Samstag, 15. November 2014

4. Kontrapunkt des Lebens (1928) Aldous Huxley – Huxley und Nietzsche. Aufklärung: das schwierige Spiel der Vernunft.


Hier die Ausgabe, die ich benutzt habe:

-          Aldous Huxley: „Point Counter Point“ (1923) Vintage Classics, Random House 2004.

Auf Deutsch: “Kontrapunkt des Lebens”

-          Heinrich Heine: „Zur Geschichte der Religion und der Philosophie in Deutschland“ (1834/35) DigBib.org. Die digitale Bibliothek.

-          Friedrich Nietzsche: „Die Geburt der Tragödie“ (1872)

-          Bertrand Russell: „The Prospects of Industrial Civilization” (1923) Ed. Routledge Classics. This edition first published in 1959 by George Allen & Unwin Ltd. First published in the Routledge Classics in 2010 by Routledge. First Indian Reprint, 2010.

 

Andere Titel, auf die ich in diesem Blog Bezug nehme:

-          „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774) Goethe.

-          „Faust“ Teil I (1808) und Teil II (Posthum, 1832) Goethe.

-          „Die Wahlverwandtschaften“ (1809) Goethe

-          „Die Welt von gestern“ (1939-1941) Stephan Zweig.

-          „Von Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ (1873) Nietzsche

-          „Kreutzer Sonate“ (1889) Tolstoi

-          „L’ère du vide“ (1983) Gilles Lipovetsky

-          „Leben des Galilei“ (1939) Brecht

 

                                                                     ……………………………………………

 

1774 veröffentlichte Goethe „Die Leiden des jungen Werthers“, 1808 erschien der erste Teil des „Faust“, 1828 in überarbeiteter Fassung. Goethe ist eine extrem bedeutende Figur für das Verständnis der Konflikte zwischen Aufklärung und Romantik und das Scheitern dieser kulturellen wie politischen Bewegungen.

In „Die Leiden des jungen Werthers“ kritisiert Goethe die melancholischen und selbstzerstörerischen Posen, die aus einem unkontrollierten  Romantizismus entstehen* (Note am Ende dieses Blogs).

Jahre später wird Goethe in „Faust“ die tiefe Unzufriedenheit zeigen, die ein in sich selbst eingeschlossenes Wissen in einem Menschen verursacht.

Nietzsche wird in diese Richtung weiter fortgehen. Der Unterschied zwischen Vernunft (apollinische Welt) und Emotion (dionysische Welt), den er in „Der Geburt der Tragödie“(1872) zeichnet, geht mit dem Unterschied zwischen Aufklärung und Romantizismus einher.

Huxley nimmt Nietzsches Fackel auf und er bewahrt sie während seinem Weg durch die Welt und das Leben. Die große Sorge, die den englischen Schriftsteller beschäftigt, ist - wie früher bei Nietzsche- die Entmenschlichung des Menschen.

Beide Autoren kritisieren die Exzesse der Aufklärung sowie die Wahnvorstellungen und Launenhaftigkeit der Romantik. Das Übermaß der Vernunft wird vor allen durch den Missbrauch der Technik erzeugt. Die romantischen Verirrungen entstehen aus dem Missverhältnis der Gefühle in der Liebe sowie in der Religion.

Huxley behauptet, dass die Wissenschaft uns in Barbaren des Intellekts, die Religion in Barbaren der Seele und der Gefühle verwandelt. Seiner Meinung nach führt die Religion zur Barbarei, weil sie sich nur um die Seele, die Zukunft und die Resignation kümmert; Sie bietet aber weder der Gegenwart noch dem Körper etwas an. Das Christentum hat dem Menschen die Hälfte seines Wesens geplündert. Deshalb ist die Askese keine Lösung.

Die Wissenschaft versucht dagegen dem Menschen die Hälfte zu entziehen, die die Religion übrig gelassen hat.

Auch entgegengesetzte Verhaltensweisen wie die Promiskuität bedeuten keine Alternative. Aus Huxleys Sicht drücken beide Haltungen – Askese und Promiskuität- ein und dasselbe aus: nämlich ein tiefen Hass gegen sich selbst. Huxley weigert sich, mit dreiviertel toten Teilen von sich selbst weiter zu leben. Er mag lieber ein ganzer und vollständiger Mensch sein.

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(„Point Counter Point“ Pg. 138)

She’s a barbarian of the soul, he went on. All soul and future, no present, no past, no body; no intellect. Only the soul and the future and in the meantime resignation. Could anything be more barbarous?

(“Point Counter Point” Pg. 156)

You hate yourselves, you hate life. Your only alternatives are promiscuity or ascetism. Two forms of death.

(“Point Counter Point” Pg. 155)

The Christians, who weren’t sane, told people that they got to throw half of themselves in the waste-paper basket. And now the scientists and business men come and tell us that we must throw away half of what the Christians left us. But I don’t want to be three-quarters dead. I prefer to be alive, entirely alive. It’s time was a revolt in favour of life and wholeness.

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Die Frage besteht nun darin zu wissen, was unter „ganzen und vollständigen Wesen“ verstanden werde kann. Die Antwort alle dieser Autoren, von Nietzsche bis Huxley, ohne Virginia Woolf und Oscar Wilde zu vergessen, ist, dass allein durch die ehrliche individuelle  Schöpferkraft und Schaffenskraft der Mensch  „Mensch“ und ein „freies und ganzes Wesen“ werden kann. Der Kunst übernimmt dabei eine zentrale Rolle. Die wahre Kunst hat zwei Merkmale. Sie ist vor allem ehrlich und sie gestattet einen Dialog zwischen jenen beiden Elementen, die das menschliche Tun leiten: Der Dialog zwischen der Inspiration (das Gefühl) und der Technik (die Vernunft). Kunst ist Ausdruck der Seele und des Intellektes. Das Experimentieren mit Formen, der Technik und dem Material wird eine Konstante für eine ganze Generation, die mit den alten und obsoleten Lebensbegriffen und Weltbildern ihrer Zeit brechen will.

Analysieren wir die Gründe, aus denen die Verachtung der Vernunft entstanden sind.

Das Einsperren der Vernunft in sich selbst

Goethe so wie Nietzsche und Huxley, hat geahnt und bemerkt wie viele Probleme eine Vernunft zuerst in den Individuen und dann in der Gesellschaft generieren kann, die sich nur auf sich selbst konzentriert. Alle stimmen überein, dass ein übermassiger Intellektualismus die volle Entwicklung des Menschen verhindert. Dafür gibt es zwei Gründe.

1.      Die Gefühle müssen in Betracht genommen werden, weil sie Teil der menschlichen Natur sind.

(„Point Counter Point“ Pg.19)

He felt ashamed of these emotions as he remembered them. But that was how he had felt, how he still felt. “One should be loyal to one’s instincts. No, not to all, no to the bad ones.”

2.      Außerdem darf die menschliche Aktivität nicht nur abstrakt sein. Sie soll auch praktische, weltzugewandte Aspekte einschließen.

(„Point Counter Point“ Pg.145)

„I could never go back to being a perfect lady “She used to say. “It would bore me to death. Goodness knows, housework and managing and looking after the children can be boring and exasperating enough. But being quite out of touch with all the ordinary facts of existence, living in a different planet from the world of daily, physical reality –that’s much worse.”

Rampion was of the same opinion. He refused to make art and thought excuses for living a life of abstraction. In the intervals of painting and writing he helped Mary with the housework.

