Umstand, dass die Schimpansen
ihren Instinkten gehorchen, während das meschliche Individuum dem Diktat der
Vernunft folge. Die Figur Phil wird in „Kontrapunkt des Lebens“ ein Beispiel dafür.
(„Point Counter Point“ Pg.100)
Once, when he had been telling her
about Koehler’s book on the apes. ‘You’re like a monkey on the superman side of
humanity,’ she said. ‘Almost human, like those poor chimpanzees. The only
difference is that they’re trying to think up whit their feelings and
instincts, and you’re trying to feel down with your intellect. Almost human. Trembling on the verge, my
poor Phil.’
Huxley - wie Nietzsche - ist sich bewusst, dass es letztlich schwieriger
ist, sein Leben insgesamt in den Griff zu bekommen, als sich lediglich dem
Studium von Sanskrit, Chemie oder Wirtschaftswissenschaft zu widmen.
Eigentlich ist das intellektuelle Leben nur ein Kinderspiel. Deshalb, sagt
Huxley, verlängern die Intellektuellen die Kinderzeit, danach werden sie
Dummköpfe bis sie, wie die politischen und industriellen Tätigkeiten durch
Jahrzehnte bewiesen haben, sich in mörderische Wahnsinnige und in wilde Tiere
umwandeln. Die unterdrückten Instinkte
und Fähigkeiten sterben nicht ab, aber sie verderben und damit führen sie zur
Barbarei. Die Leute vergraben sie sich in die Bücher und in den Universitäten,
um ihre Lebensunfähigkeit zu verstecken. Andere verhüllen ihre Untauglichkeit
lieber hinter Trunksucht und Promiskuität. In dieser Hinsicht, meint Huxley,
müsse man gerecht sein und anerkennen dass, Bücher zu lesen einen bessere
Methode sei: Sie verursachen weder einen Kater noch post-koitale Tristesse.
(„Point Counter Point“ Pg. 418)
Living’s much more difficult than
Sanskrit or chemistry or economics. The intellectual life is child’s play;
which is why intellectuals tend to become children –and the imbeciles and
finally, as the political and industrial history of the last few centuries
clearly demonstrates homicidal lunatics and wild beasts. The repressed
functions don’t die; they deteriorate, they fester, they revert to
primitiveness. But meanwhile it’s much easier to be an intellectual child or
lunatic or beast than a harmonious adult man. The rush to books and
universities is like the rush to the public-house. People want to drown their
realization of the difficulties of living properly in this grotesque
contemporary world, they want to forget their own deplorable inefficiency as
artists in life. Some drown their sorrows in alcohol, but still more drown them
in books and artistic dilettantism; some try to forget themselves in
fornication, dancing, movies, listening-in and scientific hobbies. The books
and lectures are better sorrow-drowners than drink und fornication; they leave
no headache, not of that despairing post coitum triste feeling.
Die Vernunft kommt aus sich selbst heraus.
Goethe widmet sein meisterhaftes
Werk „Faust“ der Problematik welche Schwierigkeiten auftreten, wenn der Mensch
seine ganzen Energien nur auf die
Entwicklung der Vernunft konzentriert. Die Lösung, für die sich seine
Hauptfigur entscheidet, ist auch nicht die beste. Seine Promiskuität symbolisiert
seinen Sturz in die dionysische Welt Nietzsches und - in den Begriffen Huxleys
- in den Selbsthass. Wenn der Mensch nicht nur Vernunft ist, ist er auch nicht
nur Fleisch. („Der Mensch ist, was er isst“, aber lebt „nicht vom Brot allein.“)
Fausts Irrtum liegt beruht auf
seiner Unfähigkeit, sein Leben nach dem alten griechischen Standard „Alles nach
Maß“ aufzubauen. Das Maß kommt, wie Goethe in seinem zweiten Teil zeigt, durch Arbeit.
Das Wort „Arbeit“ übernimmt eine wichtige Rolle. Arbeiten bedeutet agieren, um
ein Ziel zu erreichen. So gesehen ist Arbeit der Faktor, der der intellektuellen
Aktivität eine positive oder negative Konnotation einprägt. Dank der Arbeit
vermag die Vernunft aus sich selbst herauszukommen, ohne in den dionysischen Abgrund
zu hinabzustürzen.
Nietzsche bemerkt, dass die
Vernunft einen Teil von sich selbst vergessen hat als sie aus dem Raum, in dem
sie eingeschlossen war, herausgetreten ist. Die Konsequenz dieses
unvollständigen Heraustretens ist die Beschränkung des Wissens auf Technik. Die
wissenschaftlichen Fortschritte lösen in der Gesellschaft ein Vertrauen in die
Zukunft aus, das Nietzsche immer mit Misstrauen beobachtet hat. In der Tat, in „Die Geburt der Tragödie“, kritisiert
Nietzsche die optimistische Haltung, die
in seiner Zeit vorherrscht. Er fragt sich, ob eine solche selbstgewisse Stimmung
nicht vielmehr den Niedergang dieser Epoche verschleiert und warnt, dass dieser
epikureische Wille gegen den Pessimismus eigentlich nur die Vorsicht eines
kranken Menschen verstecke. Nietzsche behauptet, dass der Pessimismus die Art
und Weise sei wie der Mensch seine Vollkommenheit erreiche. Nietzsches große
Sorge besteht darin, dass die Wissenschaft die Angst verkörpert, sich mit dem
Pessimismus zu konfrontieren. Den Optimismus seiner Zeit bezeichnet Nietzsche
als alexandrinische Heiterkeit. Das heißt: Die Heiterkeit des theoretischen
Menschen. Seiner Meinung nach hat sich die Gesellschaft maßlos der rationalen
Welt, die er apollinische Welt nennt, zugewendet und deswegen die dionysische
Welt, die Welt der Emotionen, entweder vergessen oder verfälscht.
(„Die Geburt der
Tragödie“ S.81.)
„Die edelste Form jener anderen Form der
„griechische Heiterkeit“, der alexandrinischen, ist die Heiterkeit des
theoretischen Menschen (…)“
Nietzsche
behauptet, dass unsere moderne Welt sich gefangen in dem Spinnennetz der
alexandrinischen Kultur befindet. Deshalb folgt sie dem Ideal, für die
Wissenschaft zu arbeiten. Der gewählte Archetyp ist Sokrates.
(„Die Geburt der
Tragödie“ S.82.)
„Unsere ganze moderne Welt ist in dem
Netz der alexandrinischen Kultur befangen und kennt als Ideal den mit höchsten
Erkenntniskräften ausgerüsteten, im Dienste der Wissenschaft arbeitenden
theoretischen Menschen, dessen Urbild und Stammvater Sokrates ist.“
Nietzsche Misstrauen gegenüber den
Wissenschaft.
Dieses
Misstrauen enthält zwei Aspekte. Einerseits beunruhigt Nietzsche, dass Wissenschaft
und Wahrheit als Synonymen verwendet, obwohl sie eigentlich Gegensätze sind, da
die Wissenschaft den Pessimismus der Wahrheit versteckt. Andererseits bekümmert
ihn die Beobachtung, dass das Wissen der Wissenschaft moralisch falsch geworden
ist.
(„Die Geburt der
Tragödie“ S.9/10)
„Ist Pessimismus
notwendig das Zeichen des
Niedergangs, Verfalls, des Mißratenseins, der ermüdeten und geschwächten
Instinkte? – wie er es bei den Indern war, wie er es, allem Anschein nach, bei
uns, den „modernen“ Menschen und Europäern ist? Gibt es einen Pessimismus der Stärke? Eine intellektuelle Vorneigung
für das Harte, Schauerliche, Böse, Problematische des Daseins aus Wohlsein, aus
überströmender Gesundheit, aus Fülle
es Daseins? (…) Und wiederum: das, woran die Tragödie starb, der Sokratismus
der Moral, die Dialektik, Genügsamkeit und Heiterkeit des theoretischen
Menschen – wie? Könnte nicht gerade dieser Sokratismus ein Zeichen des
Niedergangs, der Ermüdung, Erkrankung, der anarchisch ich lösenden Instinkte
eine Abendröte? Der epikurische Wille gegen
des Pessimismus nur eine Vorsicht des Leidenden? Und die Wissenschaft selbst,
unsere Wissenschaft –ja, was bedeutet überhaupt, als Symptom des Lebens
angesehen, alle Wissenschaft? Wozu, schlimmer noch, woher –alle Wissenschaft?