Trotz allem bewegt sich die gebildete Elite in Huxleys Zeit lieber in einem stagnierenden und unproduktiven Intellektualismus. Während Huxley Kritik an der Wirkungslosigkeit der Geisteswissenschaften äußert, stellt Nietzsche die Wissenschaft insgesamt in den Mittelpunkt seiner Angriffe. Was Nietzsche am meisten stört, ist der Eifer der Wissenschaften, sich in jede Angelegenheit der Realität einzumischen. Nietzsche ist davon überzeugt, dass es für das Leben unmöglich ist aufzublühen, weil die Wissenschaft angefangen hat, es zu beherrschen. Insbesondere spricht Nietzsche die Geschichtswissenschaft an, der er vorwirft, eine Trennung zwischen Geschichte und Leben verursacht zu haben. Eine solche Spaltung gipfelt in dem bedrohlichen Satz „Fiat veritas pereat vita“ („Die Wahrheit soll werden, und wenn auch das Leben darüber zugrunde geht.“ Übersetzung von P. Putz in F. Nietzsche Unzeit gemäße Betrachtungen. München 1984. S.355)

Huxley wird sich in Gestalt seiner Figur Lord Edward über die verlorene Schulzeit in Eton, als er lateinische Verse übersetzen müsste, beschweren. Der englische Schriftsteller behauptet, dass Bücher zu lesen, nur um die Zeit totzuschlagen, so viel Wert habe wie Fasanen zu töten. Das Bücherlesen ist wohl kein so gewalttätiger Zeitvertrieb wie letzteres, aber auf jeden Fall genauso nutzlos.

(„Point Counter Point“ Pg. 36)

He preferred to sit at home and read (…). The best that could be said of it was that it kept his mind from brooding and killed time. But what was the good of that? Killing time with a book was not intrinsically much better than killing pheasants and time with a gun. He might go on reading like this for the rest of his days, but it would never help him to achieve anything.

Wahr ist, dass je mehr die Gesellschaft ihre Bemühungen auf den Erwerb von Wissen konzentriert, desto mehr wachsen Unzufriedenheit und faustische Frustrationen zusammen mit anderen negativen Faktoren wie der Infantilisierung des Individuums und der Verlust seiner Instinkte.

(„Point Counter Point“ Pg.25)

At forty Lord Edward was in all but intellect a kind of child. In the laboratory, at his desk, he was an old as sciences itself. But his feelings, his intuitions, his instincts were those of a little boy. Unexercised, the greater part of his spiritual being had never developed.

All dies macht ihn unfähig, sich im realen Leben bewegen zu können. In bestimmter Weise ist das Individuum dazu verdammt, sein ganzes Leben in einem Laboratorium zu verbringen, weil dieses sein einziges mögliches Habitat geworden ist. Nietzsche und Huxley sind beide der Meinung, dass das Individuum so viel Zeit der Entwicklung seines intellektuellen Potenziales gewidmet hat, dass sein emotiver Teil vom Nichtgebrauch verkümmert ist. Der Mensch kann nicht mehr als vollständiges Wesen betrachtet werden. Das Individuum ist nur „fast menschlich“. Das einzige, was ihn vom Schimpansen unterscheidet, so Huxley, ist der Umstand, dass die Schimpansen ihren Instinkten gehorchen, während das meschliche Individuum dem Diktat der Vernunft folge. Die Figur Phil wird in „Kontrapunkt des Lebens“ ein Beispiel dafür.

(„Point Counter Point“ Pg.100)

Once, when he had been telling her about Koehler’s book on the apes. ‘You’re like a monkey on the superman side of humanity,’ she said. ‘Almost human, like those poor chimpanzees. The only difference is that they’re trying to think up whit their feelings and instincts, and you’re trying to feel down with your intellect. Almost human. Trembling on the verge, my poor Phil.’

Huxley - wie Nietzsche - ist sich bewusst, dass es letztlich schwieriger ist, sein Leben insgesamt in den Griff zu bekommen, als sich lediglich dem Studium von Sanskrit, Chemie oder Wirtschaftswissenschaft zu widmen. Eigentlich ist das intellektuelle Leben nur ein Kinderspiel. Deshalb, sagt Huxley, verlängern die Intellektuellen die Kinderzeit, danach werden sie Dummköpfe bis sie, wie die politischen und industriellen Tätigkeiten durch Jahrzehnte bewiesen haben, sich in mörderische Wahnsinnige und in wilde Tiere umwandeln. Die unterdrückten Instinkte und Fähigkeiten sterben nicht ab, aber sie verderben und damit führen sie zur Barbarei. Die Leute vergraben sie sich in die Bücher und in den Universitäten, um ihre Lebensunfähigkeit zu verstecken. Andere verhüllen ihre Untauglichkeit lieber hinter Trunksucht und Promiskuität. In dieser Hinsicht, meint Huxley, müsse man gerecht sein und anerkennen dass, Bücher zu lesen einen bessere Methode sei: Sie verursachen weder einen Kater noch post-koitale Tristesse.

(„Point Counter Point“ Pg. 418)

Living’s much more difficult than Sanskrit or chemistry or economics. The intellectual life is child’s play; which is why intellectuals tend to become children –and the imbeciles and finally, as the political and industrial history of the last few centuries clearly demonstrates homicidal lunatics and wild beasts. The repressed functions don’t die; they deteriorate, they fester, they revert to primitiveness. But meanwhile it’s much easier to be an intellectual child or lunatic or beast than a harmonious adult man. The rush to books and universities is like the rush to the public-house. People want to drown their realization of the difficulties of living properly in this grotesque contemporary world, they want to forget their own deplorable inefficiency as artists in life. Some drown their sorrows in alcohol, but still more drown them in books and artistic dilettantism; some try to forget themselves in fornication, dancing, movies, listening-in and scientific hobbies. The books and lectures are better sorrow-drowners than drink und fornication; they leave no headache, not of that despairing post coitum triste feeling.

Die Vernunft kommt aus sich selbst heraus.

Goethe widmet sein meisterhaftes Werk „Faust“ der Problematik welche Schwierigkeiten auftreten, wenn der Mensch seine ganzen Energien nur  auf die Entwicklung der Vernunft konzentriert. Die Lösung, für die sich seine Hauptfigur entscheidet, ist auch nicht die beste. Seine Promiskuität symbolisiert seinen Sturz in die dionysische Welt Nietzsches und - in den Begriffen Huxleys - in den Selbsthass. Wenn der Mensch nicht nur Vernunft ist, ist er auch nicht nur Fleisch. („Der Mensch ist, was er isst“, aber lebt „nicht vom Brot allein.“)

Fausts Irrtum liegt beruht auf seiner Unfähigkeit, sein Leben nach dem alten griechischen Standard „Alles nach Maß“ aufzubauen. Das Maß kommt, wie Goethe in seinem zweiten Teil zeigt, durch Arbeit. Das Wort „Arbeit“ übernimmt eine wichtige Rolle. Arbeiten bedeutet agieren, um ein Ziel zu erreichen. So gesehen ist Arbeit der Faktor, der der intellektuellen Aktivität eine positive oder negative Konnotation einprägt. Dank der Arbeit vermag die Vernunft aus sich selbst herauszukommen, ohne in den dionysischen Abgrund zu hinabzustürzen.

Nietzsche bemerkt, dass die Vernunft einen Teil von sich selbst vergessen hat als sie aus dem Raum, in dem sie eingeschlossen war, herausgetreten ist. Die Konsequenz dieses unvollständigen Heraustretens ist die Beschränkung des Wissens auf Technik. Die wissenschaftlichen Fortschritte lösen in der Gesellschaft ein Vertrauen in die Zukunft aus, das Nietzsche immer mit Misstrauen beobachtet hat. In der Tat, in „Die Geburt der Tragödie“, kritisiert Nietzsche die optimistische Haltung,  die in seiner Zeit vorherrscht. Er fragt sich, ob eine solche selbstgewisse Stimmung nicht vielmehr den Niedergang dieser Epoche verschleiert und warnt, dass dieser epikureische Wille gegen den Pessimismus eigentlich nur die Vorsicht eines kranken Menschen verstecke. Nietzsche behauptet, dass der Pessimismus die Art und Weise sei wie der Mensch seine Vollkommenheit erreiche. Nietzsches große Sorge besteht darin, dass die Wissenschaft die Angst verkörpert, sich mit dem Pessimismus zu konfrontieren. Den Optimismus seiner Zeit bezeichnet Nietzsche als alexandrinische Heiterkeit. Das heißt: Die Heiterkeit des theoretischen Menschen. Seiner Meinung nach hat sich die Gesellschaft maßlos der rationalen Welt, die er apollinische Welt nennt, zugewendet und deswegen die dionysische Welt, die Welt der Emotionen, entweder vergessen oder verfälscht.

(„Die Geburt der Tragödie“ S.81.)

„Die edelste Form jener anderen Form der „griechische Heiterkeit“, der alexandrinischen, ist die Heiterkeit des theoretischen Menschen (…)“

Nietzsche behauptet, dass unsere moderne Welt sich gefangen in dem Spinnennetz der alexandrinischen Kultur befindet. Deshalb folgt sie dem Ideal, für die Wissenschaft zu arbeiten. Der gewählte Archetyp ist Sokrates.

(„Die Geburt der Tragödie“ S.82.)

„Unsere ganze moderne Welt ist in dem Netz der alexandrinischen Kultur befangen und kennt als Ideal den mit höchsten Erkenntniskräften ausgerüsteten, im Dienste der Wissenschaft arbeitenden theoretischen Menschen, dessen Urbild und Stammvater Sokrates ist.“

Nietzsche Misstrauen gegenüber den Wissenschaft.

Dieses Misstrauen enthält zwei Aspekte. Einerseits beunruhigt Nietzsche, dass Wissenschaft und Wahrheit als Synonymen verwendet, obwohl sie eigentlich Gegensätze sind, da die Wissenschaft den Pessimismus der Wahrheit versteckt. Andererseits bekümmert ihn die Beobachtung, dass das Wissen der Wissenschaft moralisch falsch geworden ist.

(„Die Geburt der Tragödie“ S.9/10)

„Ist Pessimismus notwendig das Zeichen des Niedergangs, Verfalls, des Mißratenseins, der ermüdeten und geschwächten Instinkte? – wie er es bei den Indern war, wie er es, allem Anschein nach, bei uns, den „modernen“ Menschen und Europäern ist? Gibt es einen Pessimismus der Stärke? Eine intellektuelle Vorneigung für das Harte, Schauerliche, Böse, Problematische des Daseins aus Wohlsein, aus überströmender Gesundheit, aus Fülle es Daseins? (…) Und wiederum: das, woran die Tragödie starb, der Sokratismus der Moral, die Dialektik, Genügsamkeit und Heiterkeit des theoretischen Menschen – wie? Könnte nicht gerade dieser Sokratismus ein Zeichen des Niedergangs, der Ermüdung, Erkrankung, der anarchisch ich lösenden Instinkte eine Abendröte? Der epikurische Wille gegen des Pessimismus nur eine Vorsicht des Leidenden? Und die Wissenschaft selbst, unsere Wissenschaft –ja, was bedeutet überhaupt, als Symptom des Lebens angesehen, alle Wissenschaft? Wozu, schlimmer noch, woher –alle Wissenschaft? Wie? Ist Wissenschaftlichkeit vielleicht nur eine Furcht und Ausflucht vor dem Pessimismus? Eine feine Notwehr gegen – die Wahrheit? Und, moralisch geredet, etwas wie Feig –und Falschheit? Unmoralisch geredet, eine Schlauheit?“

Es ist heutzutage schwer Nietzsches Klage des Mangels an Pessimismus in seiner Gesellschaft zu verstehen. Eine gute Hilfe bieten hierfür die Memoiren von Stephan Zweig: Die Welt von gestern. 1939-1941“. Dort erzählt der österreichische Autor, dass die Gesellschaft seiner Kindheit eine sozio-ökonomische Stabilität wie nie zuvor kannte. Die Entwicklung der Naturwissenschaften ist atemberaubend. Dank ihres Fortschritts ist das Leben der Bevölkerung viel bequemer geworden. Der Sport gewinnt an Bedeutung. Er ist eine Herausforderung für die physischen Fähigkeiten des Menschen. Durch das Training testen die Körper ihre Möglichkeiten und Grenzen. Wie verhält es aber mit den geistigen Fähigkeiten des Individuums wirklich? Sind die Naturwissenschaft der Ort, wo der Intellekt versucht, Wissen zu erreichen oder eher eine Aktivität, die einfach nur Technik geworden war? Eine Aktivität, die nur Wohlstand schafft, aber nicht Wahrheit anbietet? Die technologische Entwicklung bringt den Arbeitern mehr Freizeit und begünstigt die Ausbreitung hedonistischen Verhaltens, aber reflektiert dies auch das wahre Glück des Individuums oder handelt es sich eigentlich nur um eine Sinnestäuschung? Nietzsche war einer der ersten, der die Frage gestellt hat, ob mehr Komfort und mehr technologischer Fortschritt ein Wachstum der Vollkommenheit des Individuums mit sich bringt. Er war auch eine der ersten, der die Gültigkeit dieser Prämisse bestritten hat.

(„Die Geburt der Tragödie“)(…) heute würde ich sagen, dass es das Problem der Wissenschaft selbst war – Wissenschaft zum ersten Male als problematisch, als fragwürdige gefasst.“

Die Fokussierung des Wissens auf nur einen Aspekt - die Technik – provoziert zuerst die Banalisierung des Wissens und infolgedessen einen Verlust in Wert und einen Zugewinn in Oberflächlichkeit.

Eine zweite Konsequenz zeigt sich darin, dass die akademischen Studienpläne sich daran ausrichten, mit der Vermarktung wissenschaftlicher Ergebnisse ökonomische Gewinne abzuwerfen. Das bedeutet, wie Nietzsche in „Von Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ ausführt, eine zu schnelle und oberflächliche Bildung der Studenten, die verhindert, dass sie wahre Denker werden können.

In der Tat, Forscher werden zu Fließbandproduzenten. Von ihnen wird erwartet, dass sie regelmäßig neue Ergebnisse liefern. Nietzsche ist der Auffassung, dass es, wenn die Forscher für die „wissenschaftliche Fabrik“ anfangen zu arbeiten, bevor sie die notwendige Reife erreicht haben, nicht sehr lange dauern wird bis die Wissenschaft stirbt - genauso wie es mit den Sklavenfabriken passiert ist. Nietzsche bedauert, dass ökonomische Begriffe zu benutzen, aber sie kommen ihm - wie er sagt – von selbst auf die Zunge. Seine Bilanz ist, dass die Mittelmäßigkeit immer mittelmäßiger und die Wissenschaft immer nutzbarer in ökonomischen Sinn wird.

Nietzche behauptet, dass die Wissenschaft unter denselben Problemen leidet, die die gerade angesprochene Unreife verursacht haben. Der aktuelle Mensch kann das Übermaß an Wissen nicht richtig verdauen. Er schlingt herunter ohne Hunger und ohne Not. Die Folge davon ist, dass er übersättigt wird. Das verschlungene Wissen bleibt unstrukturiert und chaotisch. Im modernen und deformierten Menschen steckt in seinem Inneren nur wüstes Wissen, ohne die Möglichkeit nach draußen gehen zu können. Deshalb ist die moderne Bildung nichts Lebendiges. Sie ist eine einfache Aneignung der Peripherie des Wissens. Sie hat nichts gemein mit wahrer und kräftiger Bildung.

Gerade hierin unterscheidet sich der moderne Mensch vom griechischen Menschen. Nietzsche meint, dass sich die aktuelle Bildung als ein Handbuch über die innere Bildung für die äußere Barbarei darstellt.

Die Erklärung dieses Phänomen ist einfach. Da es keine Einheit zwischen dem Inneren und dem Äußeren gibt, kann sich der Mensch weder von dem „Überreichlichen“ distanzieren, noch vermag er es zu verdauen. Das Gelernte wird sich nicht zu Leben umwandeln. Da das Gelernte keine externe Wirkung produzieren kann, fällt das Individuum in einen Zustand, den Nietzche „Wust“ nennt.

Das Individuum gewöhnt sich schließlich daran, die Wirklichkeit nicht ernst zu nehmen. Das Reale, das Bestehende beeindruckt ihn immer weniger. Das macht aus ihm eine schwache und konfuse Persönlichkeit, die sich bald als ersten Mensch, bald als letzten Menschen – also am entweder am Anfang oder am Ende der Geschichte - betrachtet. Äußerlich ist er immer bequemer und gleichgültiger.