Wie? Ist Wissenschaftlichkeit vielleicht nur eine Furcht und Ausflucht vor dem
Pessimismus? Eine feine Notwehr gegen – die Wahrheit? Und, moralisch geredet,
etwas wie Feig –und Falschheit? Unmoralisch geredet, eine Schlauheit?“
Es ist heutzutage
schwer Nietzsches Klage des Mangels an Pessimismus in seiner Gesellschaft zu
verstehen. Eine gute Hilfe bieten hierfür die Memoiren von Stephan Zweig: „
Die Welt von gestern. 1939-1941“.
Dort erzählt der österreichische Autor, dass die Gesellschaft seiner Kindheit eine
sozio-ökonomische Stabilität wie nie zuvor kannte. Die Entwicklung der
Naturwissenschaften ist atemberaubend. Dank ihres Fortschritts ist das Leben
der Bevölkerung viel bequemer geworden. Der Sport gewinnt an Bedeutung. Er ist
eine Herausforderung für die physischen Fähigkeiten des Menschen. Durch das
Training testen die Körper ihre Möglichkeiten und Grenzen. Wie verhält es aber
mit den geistigen Fähigkeiten des Individuums wirklich? Sind die
Naturwissenschaft der Ort, wo der Intellekt versucht, Wissen zu erreichen oder
eher eine Aktivität, die einfach nur Technik geworden war? Eine Aktivität, die
nur Wohlstand schafft, aber nicht Wahrheit anbietet? Die technologische
Entwicklung bringt den Arbeitern mehr Freizeit und begünstigt die Ausbreitung hedonistischen
Verhaltens, aber reflektiert dies auch das wahre Glück des Individuums oder
handelt es sich eigentlich nur um eine Sinnestäuschung? Nietzsche war einer der
ersten, der die Frage gestellt hat, ob mehr Komfort und mehr technologischer
Fortschritt ein Wachstum der Vollkommenheit des Individuums mit sich bringt. Er
war auch eine der ersten, der die Gültigkeit dieser Prämisse bestritten hat.
(„Die Geburt der Tragödie“) „(…) heute würde ich sagen, dass es das Problem der Wissenschaft selbst war –
Wissenschaft zum ersten Male als problematisch, als fragwürdige gefasst.“
Die
Fokussierung des Wissens auf nur einen Aspekt - die Technik – provoziert zuerst
die Banalisierung des Wissens und infolgedessen einen Verlust in Wert und einen
Zugewinn in Oberflächlichkeit.
Eine
zweite Konsequenz zeigt sich darin, dass die akademischen Studienpläne sich
daran ausrichten, mit der Vermarktung wissenschaftlicher Ergebnisse ökonomische
Gewinne abzuwerfen. Das bedeutet, wie Nietzsche in „Von Nutzen und Nachteil der
Historie für das Leben“ ausführt, eine zu schnelle und oberflächliche Bildung
der Studenten, die verhindert, dass sie wahre Denker werden können.
In der
Tat, Forscher werden zu Fließbandproduzenten. Von ihnen wird erwartet, dass sie
regelmäßig neue Ergebnisse liefern. Nietzsche ist der Auffassung, dass es, wenn
die Forscher für die „wissenschaftliche Fabrik“ anfangen zu arbeiten, bevor sie
die notwendige Reife erreicht haben, nicht sehr lange dauern wird bis die
Wissenschaft stirbt - genauso wie es mit den Sklavenfabriken passiert ist.
Nietzsche bedauert, dass ökonomische Begriffe zu benutzen, aber sie kommen ihm
- wie er sagt – von selbst auf die Zunge. Seine Bilanz ist, dass die
Mittelmäßigkeit immer mittelmäßiger und die Wissenschaft immer nutzbarer in
ökonomischen Sinn wird.
Nietzche
behauptet, dass die Wissenschaft unter denselben Problemen leidet, die die gerade
angesprochene Unreife verursacht haben. Der
aktuelle Mensch kann das Übermaß an Wissen nicht richtig verdauen. Er
schlingt herunter ohne Hunger und ohne Not. Die Folge davon ist, dass er übersättigt
wird. Das verschlungene Wissen bleibt unstrukturiert und chaotisch. Im modernen
und deformierten Menschen steckt in seinem Inneren
nur wüstes Wissen, ohne die Möglichkeit nach draußen gehen zu können. Deshalb
ist die moderne Bildung nichts Lebendiges. Sie ist eine einfache Aneignung der
Peripherie des Wissens. Sie hat nichts gemein mit wahrer und kräftiger Bildung.
Gerade
hierin unterscheidet sich der moderne Mensch vom griechischen Menschen.
Nietzsche meint, dass sich die aktuelle Bildung als ein Handbuch über die innere
Bildung für die äußere Barbarei darstellt.
Die
Erklärung dieses Phänomen ist einfach. Da es keine Einheit zwischen dem Inneren
und dem Äußeren gibt, kann sich der Mensch weder von dem „Überreichlichen“
distanzieren, noch vermag er es zu verdauen. Das Gelernte wird sich nicht zu
Leben umwandeln. Da das
Gelernte keine externe Wirkung produzieren kann, fällt das Individuum in einen
Zustand, den Nietzche „Wust“ nennt.
Das
Individuum gewöhnt sich schließlich daran, die Wirklichkeit nicht ernst zu
nehmen. Das Reale, das Bestehende beeindruckt ihn immer weniger. Das macht aus ihm
eine schwache und konfuse Persönlichkeit, die sich bald als ersten Mensch, bald
als letzten Menschen – also am entweder am Anfang oder am Ende der Geschichte -
betrachtet. Äußerlich ist er immer bequemer und gleichgültiger.
Der
Bruch zwischen Inhalt und Form verhindert, dass der Mensch die Grenze zur
Barbarei erkennen kann.
Die Infantilisierung und der Verlust der
Instinkte potenzieren Zynismus und Demagogie.
Auf
Nietzsche Sicht vertrauen sich die Individuen selbst nicht mehr. Stattdessen
suchen sie Masken, um sich darunter zu verstecken; ganz gleich, ob Mensch von
Bildung, Dichter oder Politiker. Die Demaskierung zeigt nur Flicken. Man
spricht von freien Persönlichkeiten, aber nirgendwo sieht man freie Wesen. Man
sieht nur ängstliche Menschen, die unter dem Begriff „universale Menschen“
Zuflucht suchen. Das Individuum hat sich in sich selbst zurückgezogen. Aus der
Geschichte kommen nur Geschichten, aber kein Ereignisse.
Je
schwächer der Instinkt der Kreativität wird, desto mehr gewöhnt sich das
Individuum daran, die Ironie über sich selbst zu benutzen. Solche Ironie mündet
in Zynismus. Dort reift immer eine egoistische Handlung, die die Kraft des
Lebens bis hin zu ihrer Zerstörung bremst
Huxley
seinerseits wirft dem Zyniker vor, dass er sich selbst zu einer Welterfahrung
nur zur Hälfte verurteilt, weil er nicht in der Lage zu beachten, dass es mehr
Erfahrungen gibt, als nur körperliche.
(„Point Counter Point“ Pg.80)
„A great artist“ (…) is a man who synthesizes all experience.
The cynic sets out by denying half the facts –the fact of the soul, the fact of
ideals, the fact of God” (…) “The cynic confines himself to only half the world
of possible experience. Less than half. For there are more spiritual than
bodily experiences.”
Die
Wirkung der individuellen geistigen Armut ist der Zynismus. Die Wirkung der kollektiven
geistigen Armut ist die Demagogie.
Was die
Demagogie betrifft behauptet Nietzsche, dass sie aus der Unreife der
Kollektivität und aus der begrifflichen Trivialität ihres Sprachgebrauchs entsteht.
Der
Humanismus, sagt Huxley, verfügt über die Worte als essenzielles Werkzeug.
Diese Worte aber drücken dieselbe gedankliche Leere aus, die danach auch viele
wissenschaftliche Experimenten zeigen werden. Das alles bedeutet den Triumph
des Zynismus in der Persönlichkeit und den Triumph der Demagogie in der
politischen Sphäre. In Goethes Meisterwerk „Faust“ gibt Mephistopheles Faust
den Rat, ein Wort an die Stelle des fehlenden Gedanken zu setzen.
Das
Schrecklichste liegt nun darin, dass diese leeren Worte vermöge der Medien nie
vorher gekannte Verbreitung erleben. Je mehr die Worte austrocknen, desto mehr
breitet sich die intellektuelle Leere aus. Nicht nur das: Die Worte sind nicht
mehr die Werkzeuge der Reflexion. Sie haben sich in Propaganda-Waffen verwandelt.
Aber die
Worte sind nicht die einzigen Faktoren, um die Massen zu beeinflussen. Huxley beleuchtet
in seinem Buch „Kontrapunkt des Lebens“ die Übermacht der ästhetischen Elemente
über die Ideen, auch wenn sie nichts mit der wahren Kunst gemeinsam haben. Marjories
unerträgliche Stimme zum Beispiel steht ihrer Akzeptanz in der Gesellschaft
entgegen. Dagegen hilft Webleys schöne Stimme ihm seinen politischen Erfolg zu
erreichen, trotz der totalitären Ideen seiner politischen Programmatik. Der Grund dafür ist, dass diese Gesellschaft
kaum daran interessiert ist, was gesagt
wird. Eher kümmert sie sich darum, wie
etwas gesagt wird.
(„Point Counter Point“ Pg. 447)
“His
voice took you in the solar plexus.”
Huxley ist sich - wie seine Figur, der Kommunist
Illidge - der immer wichtigeren Rolle des äußeren Erscheinungsbildes und der
Manipulationsfähigkeiten der Medien bewusst. Er weiß, dass externe Merkmale –
eine klare Stimme und eine elegante und feierliche Haltung - mehr als die Wahrheit zum Erfolg beitragen.
Seine Hauptfigur Philip behauptet, dass es in der
physische Welt möglich ist, das Ganze in kleinere Teile zu trennen. Aber Huxley
lässt ihn daran zweifeln, dass gleiches in einer ethischen Welt gemacht werden
kann. Noch viel weniger, wenn diese ethische Welt sich in eine ästhetische Welt
verwandelt hat.
Huxley
verschweigt nicht seinen Pessimismus in Bezug auf die zukünftige Entwicklung
des Menschen. Das Desinteresse für das Wissen kann man nicht nur einer einzigen
sozialen Klasse zuschreiben. Es betrifft alle Ebenen der Gesellschaft. So
protestiert Illidge als Lord Edward sein Arbeitszimmer verlässt, um im Salon
Musik zu hören. Illidges Bedenken aber entstehen nicht gerade aus seiner Liebe
zur wissenschaftlichen Arbeit Lord Edwards – beide waren dabei, eine Eidechse
zu sezieren. Im Gegensatz zu Lord Edward aber lässt die Schönheit der Klänge
Illidge gleichgültig. Ihm macht nur Sorgen, nicht passend genug für den Anlass gekleidet
zu sein.
Wie ich schon
vorher bemerkt habe ist Huxley nicht davon überzeugt, dass die unteren sozialen
Klassen der Motor der Gesellschaft werden können. Ihnen fehlen die ökonomische Macht, die Tradition und die
individuelle Moral. Huxley gibt zu, dass sie als Masse Revolte organisieren
können. Aber die Gesellschaft zu verbessern, das können sie nicht. Es fehlt
ihnen die Ethik des Einzelnen.
Die Ideologie
bringt auch keine Lösung. Kapitalismus, Sozialismus und Kommunismus verfolgen
eigentlich das gleiche: Fortschritt.
Der
Fortschritt und die Industrie
Der Fortschritt
geht in nur eine einzige Richtung: in die Richtung des industriellen
Fortschritts.
Huxley und
andere Denker seiner Epoche wie Bertrand Russell sind davon überzeugt, dass
eines der Schlüsselelemente in einer industriellen Struktur die Organisation
der Gesellschaft ist.
-
Einerseits führt diese Organisation zur
Domestikation des Individuums.
(„Point
Counter Point“ Pg.121)
“Even
the War (…) It was a domesticated outrage. People didn´t go and fight because
their blood was up. They went. Man is they were told to; they went because they
were good citizens. Man is a fighting animal (…) But what I complain of ist hat
he´s a domestic animal (…) It´s factories, it´s Christianity, it´s science,
it´s respectability, it´s our education (…) They weight on the modern soul.
They suck the life out of it.”
-
Anderseits führt der organisierte
Betrieb der Gesellschaft zur Uniformierung der Gedanken und beschränkt die
Freiheit, die der Intellekt benötigt, um sich richtig entwickeln zu können.
Wenn Nietzsche
die Gefahren der Technologie vorgeahnt hatte, so wird Huxleys Generation sich
mit ihnen auseinandersetzen müssen und zwar in einem Maß, das noch nicht mal
der exaltierte deutsche Schriftsteller hätte
denken können.
Ab einem
bestimmten Punkt wird die Verbesserung der Lebensumstände zu einem Bumerang gegenüber
dem Individuum selbst. Dieses Individuum, das seine Instinkte vernachlässigt
hat um sich der Intellektualität zu widmen, muss nicht mehr seine eigenen
Fähigkeiten entwickeln. Wichtig ist nur der Erfolg der technologischen
Forschungen. Die ganze Gesellschaft organisiert sich, um dieses Ideal zu erreichen.
Die Arbeit hat ihren Wert als Symbol der Bemühung um menschliche
Würde auf der Ebene der Produktivität sowie auf der moralischen Ebene verloren.
Sie kann nicht mehr sein, was sie für Goethe, Nietzsche und Tschechow gewesen war:
eine Befreiung, eine Rettungsquelle, sogar eine Erlösung. Im Vers 11935 des
Faust zweiter Teil schreibt Goethe: „Wer immer strebend sich bemüht / den
können wir erlösen“. Nietzsche merkt in
„Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ an, dass die Würde, die grandezza eines Menschen nicht vom
Erfolg abhängig ist. Er nennt Demosthenes als Beispiel dafür: Er wäre auch dann
ein hervorragender Mann gewesen, wenn er den sozialen Aufstieg nicht geschafft
hätte. Andere Schriftsteller werden diese Denkweise teilen. Einer davon ist mit
Sicherheit Tschechow (1860–1904). Er meint, dass in der sinnlosen menschlichen
Existenz, die Arbeit der einzige Faktor ist, der ihr einen Sinn geben kann.
Dass die Arbeit in der Moderne
die Funktion der Erlösung für die menschliche Existenz nicht mehr haben kann, liegt
daran, dass die Arbeit mechanisierte Arbeit geworden ist. Die handwerkliche
Arbeit hat sich in automatisierte Arbeit verwandelt. Das Individuum kann kein
persönliches Element mehr einbringen. Der Handwerker ist ein Fabrikarbeiter
geworden. Das heißt, eine Schraube mehr in der Fließbandfertigung. Jederzeit
kann er ausgewechselt werden, ohne dass das Endresultat sich dafür veränderte.
Der Arbeiter ist nicht mehr als ein Teil im Räderwerk. Er muss gut funktionieren, wenn er nicht aus dem
Organigramm – wozu die Gesellschaft geworden ist - heraus fallen will.
Extravaganz und Exzentrizität
werden nur in bestimmten Zirkeln toleriert; vor allem als Zweck zur Vermarktung
von Kunst. Die Kunst ist eine Massen-Kunst geworden. Sie muss darauf achten,
was die Massen mögen und schaffen, was die Massen mögen könnten. Die Kunst ist
Mode. Die Mode ist Tendenz.