Der Bruch zwischen Inhalt und Form verhindert, dass der Mensch die Grenze zur Barbarei  erkennen kann.

Die Infantilisierung und der Verlust der Instinkte potenzieren Zynismus und Demagogie.

Auf Nietzsche Sicht vertrauen sich die Individuen selbst nicht mehr. Stattdessen suchen sie Masken, um sich darunter zu verstecken; ganz gleich, ob Mensch von Bildung, Dichter oder Politiker. Die Demaskierung zeigt nur Flicken. Man spricht von freien Persönlichkeiten, aber nirgendwo sieht man freie Wesen. Man sieht nur ängstliche Menschen, die unter dem Begriff „universale Menschen“ Zuflucht suchen. Das Individuum hat sich in sich selbst zurückgezogen. Aus der Geschichte kommen nur Geschichten, aber kein Ereignisse.

Je schwächer der Instinkt der Kreativität wird, desto mehr gewöhnt sich das Individuum daran, die Ironie über sich selbst zu benutzen. Solche Ironie mündet in Zynismus. Dort reift immer eine egoistische Handlung, die die Kraft des Lebens bis hin zu ihrer Zerstörung bremst

Huxley seinerseits wirft dem Zyniker vor, dass er sich selbst zu einer Welterfahrung nur zur Hälfte verurteilt, weil er nicht in der Lage zu beachten, dass es mehr Erfahrungen gibt, als nur körperliche.

(„Point Counter Point“ Pg.80)

„A great artist“  (…) is a man who synthesizes all experience. The cynic sets out by denying half the facts –the fact of the soul, the fact of ideals, the fact of God” (…) “The cynic confines himself to only half the world of possible experience. Less than half. For there are more spiritual than bodily experiences.”

Die Wirkung der individuellen geistigen Armut ist der Zynismus. Die Wirkung der kollektiven geistigen Armut ist die Demagogie.

Was die Demagogie betrifft behauptet Nietzsche, dass sie aus der Unreife der Kollektivität und aus der begrifflichen Trivialität ihres Sprachgebrauchs entsteht.

Der Humanismus, sagt Huxley, verfügt über die Worte als essenzielles Werkzeug. Diese Worte aber drücken dieselbe gedankliche Leere aus, die danach auch viele wissenschaftliche Experimenten zeigen werden. Das alles bedeutet den Triumph des Zynismus in der Persönlichkeit und den Triumph der Demagogie in der politischen Sphäre. In Goethes Meisterwerk „Faust“ gibt Mephistopheles Faust den Rat, ein Wort an die Stelle des fehlenden Gedanken zu setzen.

Das Schrecklichste liegt nun darin, dass diese leeren Worte vermöge der Medien nie vorher gekannte Verbreitung erleben. Je mehr die Worte austrocknen, desto mehr breitet sich die intellektuelle Leere aus. Nicht nur das: Die Worte sind nicht mehr die Werkzeuge der Reflexion. Sie haben sich in Propaganda-Waffen verwandelt.

Aber die Worte sind nicht die einzigen Faktoren, um die Massen zu beeinflussen. Huxley beleuchtet in seinem Buch „Kontrapunkt des Lebens“ die Übermacht der ästhetischen Elemente über die Ideen, auch wenn sie nichts mit der wahren Kunst gemeinsam haben. Marjories unerträgliche Stimme zum Beispiel steht ihrer Akzeptanz in der Gesellschaft entgegen. Dagegen hilft Webleys schöne Stimme ihm seinen politischen Erfolg zu erreichen, trotz der totalitären Ideen seiner politischen Programmatik.  Der Grund dafür ist, dass diese Gesellschaft kaum daran interessiert ist, was gesagt wird. Eher kümmert sie sich darum, wie etwas gesagt wird.

(„Point Counter Point“ Pg. 447)

“His voice took you in the solar plexus.”

 

Huxley ist sich - wie seine Figur, der Kommunist Illidge - der immer wichtigeren Rolle des äußeren Erscheinungsbildes und der Manipulationsfähigkeiten der Medien bewusst. Er weiß, dass externe Merkmale – eine klare Stimme und eine elegante und feierliche Haltung -  mehr als die Wahrheit zum Erfolg beitragen.

Seine Hauptfigur Philip behauptet, dass es in der physische Welt möglich ist, das Ganze in kleinere Teile zu trennen. Aber Huxley lässt ihn daran zweifeln, dass gleiches in einer ethischen Welt gemacht werden kann. Noch viel weniger, wenn diese ethische Welt sich in eine ästhetische Welt verwandelt hat.

Huxley verschweigt nicht seinen Pessimismus in Bezug auf die zukünftige Entwicklung des Menschen. Das Desinteresse für das Wissen kann man nicht nur einer einzigen sozialen Klasse zuschreiben. Es betrifft alle Ebenen der Gesellschaft. So protestiert Illidge als Lord Edward sein Arbeitszimmer verlässt, um im Salon Musik zu hören. Illidges Bedenken aber entstehen nicht gerade aus seiner Liebe zur wissenschaftlichen Arbeit Lord Edwards – beide waren dabei, eine Eidechse zu sezieren. Im Gegensatz zu Lord Edward aber lässt die Schönheit der Klänge Illidge gleichgültig. Ihm macht nur Sorgen, nicht passend genug für den Anlass gekleidet zu sein.

Wie ich schon vorher bemerkt habe ist Huxley nicht davon überzeugt, dass die unteren sozialen Klassen der Motor der Gesellschaft werden können. Ihnen fehlen die ökonomische Macht, die Tradition und die individuelle Moral. Huxley gibt zu, dass sie als Masse Revolte organisieren können. Aber die Gesellschaft zu verbessern, das können sie nicht. Es fehlt ihnen die Ethik des Einzelnen.

Die Ideologie bringt auch keine Lösung. Kapitalismus, Sozialismus und Kommunismus verfolgen eigentlich das gleiche: Fortschritt.

 

Der Fortschritt und die Industrie

                                    

Der Fortschritt geht in nur eine einzige Richtung: in die Richtung des industriellen Fortschritts.

Huxley und andere Denker seiner Epoche wie Bertrand Russell sind davon überzeugt, dass eines der Schlüsselelemente in einer industriellen Struktur die Organisation der Gesellschaft ist.

-          Einerseits führt diese Organisation zur Domestikation des Individuums.

(„Point Counter Point“ Pg.121)

“Even the War (…) It was a domesticated outrage. People didn´t go and fight because their blood was up. They went. Man is they were told to; they went because they were good citizens. Man is a fighting animal (…) But what I complain of ist hat he´s a domestic animal (…) It´s factories, it´s Christianity, it´s science, it´s respectability, it´s our education (…) They weight on the modern soul. They suck the life out of it.”

 

-          Anderseits führt der organisierte Betrieb der Gesellschaft zur Uniformierung der Gedanken und beschränkt die Freiheit, die der Intellekt benötigt, um sich richtig entwickeln zu können.

Wenn Nietzsche die Gefahren der Technologie vorgeahnt hatte, so wird Huxleys Generation sich mit ihnen auseinandersetzen müssen und zwar in einem Maß, das noch nicht mal der exaltierte deutsche Schriftsteller hätte  denken können.

Ab einem bestimmten Punkt wird die Verbesserung der Lebensumstände zu einem Bumerang gegenüber dem Individuum selbst. Dieses Individuum, das seine Instinkte vernachlässigt hat um sich der Intellektualität zu widmen, muss nicht mehr seine eigenen Fähigkeiten entwickeln. Wichtig ist nur der Erfolg der technologischen Forschungen. Die ganze Gesellschaft organisiert sich, um dieses Ideal zu erreichen.