In anderen gesellschaftlichen
Bereichen werden Extravaganz und Exzentrizität nicht gut angesehen. Gerade
deshalb distanziert sich Huxley von den kommunistischen Ideen. Seiner Meinung
nach versucht die marxistische Ideologie, nicht die industriellen Strukturen zu
zerstören oder wenigstens zu verändern. Sie strebt nur an, die Diktatur einer
bestimmten sozialen Klasse - die des Proletariats – in diese industriellen
Strukturen zu implantieren. Außerdem verhindert diese Ideologie jedes
abweichende Verhalten, egal ob dieses aus Humor oder Genialität stammt. Und so
kann der Kommunist Illidge behaupten, dass nur das Geld Lord Edward vor dem
Irrenhaus gerettet hat.
Es ist wahr, dass in der sozialen Treffen der besseren Kreise Heuchelei geübt und mit
dem Schein gespielt wird. Aber es gibt große Unterschiede zwischen der Heuchelei,
die die gesellschaftlichen Konventionen verlangen und dem Zwang auf ein bestimmtes Verhalten, der
von einer Ideologie oder Religion erzeugt wird.
Ähnlich verhält es sich mit dem
Wahnsinn. Manchmal ist es nicht einfach die Grenzen zwischen Wahnsinn und Genialität
zu bestimmen. Trotzdem existiert zwischen Lord Edwards Exzentrizität und pathologischem
Wahnsinn ein gewaltiger Unterschied, den zu erkennen Illidges Sozialneid
verhindert.
Huxley kritisiert das Beharren auf einer ökonomischen Betrachtung jeden
Verhaltens, jeder Handlung; jede Lebensbereiche durch ökonomischen Argumente zu
erklären.
„Zwei-Kammer“-Doktrin
Huxley sucht eine Lösung, damit
die Individuen ihre sozialen und kreativen Instinkte weiter entwickeln können.
Er schlägt vor, dass die Individuen ihre Arbeitszeit vom Rest ihres Lebens
strikt auseinander halten. Das heißt: Sie müssen akzeptieren, dass sie während
ihrer achtstündigen Arbeitszeit Dummköpfe sind. Sie sollen arbeiten, ohne zu
erwarten, dass diese Arbeit irgendwelchen Sinn hat. In ihrer Freizeit aber müssen
sie sich bemühen, ihre eigene Individualität weiter zu entwickeln. Um nicht in
die Unmenschlichkeit zu fallen,– sagt Huxley- muss der Mensch in einer
Gesellschaft wie unserer seine Existenz in zwei verschiedenen und getrennten „Kammern“
(two compartments) aufbauen. In der einen muss seine Persönlichkeit die
Entfremdung ertragen, in der anderen
muss er seine individuelle Freiheit entwickeln.
(„Point Counter Point“ Pg.393/394)
“The root of the evil´s in the individual psychology; so it´s there, in
the individual psychology, that you´d have to dualistically, in two
compartments. In one compartment as industrialize workers, in the other as
human beings. As idiots and machines for eight hours out of every twenty-four
and real human being for the rest.”
“Don´t they do already?”
“Of course they don´t. They live as
idiots and machines all the time, at work and in their leisure. Like idiots and
machines, but imagining they´re living like civilized humans, even like gods.
The first thing to do is to make them admit that they are idiots and machines
during working hours. (…) Admit it´s dirty, hold your nose and do it for eight
hours and then concentrate on being a real human being in your leisure. A read
complete human being. Not a newspaper reader not a jazzer, not a radio fan. The
industrialists who purvey standardized ready-made amusements to the masses are
doing their best to make you as much of a mechanical imbecile in your leisure
as in your hours of work. But don´t let them. Make the effort of being human
(…) You´ve got to persuade everybody that all this grand industrial
civilization is just a bad smell and that the real significant life can only be
lived apart from it. It´ll be a very long time before decent living and
industrial smell and that the real, significant life can only be lived apart
from it. It´ll be a very long time before decent living and industrial smell
and that the real, significant life can only be lived apart from it. It´ll be a
very long time before decent living and industrial smell can be reconciled. Perhaps, indeed, they´re irreconcilable.
Huxley ist
bewusst, dass diese Lösung in der Praxis nicht leicht durchführbar ist. Sie
garantiert auch nicht den Erfolg des beabsichtigen Erreichens der
Individualität.
Einer der Gründe sind die gesellschaftlichen Strukturen, die die
Industrialisierung geschaffen hat. Goethe, Nietzsche, Huxley, Russell und die
meisten Denker seit der Aufklärung haben beobachtet, dass dieselbe Vernunft,
die den Menschen humanisiert auch die ist, die ihn dehumanisiert. Der Verlauf
der Geschichte bestätigt ihre Ängste. Die Technik, die den Menschen von der
überhaupt nicht so bukolischen Landarbeit befreit hat, ist auch diejenige, die die
blutigsten Massenschlachten und die wildeste Gewalt ermöglicht. Die Vernunft
verlangt von dem Individuum die Entwicklung seiner Fähigkeiten und gleichzeitig
beansprucht sie seine Domestizierung, um die rationelle Gesellschaft
aufzubauen. Eine rationelle Gesellschaft, die
Synonym der „industrielle Gesellschaft“ geworden ist. Dieselben Bücher
und dieselben Studien, die dem Mensch die Freiheit anbieten, nehmen ihm die
Freiheit ab. Sie führen das Individuum in rigide Schemata und in ein
diszipliniertes Leben hinein, die das industrialisierte Leben absichern. Die
Vorteile, die eine solche Kultur anbietet, sind fraglich. Das Unheil, die sie
anrichtet, ist unbestritten. Solche Gesellschaft benötigen Sklaven- Strukturen,
um sich auf Dauer zu behaupten.
Nietzsche war einer der ersten, der dieses Phänomen bemerkte.
(„Die Geburt der Tragödie“ S. 83)
„Man soll es merken: die alexandrinische Kultur braucht einen Sklavenstand,
um auf die Dauer existieren zu können.“
Zwei schwerwiegende Folgen der
Industrialisierung sind:
-
die
Einschränkung und der Verlust der individuellen Freiheit, weil
eine industrialisierte Gesellschaft einen starken Organisationsgrad braucht.
In „Kontrapunkt des Lebens“ wird
der soziale Außenseiter Spandrell zum wahren Urheber der Freiheit. Damit
wiederholt Huxley, was schon Nietzsche behauptet hatte: Nicht „die Menschen“,
sondern „der Mensch“ ist der Held. Spandrell ist bekannt für sein sozial
unangepasstes Verhalten. Dieses ist Konsequenz der Traumata, der die Hochzeit
seiner Mutter in seiner Pubertät verursacht hat. Spandrell aber wird letztlich das
Individuum, das England vor dem Faschismus retten wird. Vielleicht ist Spandrell
der letzte Mensch, von dem Nietzsche spricht. Wer weiß!
Die Helden sind jene, die sich
auf der gefährlichen Linie bewegen, die die rationale Welt mit der emotionalen
Welt verbindet und gleichzeitig von ihr trennt.
-
Die zweite Folge ist die Uniformierung und Infantilisierung der
Gesellschaft. Die Gesellschaft wird sich in eine Massengesellschaft
umwandeln. Diese Massengesellschaft fordert die Vermassung der Unterhaltungen
und der hedonistischen Bedürfnisse.
Unterhaltung wird als Ware
produziert, um von den Menschen konsumiert zu werden. Unterhaltung wendet sich
gegen das Individuum. Die „Klassengesellschaft“ verwandelt sich in eine
„Massengesellschaft“.
Gerade an diese
Massengesellschaft denkt Huxley, wenn er vor den Zeitungen und der Jazz- Musik (sic!)
warnt. Die Zeitungen sind die Kanäle, die die Machtgruppen benutzen um ihre
Ideen in die Gesellschaft zu übertragen. Die Jazz-Musik symbolisiert für Huxley
die Uniformierung und Popularisierung in
der Unterhaltung.
Nietzsche beklagt, dass der moderne
Mensch nur ein Zuschauer ist. Deshalb könne er nicht in Leben umwandeln, was er
gelernt hat. Nietzsches Meinung nach ist der moderne Mensch bloß ein
genießender und herumwandelnder Zuschauer. Die verschiedenen Ideen haben
aufgehört verschiedene zu sein. Stattdessen haben sie sich zur „öffentliche
Meinung“ vereinheitlicht. Selbst die Wissenschaft gerät in ihre Abhängigkeit. Zeitungen
und Bücher verändern ihren Inhalt in Funktion der dominanten öffentlichen
Meinung. Mit der Fälschung der Fakten und der Narrative der Geschichte wird
sich George Orwell in seinem Werk „1984“, 1948 veröffentlicht,
beschäftigen.
Die Schlussfolgerung ist, dass
der Fortschritt keine Verbesserung der Kultur mit sich bringt. Eher das Gegenteil:
ihre Verflachung. Was für Huxley in der Musik der Jazz ist, ist für ihn in der
Kunst der Kubismus.
(„Point
Counter Point“. Pg.396)
„And the whole thing painted in the cubist manner“, said Rampion, “so as
to make quite sure that there should be no life in it whatever. Nothing like
modern art for sterilizing the life out of things. Carbolic acid isn´t it.”
Die Mittelmäßigkeit umwickelt
jeden Aspekt der sozialen, kulturellen und moralischen Realität. Nietzsche sagt: „Die Kärrner haben unter sich einen Arbeitsvertrag
gemacht und das Genie als überflüssig dekretiert - dadurch, dass jeder Kärrner
zum Genie umgestempelt wird.“ (Vom
Nutzen und Nachteil der Historie, S. 151)
Die Gelehrten können nur Karriere
machen, wenn sie Pöbel, nicht aber, wenn sie wirkliche Gelehrte sind.
Huxley ist mit Nietzsche
einverstanden. Seiner Meinung nach hat die industrialisierte Gesellschaft alle
Mängel einer exzessiv intellektualisierten Gesellschaft und keine ihrer
Tugenden. Die für sie notwendige Effektivität verlangt ein Organisationsmodell,
in dem die individuelle Genialität keinen Platz mehr haben kann.
(„Point Counter Point. Pg. 395)
For the only thing they´re all agreed on excellence of the industrial
stink and the necessity of standardizing and specializing every trace of
genuine manhood or womanhood out of the human race.
The whole of modern civilization is based on the idea that the
specialized function which gives a man his place in society is more important
than the whole man, or rather is the whole man, all the rest being irrelevant
or even (…) positively harmful and detestable. The low-brow of our modern
industrialized society has all the defects of the intellectual and none of his
redeeming qualities.
Die Kritik, die Nietzsche und
Huxley an der Herrschaft der Vernunft üben, bedeutet aber keineswegs, dass sie
die Herrschaft der Emotionen verteidigen. Was beide Autoren mit ihren Thesen
verteidigen, ist die Bedeutsamkeit des Gleichgewichts zwischen beidem. Beide
bilden den Kern des menschlichen Wesens und nur wenn sie harmonisch auftreten
kann der Mensch vollkommen und glücklich sein. Nur so kann der Mensch Mensch
sein.
Viele Kritiker sind überzeugt,
dass Nietzsche der dionysischen Welt den Vorrang gibt. Die Wahrheit aber ist,
dass eine solche Idee nur als radikaler Protest gegen eine Vernunft, die zur
Tyrannin geworden ist, gesehen werden kann. Seine Absicht war es nie, eine
Tyrannin zu besiegen, um eine andere an ihrer Stelle zu platzieren. Schon in
die „Die Geburt der Tragödie“, warnt
Nietzsche vor den Gefahren der Erforschung der dionysischen Welt. Er wusste
besser als jeder andere wie dunkel die dunkel Seite einer solchen Welt werden
kann. Deshalb ist in seinem Denken die Figur des Helden so wichtig. Der Held
repräsentiert den ganzen Menschen. Er bleibt an der Grenzlinie, ohne in eine
von beiden Welten – die apollinische oder die dionysische - zu fallen. Der Held
ist derjenige, der trotz aller Schwierigkeiten das Gleichgewicht bewahrt.
Huxleys geht in dieselbe
Richtung. Wenn die emotionelle Seite dominieren würde, würden wir alle
„mondsüchtig“. („Point Counter Point“. Pg. 155)
Der Mensch muss ein Produkt des
Gleichgewicht zwischen zwei Elementen sein: emotionellen und intellektuellen.
(In Nietzsches Worten: apollinische und dionysische Welt). Ihr Zusammenspiel ist
das, was den Begriff „Mensch“ definiert und was die Zivilisation ermöglicht.
(„Point Counter Point“ Pg. 135)
„Blake was civilized“ (…) civilized.
Civilization is harmony and completeness. Reason, feeling, instinct, the life
of the body – Blake managed to include and harmonize everything. Barbarism is
being lop-sided.
(“Point Counter Point” Pg. 135/136)
He spoke of the Greeks. “They
were civilized (…) they knew how to live harmoniously and completely with their
whole being.”
Wie Nietzsche in „Die Geburt der Tragödie“ zeigt ist dieses
Gleichgewicht schwierig zu erreichen; noch komplizierter, es zu bewahren.
Seiner Meinung nach besitzt nur
der Held die Fähigkeit, das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Welten zu
halten. Er partizipiert an der dionysischen (emotionellen) Welt sowie an der
apollinischen (rationellen) Welt, ohne
einer von ihnen ganz anzugehören. Er bleibt an der schmalen und komplexen
Linie, die beide Bereiche trennt.
Der Held, der diese Idee am
besten symbolisiert, ist Prometheus. Prometheus übernimmt von Apollo die
Individualisierung und die Grenzen der Gerechtigkeit. Da er aber diese Grenzen
überschreitet und mehr von den Göttern verlangt, ist er dionysisch.
(„Die Geburt der Tragödie“. S.51)
„Und so möchte das Doppelwesen des äschyleischen Prometheus, seine zugleich
dionysische und apollinische Natur in begrifflicher Formel so ausgedrückt
werden können: Alles Vorhandene ist gerecht und ungerecht und in beidem gleich
berechtigt.“
Nietzsche stellt dem Helden die Figur des Sklaven gegenüber. Der Sklave
verkörpert in Nietzsches Philosophie den Menschen, der sich nicht anstrengt,
weil er kein Ideal, kein Streben hat. Weder die
Vergangenheit noch die Zukunft haben einen Sinn für den Sklaven. Tolstoi schreibt in seiner Erzählung „Kreutzer Sonate“ (1889), dass die
Ewigkeit für derjenigen notwendig ist, der etwas unternehmen möchte; und fragt
rhetorisch wozu jemand, dessen einzige Sorge seine eigene Existenz ist, die Ewigkeit möchte.
Nietzsche beklagt die Mutlosigkeit
und Verzagtheit des Sklaven. Huxley wird das neue Autoritätsprinzip seiner
Gesellschaft kritisieren: das Organisationsprinzip. Dieses Prinzip beabsichtigt
die komplette Regulierung der Gesellschaft bis zum kleinsten Detail. Huxley
behauptet ironisch, dass die schlechte Qualität der Gedichte seiner Zeit auf die
mangelhafte Organisation der „Dichtungsindustrie“ zurückzuführen sei. Sogar der
impotente Geliebte rechtfertige sich gegenüber seiner empörten Freundin und
versichert ihr, dass das nächste Mal seine Organisation perfekt sein werde!
(„Die Geburt der Tragödie“ S. 56)
(…) die Heiterkeit des Sklaven, der nichts Schweres zu verantworten, nichts
Großes zu erstreben, nichts Vergangenes oder Zukünftiges höher zu schätzen weiß
als das Gegenwärtige.