Die Arbeit hat ihren Wert als Symbol der Bemühung um menschliche Würde auf der Ebene der Produktivität sowie auf der moralischen Ebene verloren. Sie kann nicht mehr sein, was sie für Goethe, Nietzsche und Tschechow gewesen war: eine Befreiung, eine Rettungsquelle, sogar eine Erlösung. Im Vers 11935 des Faust zweiter Teil schreibt Goethe: „Wer immer strebend sich bemüht / den können wir erlösen“. Nietzsche merkt  in „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ an, dass die Würde, die grandezza eines Menschen nicht vom Erfolg abhängig ist. Er nennt Demosthenes als Beispiel dafür: Er wäre auch dann ein hervorragender Mann gewesen, wenn er den sozialen Aufstieg nicht geschafft hätte. Andere Schriftsteller werden diese Denkweise teilen. Einer davon ist mit Sicherheit Tschechow (1860–1904). Er meint, dass in der sinnlosen menschlichen Existenz, die Arbeit der einzige Faktor ist, der ihr einen Sinn geben kann.

Dass die Arbeit in der Moderne die Funktion der Erlösung für die menschliche Existenz nicht mehr haben kann, liegt daran, dass die Arbeit mechanisierte Arbeit geworden ist. Die handwerkliche Arbeit hat sich in automatisierte Arbeit verwandelt. Das Individuum kann kein persönliches Element mehr einbringen. Der Handwerker ist ein Fabrikarbeiter geworden. Das heißt, eine Schraube mehr in der Fließbandfertigung. Jederzeit kann er ausgewechselt werden, ohne dass das Endresultat sich dafür veränderte. Der Arbeiter ist nicht mehr als ein Teil im Räderwerk. Er muss gut funktionieren, wenn er nicht aus dem Organigramm – wozu die Gesellschaft geworden ist -  heraus fallen will.

Extravaganz und Exzentrizität werden nur in bestimmten Zirkeln toleriert; vor allem als Zweck zur Vermarktung von Kunst. Die Kunst ist eine Massen-Kunst geworden. Sie muss darauf achten, was die Massen mögen und schaffen, was die Massen mögen könnten. Die Kunst ist Mode. Die Mode ist Tendenz.

In anderen gesellschaftlichen Bereichen werden Extravaganz und Exzentrizität nicht gut angesehen. Gerade deshalb distanziert sich Huxley von den kommunistischen Ideen. Seiner Meinung nach versucht die marxistische Ideologie, nicht die industriellen Strukturen zu zerstören oder wenigstens zu verändern. Sie strebt nur an, die Diktatur einer bestimmten sozialen Klasse - die des Proletariats – in diese industriellen Strukturen zu implantieren. Außerdem verhindert diese Ideologie jedes abweichende Verhalten, egal ob dieses aus Humor oder Genialität stammt. Und so kann der Kommunist Illidge behaupten, dass nur das Geld Lord Edward vor dem Irrenhaus gerettet hat.

Es ist wahr, dass in der sozialen Treffen  der besseren Kreise Heuchelei geübt und mit dem Schein gespielt wird. Aber es gibt große Unterschiede zwischen der Heuchelei, die die gesellschaftlichen Konventionen verlangen und  dem Zwang auf ein bestimmtes Verhalten, der von einer Ideologie oder Religion erzeugt wird.

Ähnlich verhält es sich mit dem Wahnsinn. Manchmal ist es nicht einfach die Grenzen zwischen Wahnsinn und Genialität zu bestimmen. Trotzdem existiert zwischen Lord Edwards Exzentrizität und pathologischem Wahnsinn ein gewaltiger Unterschied, den zu erkennen Illidges Sozialneid verhindert.

Huxley kritisiert das Beharren auf einer ökonomischen Betrachtung jeden Verhaltens, jeder Handlung; jede Lebensbereiche durch ökonomischen Argumente zu erklären.

„Zwei-Kammer“-Doktrin

Huxley sucht eine Lösung, damit die Individuen ihre sozialen und kreativen Instinkte weiter entwickeln können. Er schlägt vor, dass die Individuen ihre Arbeitszeit vom Rest ihres Lebens strikt auseinander halten. Das heißt: Sie müssen akzeptieren, dass sie während ihrer achtstündigen Arbeitszeit Dummköpfe sind. Sie sollen arbeiten, ohne zu erwarten, dass diese Arbeit irgendwelchen Sinn hat. In ihrer Freizeit aber müssen sie sich bemühen, ihre eigene Individualität weiter zu entwickeln. Um nicht in die Unmenschlichkeit zu fallen,– sagt Huxley- muss der Mensch in einer Gesellschaft wie unserer seine Existenz in zwei verschiedenen und getrennten „Kammern“ (two compartments) aufbauen. In der einen muss seine Persönlichkeit die Entfremdung  ertragen, in der anderen muss er seine individuelle Freiheit entwickeln.

(„Point Counter Point“  Pg.393/394)

“The root of the evil´s in the individual psychology; so it´s there, in the individual psychology, that you´d have to dualistically, in two compartments. In one compartment as industrialize workers, in the other as human beings. As idiots and machines for eight hours out of every twenty-four and real human being for the rest.”

Don´t they do already?”

“Of course they don´t. They live as idiots and machines all the time, at work and in their leisure. Like idiots and machines, but imagining they´re living like civilized humans, even like gods. The first thing to do is to make them admit that they are idiots and machines during working hours. (…) Admit it´s dirty, hold your nose and do it for eight hours and then concentrate on being a real human being in your leisure. A read complete human being. Not a newspaper reader not a jazzer, not a radio fan. The industrialists who purvey standardized ready-made amusements to the masses are doing their best to make you as much of a mechanical imbecile in your leisure as in your hours of work. But don´t let them. Make the effort of being human (…) You´ve got to persuade everybody that all this grand industrial civilization is just a bad smell and that the real significant life can only be lived apart from it. It´ll be a very long time before decent living and industrial smell and that the real, significant life can only be lived apart from it. It´ll be a very long time before decent living and industrial smell and that the real, significant life can only be lived apart from it. It´ll be a very long time before decent living and industrial smell can be reconciled. Perhaps, indeed, they´re irreconcilable.

Huxley ist bewusst, dass diese Lösung in der Praxis nicht leicht durchführbar ist. Sie garantiert auch nicht den Erfolg des beabsichtigen Erreichens der Individualität.

Einer der Gründe sind die gesellschaftlichen Strukturen, die die Industrialisierung geschaffen hat. Goethe, Nietzsche, Huxley, Russell und die meisten Denker seit der Aufklärung haben beobachtet, dass dieselbe Vernunft, die den Menschen humanisiert auch die ist, die ihn dehumanisiert. Der Verlauf der Geschichte bestätigt ihre Ängste. Die Technik, die den Menschen von der überhaupt nicht so bukolischen Landarbeit befreit hat, ist auch diejenige, die die blutigsten Massenschlachten und die wildeste Gewalt ermöglicht. Die Vernunft verlangt von dem Individuum die Entwicklung seiner Fähigkeiten und gleichzeitig beansprucht sie seine Domestizierung, um die rationelle Gesellschaft aufzubauen. Eine rationelle Gesellschaft, die  Synonym der „industrielle Gesellschaft“ geworden ist. Dieselben Bücher und dieselben Studien, die dem Mensch die Freiheit anbieten, nehmen ihm die Freiheit ab. Sie führen das Individuum in rigide Schemata und in ein diszipliniertes Leben hinein, die das industrialisierte Leben absichern. Die Vorteile, die eine solche Kultur anbietet, sind fraglich. Das Unheil, die sie anrichtet, ist unbestritten. Solche Gesellschaft benötigen Sklaven- Strukturen, um sich auf Dauer zu behaupten.

Nietzsche war einer der ersten, der dieses Phänomen bemerkte.

 

(„Die Geburt der Tragödie“ S. 83)

„Man soll es merken: die alexandrinische Kultur braucht einen Sklavenstand, um auf die Dauer existieren zu können.“

Zwei schwerwiegende Folgen der Industrialisierung sind:

-          die Einschränkung und der Verlust der individuellen Freiheit, weil eine industrialisierte Gesellschaft einen starken Organisationsgrad braucht.