(„Point Counter Point“ Pg.42)
„Not well enough organized“ Spandrell went on contemptuously. “At least
you´re modern in your excuses. The great god organization. Even art and love
will soon be bowing down like everything else. Why are your verses so bad?
Because the poetry industry isn´t well enough organized. And the impotent lover
will excuse himself in the same way and assure the indignant lady that, next
time, she´ll find his organization perfect.”
Bedauerlicherweise ist die Zahl
der wahren Helden immer knapp gewesen. Nietzsche unterscheidet zwischen Helden
wie Prometheus und Helden wie Adam. Prometheus tritt offen auf, um gegen die
Hindernisse der menschlichen Entwicklung zu kämpfen. Adam versucht seine Fehler
zu verstecken.
Brecht hätte seinem Landsmann
Nietzsche erklärt, dass List und Trug nötig sind, wenn das Individuum nicht
genügend Kräfte hat, um sich gegenüber der Tyrannei der Götter und Herrscher zu
behaupten. Sein Anti-Held Galilei hat mit angesehen wie Giordano Bruno auf dem
Scheiterhaufen stirbt. Giordano Brunos einziges Verbrechen war es, wissenschaftliche
Wahrheiten zu beweisen, die mit der kirchlichen Doktrin nicht übereinstimmten.
Galileo ist bewusst, dass das Individuum nie genügend Kraft hat, um sich selbst
und allein aus der Unterjochung zu befreien. Deshalb ist die List erforderlich,
sogar die Lüge. Die Finten ermöglichen das einzige zu retten, was ein
Individuum wirklich besitzt: das Leben.
Gegenwart
Was wir bis hier gesehen haben,
waren die Probleme, die die Denker seit dem XVIII. Jahrhundert bis zu unseren
heutigen Tagen beschäftigen. Ich benutze das Wort „Denker“ und nicht
„Intellektueller“, weil „Denker“ auf Anstrengung und individuelle Aktivität
hindeutet, während „Intellektueller“ eher den sozialen Aspekt des Denkens
bezeichnet.
Mich wundert immer wie wenig
unsere Gesellschaft sich seit Goethes Zeit verändert hat. Die Kernprobleme sind
nach wie vor dieselben.
Wir verfügen – es ist wahr- über mehr Wohlstand und die
Reisemöglichkeiten sind enorm gestiegen. Die Entfernung zwischen den verschieden
sozialen Klassen ist kleiner geworden. Trotz der aktuellen wirtschaftlichen
Krise, die das Überleben der Wohlstandgesellschaft bedroht, können viele
Europäer immer noch von ihren Vorteile profitieren.
Die schwierigste Herausforderung
ist die Bildung und Entwicklung der individuellen Persönlichkeit. Wir glauben,
dass wir einzig und frei sind. Eigentlich sind die Uniformierung und die
Kontrolle die wichtigsten Merkmale unserer Gesellschaft. Die Massenunterhaltung
beansprucht die meisten unserer Freizeitaktivitäten. In Spanien hat die
Jugendarbeitslosigkeit eine neue Generation erschaffen, die als „ni- ni“
bekannt ist. Der Begriff „ni-ni“ spielt auf
die Situation dieser Jugendlichen an, die weder arbeiten noch lernen. Leider
hat die Arbeitslosigkeit keine neue Generation von Künstlern und Literaten
hervorgebracht. Das ist kein spezifisch spanisches Problem. Die gegenwärtige
Kunst ist meistens banal und oberflächlich, auch wenn sie selbst überzeugt ist,
tiefe und kritische Gedanken zu übermitteln. Schon Nietzsche bedauerte, dass die
modernen Menschen nicht einmal wissen, welche ihre eigenen Kräfte sind. Die
Popularisierung des Wissens hat keine reflektierte Bildung, sondern nur neue
Wünsche zu konsumieren mit sich gebracht. In dieser Hinsicht lautet die Devise
unserer Tage: „Es ist wert, alles was sich verkauft“; eigentlich sollte die
Devise lauten „Es verkauft sich, alles was wert ist“.
Die Schnelligkeit schadet nicht
nur der wissenschaftlichen Forschung, wie Nietzsche klagte. Sie hat sich in
allen Lebensbereiche ausgedehnt. Die Geschwindigkeit symbolisiert für junge
Leute wie Lucy die absolute Freiheit. Aber man kann nicht zu einem Ort gehören,
wenn man sich dort kaum aufhält. Es können keine emotionellen Konflikte auftauchen,
wenn jemand sich zwischen den Menschen bewegt, ohne eine tiefere Verbindung mit
ihnen aufzubauen, ohne unter ihnen angesiedelt zu sein.
In der Ära des „Fast Food“
erweckt das Wissen kaum Interesse mehr. Die Ausarbeitung des Wissens verlangt
zu viel Zeit. Das Wissen ist aus dem engen und dunklen Zimmer Fausts Zimmer in die Außenwelt herausgetreten, um nur
isoliert und verachtet am Rande der Gesellschaft zu bleiben. Die Situation des
Wissens ist hier schlimmer als früher im faustischen Studierzimmer. Wenigstens
fühlte es sicherer und bequemer. Es war allein, aber es war unabhängig. Es
konnte sich besser auf seine Aufgabe konzentrieren. Draußen ist die Musik zu
laut, das Chaos zu groß. Das Wissen ist so allein wie immer, aber es kann nicht
mehr richtig arbeiten.
(„Point Counter Point“ Pg. 267)
„Romantic, romantic!“ she jeered. “You think in such an absurdly
unmodern way about everything. (…) Try to be a little more up to date.
“I prefer to be human.”
“Living modernly´s living quickly” she went on. “You can´t cart a
wagon-load of ideals and romanticisms about with you these days. When you
travel by aeroplane, you must leave your heavy baggage behind. The good
old-fashioned soul was all right when people lived slowly. But it´s too
ponderous nowadays. There´s no room for it in the aeroplane.”
“Not even for a heart?” asked Walter. “I don´t so much care about the
soul”. He had cared a great deal about the soul once. But now that his life no
more consisted in reading the philosophers, he was somehow less interested in
it. “But the heart”, he added, “the heart…”
Lucy shook her head. “Perhaps it´s a pity”, she admitted. “But you can´t
get something for nothing. If you like speed, if you want to cover the ground,
you can´t have luggage. The thing is to know what you want and to be ready to
pay for it. I know exactly what I want; so I sacrifice the luggage. If you
choose to travel in a furniture van, you may. But don´t expect me to come along
with you, my sweet Walter. And don´t expect me to take your grand piano in my
two-seater monoplane.”
Worum dreht es sich? Lucy wird immer
weiter wiederholen. Sie hat kein Interesse daran, sich ausufernde Begründungen eines Argumentes
anzuhören.
(„Point Counter Point“ Pg. 356)
Descriptions are slow. A face is instantaneously perceived. A word, a
single phrase –that was one need (…) No long-winded description. (…) “All the
same,” he same thought, “it´s too literary. Too much culture.”
Die Axiome
unserer Zeit sind Geschwindigkeit und Konsumismus – beides Erfolgsfaktoren der
industriellen Produktionssteigerung.
1983 veröffentlichte
Gilles Lipovetsky sein Buch « L´ère du vide. Essais sur le individualisme
contemporain. » Er klagte darüber, dass die Jugendliche heutzutage nicht
lesen. Die Erklärung aber ist nicht auf den Mangel an Büchern zurückzuführen,
sondern gerade auf das Gegenteil. Die Inflation der Möglichkeiten ist das
größte Hindernis, um Interesse an ihnen
zu wecken. Huxley fasst dieses Überflussphänomen in „Kontrapunkt des
Lebens“ in ähnliche Worte, wenn er feststellt, dass die Kinder zu früh zu vielen
Sachen bekommen.
(„Point Counter Point“ Pg 62)
„Children are brought up so stupidly
nowadays. No wonder they´re cynical” (…) Children were given too much too early.