In „Kontrapunkt des Lebens“ wird der soziale Außenseiter Spandrell zum wahren Urheber der Freiheit. Damit wiederholt Huxley, was schon Nietzsche behauptet hatte: Nicht „die Menschen“, sondern „der Mensch“ ist der Held. Spandrell ist bekannt für sein sozial unangepasstes Verhalten. Dieses ist Konsequenz der Traumata, der die Hochzeit seiner Mutter in seiner Pubertät verursacht hat. Spandrell aber wird letztlich das Individuum, das England vor dem Faschismus retten wird. Vielleicht ist Spandrell der letzte Mensch, von dem Nietzsche spricht. Wer weiß!

Die Helden sind jene, die sich auf der gefährlichen Linie bewegen, die die rationale Welt mit der emotionalen Welt verbindet und gleichzeitig von ihr trennt.

-          Die zweite Folge ist die Uniformierung und Infantilisierung der Gesellschaft. Die Gesellschaft wird sich in eine Massengesellschaft umwandeln. Diese Massengesellschaft fordert die Vermassung der Unterhaltungen und der hedonistischen Bedürfnisse.

Unterhaltung wird als Ware produziert, um von den Menschen konsumiert zu werden. Unterhaltung wendet sich gegen das Individuum. Die „Klassengesellschaft“ verwandelt sich in eine „Massengesellschaft“.

Gerade an diese Massengesellschaft denkt Huxley, wenn er vor den Zeitungen und der Jazz- Musik (sic!) warnt. Die Zeitungen sind die Kanäle, die die Machtgruppen benutzen um ihre Ideen in die Gesellschaft zu übertragen. Die Jazz-Musik symbolisiert für Huxley die Uniformierung und Popularisierung  in der Unterhaltung.

Nietzsche beklagt, dass der moderne Mensch nur ein Zuschauer ist. Deshalb könne er nicht in Leben umwandeln, was er gelernt hat. Nietzsches Meinung nach ist der moderne Mensch bloß ein genießender und herumwandelnder Zuschauer. Die verschiedenen Ideen haben aufgehört verschiedene zu sein. Stattdessen haben sie sich zur „öffentliche Meinung“ vereinheitlicht. Selbst die Wissenschaft gerät in ihre Abhängigkeit. Zeitungen und Bücher verändern ihren Inhalt in Funktion der dominanten öffentlichen Meinung. Mit der Fälschung der Fakten und der Narrative der Geschichte wird sich George Orwell in seinem Werk „1984“, 1948 veröffentlicht, beschäftigen.

Die Schlussfolgerung ist, dass der Fortschritt keine Verbesserung der Kultur mit sich bringt. Eher das Gegenteil: ihre Verflachung. Was für Huxley in der Musik der Jazz ist, ist für ihn in der Kunst der Kubismus.

(„Point Counter Point“. Pg.396)

„And the whole thing painted in the cubist manner“, said Rampion, “so as to make quite sure that there should be no life in it whatever. Nothing like modern art for sterilizing the life out of things. Carbolic acid isn´t it.”

Die Mittelmäßigkeit umwickelt jeden Aspekt der sozialen, kulturellen und moralischen Realität. Nietzsche sagt: „Die Kärrner haben unter sich einen Arbeitsvertrag gemacht und das Genie als überflüssig dekretiert - dadurch, dass jeder Kärrner zum Genie umgestempelt wird.“ (Vom Nutzen und Nachteil der Historie, S. 151)

Die Gelehrten können nur Karriere machen, wenn sie Pöbel, nicht aber, wenn sie wirkliche Gelehrte sind.

Huxley ist mit Nietzsche einverstanden. Seiner Meinung nach hat die industrialisierte Gesellschaft alle Mängel einer exzessiv intellektualisierten Gesellschaft und keine ihrer Tugenden. Die für sie notwendige Effektivität verlangt ein Organisationsmodell, in dem die individuelle Genialität keinen Platz mehr haben kann.

 

(„Point Counter Point. Pg. 395)

For the only thing they´re all agreed on excellence of the industrial stink and the necessity of standardizing and specializing every trace of genuine manhood or womanhood out of the human race.

The whole of modern civilization is based on the idea that the specialized function which gives a man his place in society is more important than the whole man, or rather is the whole man, all the rest being irrelevant or even (…) positively harmful and detestable. The low-brow of our modern industrialized society has all the defects of the intellectual and none of his redeeming qualities.

Die Kritik, die Nietzsche und Huxley an der Herrschaft der Vernunft üben, bedeutet aber keineswegs, dass sie die Herrschaft der Emotionen verteidigen. Was beide Autoren mit ihren Thesen verteidigen, ist die Bedeutsamkeit des Gleichgewichts zwischen beidem. Beide bilden den Kern des menschlichen Wesens und nur wenn sie harmonisch auftreten kann der Mensch vollkommen und glücklich sein. Nur so kann der Mensch Mensch sein.

Viele Kritiker sind überzeugt, dass Nietzsche der dionysischen Welt den Vorrang gibt. Die Wahrheit aber ist, dass eine solche Idee nur als radikaler Protest gegen eine Vernunft, die zur Tyrannin geworden ist, gesehen werden kann. Seine Absicht war es nie, eine Tyrannin zu besiegen, um eine andere an ihrer Stelle zu platzieren. Schon in die „Die Geburt der Tragödie“, warnt Nietzsche vor den Gefahren der Erforschung der dionysischen Welt. Er wusste besser als jeder andere wie dunkel die dunkel Seite einer solchen Welt werden kann. Deshalb ist in seinem Denken die Figur des Helden so wichtig. Der Held repräsentiert den ganzen Menschen. Er bleibt an der Grenzlinie, ohne in eine von beiden Welten – die apollinische oder die dionysische - zu fallen. Der Held ist derjenige, der trotz aller Schwierigkeiten das Gleichgewicht bewahrt.

Huxleys geht in dieselbe Richtung. Wenn die emotionelle Seite dominieren würde, würden wir alle „mondsüchtig“. („Point Counter Point“. Pg. 155)

Der Mensch muss ein Produkt des Gleichgewicht zwischen zwei Elementen sein: emotionellen und intellektuellen. (In Nietzsches Worten: apollinische und dionysische Welt). Ihr Zusammenspiel ist das, was den Begriff „Mensch“ definiert und was die Zivilisation ermöglicht.

(„Point Counter Point“ Pg. 135)

„Blake was civilized“ (…) civilized. Civilization is harmony and completeness. Reason, feeling, instinct, the life of the body – Blake managed to include and harmonize everything. Barbarism is being lop-sided.

(“Point Counter Point” Pg. 135/136)

He spoke of the Greeks. “They were civilized (…) they knew how to live harmoniously and completely with their whole being.”

Wie Nietzsche in „Die Geburt der Tragödie“ zeigt ist dieses Gleichgewicht schwierig zu erreichen; noch komplizierter, es zu bewahren.

Seiner Meinung nach besitzt nur der Held die Fähigkeit, das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Welten zu halten. Er partizipiert an der dionysischen (emotionellen) Welt sowie an der apollinischen (rationellen) Welt,  ohne einer von ihnen ganz anzugehören. Er bleibt an der schmalen und komplexen Linie, die beide Bereiche trennt.

Der Held, der diese Idee am besten symbolisiert, ist Prometheus. Prometheus übernimmt von Apollo die Individualisierung und die Grenzen der Gerechtigkeit. Da er aber diese Grenzen überschreitet und mehr von den Göttern verlangt, ist er dionysisch.

(„Die Geburt der Tragödie“. S.51)

„Und so möchte das Doppelwesen des äschyleischen Prometheus, seine zugleich dionysische und apollinische Natur in begrifflicher Formel so ausgedrückt werden können: Alles Vorhandene ist gerecht und ungerecht und in beidem gleich berechtigt.“

Nietzsche stellt dem Helden die Figur des Sklaven gegenüber. Der Sklave verkörpert in Nietzsches Philosophie den Menschen, der sich nicht anstrengt, weil er kein Ideal, kein Streben hat. Weder die Vergangenheit noch die Zukunft haben einen Sinn für den Sklaven. Tolstoi schreibt in seiner Erzählung „Kreutzer Sonate“ (1889), dass die Ewigkeit für derjenigen notwendig ist, der etwas unternehmen möchte; und fragt rhetorisch wozu jemand, dessen einzige Sorge seine eigene Existenz ist,  die Ewigkeit möchte.