Die Dehumanisierungsgefahr
ist Konsequenz der Zerstörung des kreativen Geistes. Dies ist die wichtigste
Bedrohung der Menschheit. Deshalb soll man etwas dagegen tun, um sie zu
beschützen.
Die
technologische Entwicklung führt zu radikalen Veränderungen in der
Gesellschaftsorganisation. Diese Veränderungen betreffen den tiefsten Kern des
Individuums. Huxleys Verzweiflung steigt je mehr er merkt, dass diese
Transformation und der konsequente Verlust des Humanen irreversibel geworden
sind. Er meint, dass all die Moralisten, Spiritisten, Techniker, Literaten, Politiker
und alle jene, die nicht verstanden haben, dass der Mensch wie ein Mensch und
nicht wie ein Monster der Vernunft oder der Emotionen leben soll, schuld am
Verlust des Humanen tragen.
(„Point Counter Point“ Pg. 274)
„I must say, I resent being condemned
to extinction because these imbeciles of scientist and moralists and
spiritualists and technicians and literary and political uplifters and all the
rest of them haven´t the sense to see that man must live as a man, not as a
monster of conscious braininess and soulfulness. Grr! I´d like to kill the lot
of them.”
So nähert sich
Huxley der gleichen Haltung, die Essayisten wie Nietzsche und Romanautoren wie
Collins verteidigt haben. Sie wollen weder die Axiome der Aufklärung, noch das
Interesse der Romantik an Archäologie, Geschichte und Natur zerstören. Ihr Bestreben
richtet sich vielmehr gegen einseitigen Verirrungen in beiden Bewegungen –
Aufklärung und Romantik -, die lediglich einen Aspekt verabsolutierten. Diese Autoren
versuchen die Gesellschaft davor zu warnen wie gefährlich eine solche Verirrung
sein kann. Ihr Ziel ist es, beide Elemente - Vernunft und Gefühl - zu
harmonisieren. Ihre Werke zeigen vor allem den Niedergang der kreativen
Instinkte und die spirituelle Dekadenz der gebildeten und elitären sozialen
Kreise ihrer Zeit. Wie Nietzsche in seinem Buch „Die Geburt der Tragödie“ verkündet hat: Sein Text richte sich
gegen die falsche Bildung der Gebildeten, nicht gegen das Volk.
(„Die
Geburt der Tragödie“. S.11)
(…) ein hochmütiges und schwärmerisches
Buch, das sich gegen das profanum vulgus
der „Gebildeten“ von vornherein noch mehr als gegen das „Volk“ abschließt,
(…)
Das Schrecklichste
ist zu entdecken, dass wir uns noch immer nicht von den Gespenstern der
Vergangenheit befreit haben. Wir sind immer noch ihre Gefangene. Je mehr wir
denken, dass wir gerettet sind, desto großer ist unsere Verkettung.
(„Point Counter Point“. Pg. 169)
„you get revolutions occurring inside
as well as outside. It´s poor against rich in the state. In the individual,
it´s the oppressed body and instincts against the intellect. The intellect´s
been exalted as the spiritual upper classes; the spiritual lower classes
rebelles.”
Vielleicht ist Russells
Verdacht wahr, dass der Mensch Hunderte von Jahren für eine individuelle und soziale Regeneration benötigt.
Vielleicht ist eine lange Zeit eines Primitivismus und ungehemmter Instinkte nötig,
um neue Energien für den Bau einer kräftigen und lebendigen Gesellschaft zu
tanken.
(„The Prospects of Industrial
Civilization“ Pg.59)
Possibly that may be in the long run
the more desirable alternative. It may be that the debris of our old
civilization will require centuries to decay before there is room for anything
new to grow up. It may be that civilized life has exhausted men´s vigour and initiative,
in which case a long period of primitiveness and uninhibited instincts may be
required to restores the energy needed for fresh construction.
Ich bin mir
sicher, dass einige Ideen aus Russels Buch ein paar Verschwörungstheorien inspiriert
haben mögen. Das ist ein Irrtum. Russells Ideen wollen nicht vor schwarzseherischen
Szenarien warnen. Sie beabsichtigen keinen sozialen Umbruch. Russell Ideen
verteidigen einen wissenschaftlichen Sozialismus. Das heißt: ein
internationaler und bürgerlicher Sozialismus.
Auf jeden Fall behält
sein Rat noch heute seine Gültigkeit. Er meint, dass die heutigen Generationen
mehr an die Zukunft als an die Gegenwart denken sollen. Es wäre besser, wenn
sie sich weniger für ihr eigenes Leben als für das Leben ihrer Nachfahren interessieren
würden.
(„The prospects of Industrial
Civilization“ Pg.15)
It is an age in which we have to
think less of the present than of the future, less of the lives of our
generation than of the lives they are preparing for the generations to come.
&&&&&&&&&&&
Exkurs
(*) In „Die Leiden des jungen
Werthers“ kritisiert Goethe die melancholischen und selbstzerstörerischen
Posen, die aus einem unkontrollierten
Romantizismus entstehen.*
Liebe Leser, Sie werden doch nicht
denken (auch wenn die meisten Literaturwissenschaftler das tun), dass ein
Humanist und „bonvivant“ wie Goethe, der eine „spirituelle Krise“ nutzt, um nach Italien zu reisen, und in seinem
Leben seine Arbeit als Beamter stets mit dem Reisen zu kombinieren versucht - und
dabei Flirts und gutes Essen nicht verschmäht -, eine Figur wie Werther, der in einem kleinen
Glas sinnloser und enger Gefühlsduselei ertrinkt, mystifizieren wollte.
Ich bin ganz überzeugt, dass Goethe
in seinem Inneren selbst nicht verstanden hat, warum sein Freund Karl Wilhelm
Jerusalem sich umgebracht hat. Vor allem, weil er damals selbst unter
Liebeskummer gelitten hat. Dennoch hat er die kleinen Freuden des Lebens, das
jedes Schicksal zusammen mit den Schmerzen serviert, weiter genossen.
Sich wegen Liebeskummer umbringen!
Was für eine Dummheit! – Dies wäre meiner Meinung nach die Reaktion, die Goethe
von seinen Lesern erwartet hätte als er seinen „Werther“ veröffentlichte. Aber
nicht desgleichen passierte. Ganz im Gegenteil: Sein Werk erlangte so großen
Erfolg und übte so viel Einfluss auf die Gesellschaft, dass sich nach seiner
Lektüre einige Leser sogar das Leben genommen haben.
Als ich vor einiger Zeit diesen
Blog auf Spanisch geschrieben habe, wusste ich nicht, ob ich mit meiner Meinung
in Bezug auf Goethes Werther alleine war. Kurz danach habe ich dank Heinrich
Heine erfahren, dass es schon in Goethes Zeit jemanden gab, der diese These
verteidigt hatte. Ich muss sagen, dass dies keine guten Konsequenzen für ihn
hatte. Die öffentliche Meinung hat ihn verspottet und verächtlich gemacht.
Dieser Mann war der Buchhändler Nikolai.
(„Zur Geschichte der Religion und der Philosophie in Deutschland“ S.30)
„(…)Hat aber Friedrich der Große uns verhöhnt ohne uns zu
unterstützen, so unterstützte uns desto mehr der Buchhändler Nicolai, ohne daß
wir deshalb Bedenken trugen, ihn zu verhöhnen. Dieser Mann war sein ganzes
Leben lang unablässig tätig für das Wohl des Vaterlandes, er scheute weder Mühe
noch Geld, wo er etwas Gutes zu befördern hoffte, und doch ist noch nie in
Deutschland ein Mann so grausam, so unerbittlich, so zernichtend verspottet
worden, wie eben dieser Mann. Obgleich wir, die Spätergeborenen, recht wohl
wissen, daß der alte Nicolai, der Freund der Aufklärung, sich in der Hauptsache
durchaus nicht irrte; obgleich wir wissen, daß es meistens unsere eignen
Feinde, die Obskuranten, gewesen, die ihn zugrunde persifliert: so können wir doch
nicht mit ganz ernsthaftem Gesichte an ihn denken. Der alte Nicolai suchte in
Deutschland dasselbe zu tun, was die französischen Philosophen in Frankreich
getan: er suchte die Vergangenheit im Geiste des Volks zu vernichten; eine
löbliche Vorarbeit, ohne welche keine radikale Revolution stattfinden kann.