Nietzsche beklagt die Mutlosigkeit und Verzagtheit des Sklaven. Huxley wird das neue Autoritätsprinzip seiner Gesellschaft kritisieren: das Organisationsprinzip. Dieses Prinzip beabsichtigt die komplette Regulierung der Gesellschaft bis zum kleinsten Detail. Huxley behauptet ironisch, dass die schlechte Qualität der Gedichte seiner Zeit auf die mangelhafte Organisation der „Dichtungsindustrie“ zurückzuführen sei. Sogar der impotente Geliebte rechtfertige sich gegenüber seiner empörten Freundin und versichert ihr, dass das nächste Mal seine Organisation perfekt sein werde!

(„Die Geburt der Tragödie“ S. 56)

(…) die Heiterkeit des Sklaven, der nichts Schweres zu verantworten, nichts Großes zu erstreben, nichts Vergangenes oder Zukünftiges höher zu schätzen weiß als das Gegenwärtige.

(„Point Counter Point“ Pg.42)

„Not well enough organized“ Spandrell went on contemptuously. “At least you´re modern in your excuses. The great god organization. Even art and love will soon be bowing down like everything else. Why are your verses so bad? Because the poetry industry isn´t well enough organized. And the impotent lover will excuse himself in the same way and assure the indignant lady that, next time, she´ll find his organization perfect.”

Bedauerlicherweise ist die Zahl der wahren Helden immer knapp gewesen. Nietzsche unterscheidet zwischen Helden wie Prometheus und Helden wie Adam. Prometheus tritt offen auf, um gegen die Hindernisse der menschlichen Entwicklung zu kämpfen. Adam versucht seine Fehler zu verstecken.

Brecht hätte seinem Landsmann Nietzsche erklärt, dass List und Trug nötig sind, wenn das Individuum nicht genügend Kräfte hat, um sich gegenüber der Tyrannei der Götter und Herrscher zu behaupten. Sein Anti-Held Galilei hat mit angesehen wie Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen stirbt. Giordano Brunos einziges Verbrechen war es, wissenschaftliche Wahrheiten zu beweisen, die mit der kirchlichen Doktrin nicht übereinstimmten. Galileo ist bewusst, dass das Individuum nie genügend Kraft hat, um sich selbst und allein aus der Unterjochung zu befreien. Deshalb ist die List erforderlich, sogar die Lüge. Die Finten ermöglichen das einzige zu retten, was ein Individuum wirklich besitzt: das Leben.

Gegenwart

Was wir bis hier gesehen haben, waren die Probleme, die die Denker seit dem XVIII. Jahrhundert bis zu unseren heutigen Tagen beschäftigen. Ich benutze das Wort „Denker“ und nicht „Intellektueller“, weil „Denker“ auf Anstrengung und individuelle Aktivität hindeutet, während „Intellektueller“ eher den sozialen Aspekt des Denkens bezeichnet.

Mich wundert immer wie wenig unsere Gesellschaft sich seit Goethes Zeit verändert hat. Die Kernprobleme sind nach wie vor dieselben.

Wir verfügen – es ist wahr-  über mehr Wohlstand und die Reisemöglichkeiten sind enorm gestiegen. Die Entfernung zwischen den verschieden sozialen Klassen ist kleiner geworden. Trotz der aktuellen wirtschaftlichen Krise, die das Überleben der Wohlstandgesellschaft bedroht, können viele Europäer immer noch von ihren Vorteile profitieren.

Die schwierigste Herausforderung ist die Bildung und Entwicklung der individuellen Persönlichkeit. Wir glauben, dass wir einzig und frei sind. Eigentlich sind die Uniformierung und die Kontrolle die wichtigsten Merkmale unserer Gesellschaft. Die Massenunterhaltung beansprucht die meisten unserer Freizeitaktivitäten. In Spanien hat die Jugendarbeitslosigkeit eine neue Generation erschaffen, die als „ni- ni“ bekannt ist.  Der Begriff „ni-ni“ spielt auf die Situation dieser Jugendlichen an, die weder arbeiten noch lernen. Leider hat die Arbeitslosigkeit keine neue Generation von Künstlern und Literaten hervorgebracht. Das ist kein spezifisch spanisches Problem. Die gegenwärtige Kunst ist meistens banal und oberflächlich, auch wenn sie selbst überzeugt ist, tiefe und kritische Gedanken zu übermitteln. Schon Nietzsche bedauerte, dass die modernen Menschen nicht einmal wissen, welche ihre eigenen Kräfte sind. Die Popularisierung des Wissens hat keine reflektierte Bildung, sondern nur neue Wünsche zu konsumieren mit sich gebracht. In dieser Hinsicht lautet die Devise unserer Tage: „Es ist wert, alles was sich verkauft“; eigentlich sollte die Devise lauten „Es verkauft sich, alles was wert ist“.

Die Schnelligkeit schadet nicht nur der wissenschaftlichen Forschung, wie Nietzsche klagte. Sie hat sich in allen Lebensbereiche ausgedehnt. Die Geschwindigkeit symbolisiert für junge Leute wie Lucy die absolute Freiheit. Aber man kann nicht zu einem Ort gehören, wenn man sich dort kaum aufhält. Es können keine emotionellen Konflikte auftauchen, wenn jemand sich zwischen den Menschen bewegt, ohne eine tiefere Verbindung mit ihnen aufzubauen, ohne unter ihnen angesiedelt zu sein.

In der Ära des „Fast Food“ erweckt das Wissen kaum Interesse mehr. Die Ausarbeitung des Wissens verlangt zu viel Zeit. Das Wissen ist aus dem engen und dunklen Zimmer Fausts Zimmer  in die Außenwelt herausgetreten, um nur isoliert und verachtet am Rande der Gesellschaft zu bleiben. Die Situation des Wissens ist hier schlimmer als früher im faustischen Studierzimmer. Wenigstens fühlte es sicherer und bequemer. Es war allein, aber es war unabhängig. Es konnte sich besser auf seine Aufgabe konzentrieren. Draußen ist die Musik zu laut, das Chaos zu groß. Das Wissen ist so allein wie immer, aber es kann nicht mehr richtig arbeiten.

(„Point Counter Point“ Pg. 267)

„Romantic, romantic!“ she jeered. “You think in such an absurdly unmodern way about everything. (…) Try to be a little more up to date.

“I prefer to be human.”

“Living modernly´s living quickly” she went on. “You can´t cart a wagon-load of ideals and romanticisms about with you these days. When you travel by aeroplane, you must leave your heavy baggage behind. The good old-fashioned soul was all right when people lived slowly. But it´s too ponderous nowadays. There´s no room for it in the aeroplane.”

“Not even for a heart?” asked Walter. “I don´t so much care about the soul”. He had cared a great deal about the soul once. But now that his life no more consisted in reading the philosophers, he was somehow less interested in it. “But the heart”, he added, “the heart…”

Lucy shook her head. “Perhaps it´s a pity”, she admitted. “But you can´t get something for nothing. If you like speed, if you want to cover the ground, you can´t have luggage. The thing is to know what you want and to be ready to pay for it. I know exactly what I want; so I sacrifice the luggage. If you choose to travel in a furniture van, you may. But don´t expect me to come along with you, my sweet Walter. And don´t expect me to take your grand piano in my two-seater monoplane.”

 

Worum dreht es sich? Lucy wird immer weiter wiederholen. Sie hat kein Interesse daran,  sich ausufernde Begründungen eines Argumentes anzuhören.

(„Point Counter Point“ Pg. 356)

Descriptions are slow. A face is instantaneously perceived. A word, a single phrase –that was one need (…) No long-winded description. (…) “All the same,” he same thought, “it´s too literary. Too much culture.”

Die Axiome unserer Zeit sind Geschwindigkeit und Konsumismus – beides Erfolgsfaktoren der industriellen Produktionssteigerung.