Aber vergebens, er war solcher Arbeit nicht gewachsen. Die alten Ruinen standen
noch zu fest, und die Gespenster stiegen daraus hervor und verhöhnten ihn; dann
aber wurde er sehr unwirsch, und schlug blind drein, und die Zuschauer lachten,
wenn ihm die Fledermäuse um die Ohren zischten und sich in seiner
wohlgepuderten Perücke verfingen. Auch geschah es wohl zuweilen, daß er Windmühlen
für Riesen ansah und dagegen focht. Noch schlimmer aber bekam es ihm, wenn er manchmal
wirkliche Riesen, für bloße Windmühlen ansah, z. B. einen Wolfgang Goethe.
Er schrieb eine Satire gegen dessen "Werther",
worin er alle Intentionen des Autors aufs plumpste verkannte. Indessen, in der
Hauptsache hatte er immer recht; wenn er auch nicht begriffen, was Goethe mit seinem
"Werther" eigentlich sagen wollte, so begriff er doch ganz gut dessen
Wirkung, die weichliche Schwärmerei, die unfruchtbare Sentimentalität, die
durch diesen Roman aufkam und mit jeder vernunftkräftigen Gesinnung, die uns
Not tat, in feindlichem Widerspruch war. Hier stimmte 29Nicolai ganz überein
mit Lessing, der an einen Freund folgendes Urteil über den "Werther"
schrieb: "Wenn ein so warmes Produkt nicht mehr Unheil als Gutes stiften soll.-
meinen Sie nicht, daß es noch eine kleine kalte Schlußrede haben müßte? Ein
paar Winke hinterher, wie Werther zu einem so abenteuerlichen Charakter
gekommen; wie ein anderer Jüngling, dem die Natur eine ähnliche Anlage gegeben,
sich davor zu bewahren habe. Glauben Sie wohl, daß je ein römischer oder griechischer
Jüngling sich so, und darum, das Leben genommen? Gewiß nicht. Die wußten sich
vor der Schwärmerei der Liebe ganz anders zu sichern; und zu Sokrates Zeiten
würde man eine solche [Liebesbegeisterung], welche [etwas Widernatürliches zu
wagen] antreibt, [Im Original griechisch JM] nur kaum einem Mädelchen verziehen
haben. Solche kleingroße, verächtlich schätzbare Originale hervorzubringen, war
nur der christlichen Erziehung vorbehalten, die ein körperliches Bedürfnis so schön
in eine geistige Vollkommenheit zu verwandeln weiß. Also, lieber Goethe, noch
ein Kapitelchen zum Schlusse; und je zynischer, je besser!"
Freund Nicolai hat
nun wirklich, nach solcher Angabe, einen veränderten "Werther" herausgegeben.
Nach dieser Version hat sich der Held nicht totgeschossen, sondern nur mit Hühnerblut
besudelt; denn statt mit Blei war die Pistole nur mit letzterem geladen.
Werther wird lächerlich, bleibt leben, heuratet Charlotte, kurz endet noch
tragischer als im Goetheschen Original.
"Die allgemeine deutsche Bibliothek" hieß die
Zeitschrift, die Nicolai gegründet, und worin er und seine Freunde gegen
Aberglauben, Jesuiten, Hoflakaien und dgl. kämpften. Es ist nicht zu leugnen, daß
mancher Hieb, der dem Aberglauben galt, unglücklicherweise die Poesie selbst
traf. So stritt Nicolai z. B. gegen die aufkommende Vorliebe für altdeutsche
Volkslieder. Aber im Grunde hatte er wieder recht; bei aller möglichen
Vorzüglichkeit, enthielten doch jene Lieder mancherlei Erinnerungen, die eben
nicht zeitgemäß waren, die alten Klänge, der Kuhreigen des Mittelalters, konnten
die Gemüter des Volks wieder in den Glaubensstall der Vergangenheit zurücklocken.
Er suchte, wie Odysseus, die Ohren seiner Gefährten zu verstopfen, damit sie
den Gesang der Sirenen nicht hören, unbekümmert, daß sie alsdann auch taub
wurden für die unschuldigen Töne der Nachtigall. Damit das Feld der Gegenwart
nur radikal von allem Unkraut gesäubert werde, trug der praktische Mann wenig
Bedenken, auch die Blumen mit auszureuten. Dagegen erhob sich nun feindlichst
die Partei der Blumen und Nachtigallen, und alles was zu dieser Partei gehört,
Schönheit, Grazie, Witz und Scherz, und der arme Nicolai unterlag.
In dem heutigen
Deutschland haben sich die Umstände geändert, und eng verbunden mit der Revolution
ist die Partei der Blumen und Nachtigallen. Uns gehört die Zukunft, und es
dämmert schon der Tag des Sieges. Wenn einst dieser schöne Tag unser ganzes
Vaterland überstrahlt, dann wollen wir auch der Toten gedenken, dann wollen wir
auch deiner gedenken, alter Nicolai, armer Märtyrer der Vernunft! Wir deine
Asche nach dem deutschen Pantheon tragen. der Sarkophag umgeben vom jubelnden
Triumphzug und begleitet vom Chor der Musikanten, unter deren Blasinstrumenten
beileibe keine Querpfeife sein wird; wir werden auf deinem Sarg die
anständigste Lorbeerkrone legen, und wir werden uns alle mögliche Mühe geben,
nicht dabei zu lachen.
Da ich von den
philosophischen und religiösen Zuständen jener Zeit einen Begriff geben möchte,
muß ich hier auch derjenigen Denker erwähnen, die mehr oder minder in
Gemeinschaft mit Nicolai zu Berlin tätig waren und gleichsam ein Justemilieu
zwischen Philosophie und Belletristik bildeten. Sie hatten kein bestimmtes
System, sondern nur eine bestimmte Tendenz. Sie gleichen den englischen
Moralisten in ihrem Stil, und in ihren letzten Gründen. Sie schreiben ohne wissenschaftlich
strenge Form und das sittliche Bewußtsein ist die einzige Quelle ihrer
Erkenntnis. Ihre Tendenz ist ganz dieselbe, die wir bei den französischen
Philanthropen finden. In der Religion sind sie Rationalisten. In der Politik
sind sie Weltbürger. In der Moral sind sie Menschen, edle, tugendhafte
Menschen, streng gegen sich selbst, milde gegen andere. Was Talent betrifft, so
mögen wohl Mendelssohn, Sulzer, Abbt, Moritz, Garve, Engel und Biester als die ausgezeichnetsten
genannt werden.“
Mit meiner Meinung will ich aber
nicht so weit gehen wie der Buchhändler Nikolai. Auch wünsche ich mir die
Konsequenzen nicht, die er erlitten hat. Aber ein Gedanke kommt mir auf die
Zunge: Werther hat sich das Leben genommen, weil er seine Leiden nicht mehr
ertragen konnte. Dagegen haben sie Goethe Ruhm und Geld gebracht. Ob sich Nikolai
das auch gedacht hat?
Auf jeden Fall ist es, wenn nicht
merkwürdig, so doch ironisch, dass Jahre später - im Jahre 1809 - Goethe „Die Wahlverwandtschaften“ veröffentlicht hat. Dort haben Goethes
sensible Zeitgenossen folgenden genialen, wenn auch vulgären Satz gelernt: „Der Tote gehört ins Grab, der Lebende an
den Brotleib“. Werthers Leiden war vergessen.
Ende des Exkurses.
Isabel Viñado Gascón.
Dies war der vorletzte Blog über
Kontrapunkt des Lebens. Den letzten möchte ich vor Weihnachten fertig haben. Es
wäre mein Geschenk für sie alle, lieber Leser. Ob ich das schaffe? Der Versuch
ist es wert.
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