1983 veröffentlichte Gilles Lipovetsky sein Buch « L´ère du vide. Essais sur le individualisme contemporain. » Er klagte darüber, dass die Jugendliche heutzutage nicht lesen. Die Erklärung aber ist nicht auf den Mangel an Büchern zurückzuführen, sondern gerade auf das Gegenteil. Die Inflation der Möglichkeiten ist das größte Hindernis, um Interesse an ihnen  zu wecken. Huxley fasst dieses Überflussphänomen in „Kontrapunkt des Lebens“ in ähnliche Worte, wenn er feststellt, dass die Kinder zu früh zu vielen Sachen bekommen.

(„Point Counter Point“ Pg 62)

„Children are brought up so stupidly nowadays. No wonder they´re cynical” (…) Children were given too much too early.

Die Dehumanisierungsgefahr ist Konsequenz der Zerstörung des kreativen Geistes. Dies ist die wichtigste Bedrohung der Menschheit. Deshalb soll man etwas dagegen tun, um sie zu beschützen.

Die technologische Entwicklung führt zu radikalen Veränderungen in der Gesellschaftsorganisation. Diese Veränderungen betreffen den tiefsten Kern des Individuums. Huxleys Verzweiflung steigt je mehr er merkt, dass diese Transformation und der konsequente Verlust des Humanen irreversibel geworden sind. Er meint, dass all die Moralisten, Spiritisten, Techniker, Literaten, Politiker und alle jene, die nicht verstanden haben, dass der Mensch wie ein Mensch und nicht wie ein Monster der Vernunft oder der Emotionen leben soll, schuld am Verlust des Humanen tragen.

 

(„Point Counter Point“ Pg. 274)

„I must say, I resent being condemned to extinction because these imbeciles of scientist and moralists and spiritualists and technicians and literary and political uplifters and all the rest of them haven´t the sense to see that man must live as a man, not as a monster of conscious braininess and soulfulness. Grr! I´d like to kill the lot of them.”

 

So nähert sich Huxley der gleichen Haltung, die Essayisten wie Nietzsche und Romanautoren wie Collins verteidigt haben. Sie wollen weder die Axiome der Aufklärung, noch das Interesse der Romantik an Archäologie, Geschichte und Natur zerstören. Ihr Bestreben richtet sich vielmehr gegen einseitigen Verirrungen in beiden Bewegungen – Aufklärung und Romantik -, die lediglich einen Aspekt verabsolutierten. Diese Autoren versuchen die Gesellschaft davor zu warnen wie gefährlich eine solche Verirrung sein kann. Ihr Ziel ist es, beide Elemente - Vernunft und Gefühl - zu harmonisieren. Ihre Werke zeigen vor allem den Niedergang der kreativen Instinkte und die spirituelle Dekadenz der gebildeten und elitären sozialen Kreise ihrer Zeit. Wie Nietzsche in seinem Buch „Die Geburt der Tragödie“ verkündet hat: Sein Text richte sich gegen die falsche Bildung der Gebildeten, nicht gegen das Volk.

 

 („Die Geburt der Tragödie“. S.11)

(…) ein hochmütiges und schwärmerisches Buch, das sich gegen das profanum vulgus der „Gebildeten“ von vornherein noch mehr als gegen das „Volk“ abschließt, (…)

 

Das Schrecklichste ist zu entdecken, dass wir uns noch immer nicht von den Gespenstern der Vergangenheit befreit haben. Wir sind immer noch ihre Gefangene. Je mehr wir denken, dass wir gerettet sind, desto großer ist unsere Verkettung.

 

(„Point Counter Point“. Pg. 169)

„you get revolutions occurring inside as well as outside. It´s poor against rich in the state. In the individual, it´s the oppressed body and instincts against the intellect. The intellect´s been exalted as the spiritual upper classes; the spiritual lower classes rebelles.”

 

Vielleicht ist Russells Verdacht wahr, dass der Mensch Hunderte von Jahren für eine  individuelle und soziale Regeneration benötigt. Vielleicht ist eine lange Zeit eines Primitivismus und ungehemmter Instinkte nötig, um neue Energien für den Bau einer kräftigen und lebendigen Gesellschaft zu tanken.

 

(„The Prospects of Industrial Civilization“ Pg.59)

Possibly that may be in the long run the more desirable alternative. It may be that the debris of our old civilization will require centuries to decay before there is room for anything new to grow up. It may be that civilized life has exhausted men´s vigour and initiative, in which case a long period of primitiveness and uninhibited instincts may be required to restores the energy needed for fresh construction.

 

Ich bin mir sicher, dass einige Ideen aus Russels Buch ein paar Verschwörungstheorien inspiriert haben mögen. Das ist ein Irrtum. Russells Ideen wollen nicht vor schwarzseherischen Szenarien warnen. Sie beabsichtigen keinen sozialen Umbruch. Russell Ideen verteidigen einen wissenschaftlichen Sozialismus. Das heißt: ein internationaler und bürgerlicher Sozialismus.

Auf jeden Fall behält sein Rat noch heute seine Gültigkeit. Er meint, dass die heutigen Generationen mehr an die Zukunft als an die Gegenwart denken sollen. Es wäre besser, wenn sie sich weniger für ihr eigenes Leben als für das Leben ihrer Nachfahren interessieren würden.

(„The prospects of Industrial Civilization“ Pg.15)

It is an age in which we have to think less of the present than of the future, less of the lives of our generation than of the lives they are preparing for the generations to come.


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Exkurs

(*) In „Die Leiden des jungen Werthers“ kritisiert Goethe die melancholischen und selbstzerstörerischen Posen, die aus einem unkontrollierten  Romantizismus entstehen.*

Liebe Leser, Sie werden doch nicht denken (auch wenn die meisten Literaturwissenschaftler das tun), dass ein Humanist und „bonvivant“ wie Goethe, der eine „spirituelle Krise“ nutzt, um nach Italien zu reisen, und in seinem Leben seine Arbeit als Beamter stets mit dem Reisen zu kombinieren versucht - und dabei Flirts und gutes Essen nicht verschmäht -,  eine Figur wie Werther, der in einem kleinen Glas sinnloser und enger Gefühlsduselei ertrinkt, mystifizieren wollte.

Ich bin ganz überzeugt, dass Goethe in seinem Inneren selbst nicht verstanden hat, warum sein Freund Karl Wilhelm Jerusalem sich umgebracht hat. Vor allem, weil er damals selbst unter Liebeskummer gelitten hat. Dennoch hat er die kleinen Freuden des Lebens, das jedes Schicksal zusammen mit den Schmerzen serviert, weiter genossen.

Sich wegen Liebeskummer umbringen! Was für eine Dummheit! – Dies wäre meiner Meinung nach die Reaktion, die Goethe von seinen Lesern erwartet hätte als er seinen „Werther“ veröffentlichte. Aber nicht desgleichen passierte. Ganz im Gegenteil: Sein Werk erlangte so großen Erfolg und übte so viel Einfluss auf die Gesellschaft, dass sich nach seiner Lektüre einige Leser sogar das Leben genommen haben.

Als ich vor einiger Zeit diesen Blog auf Spanisch geschrieben habe, wusste ich nicht, ob ich mit meiner Meinung in Bezug auf Goethes Werther alleine war. Kurz danach habe ich dank Heinrich Heine erfahren, dass es schon in Goethes Zeit jemanden gab, der diese These verteidigt hatte. Ich muss sagen, dass dies keine guten Konsequenzen für ihn hatte. Die öffentliche Meinung hat ihn verspottet und verächtlich gemacht. Dieser Mann war der Buchhändler Nikolai.

(„Zur Geschichte der Religion und der Philosophie in Deutschland“ S.30)

„(…)Hat aber Friedrich der Große uns verhöhnt ohne uns zu unterstützen, so unterstützte uns desto mehr der Buchhändler Nicolai, ohne daß wir deshalb Bedenken trugen, ihn zu verhöhnen. Dieser Mann war sein ganzes Leben lang unablässig tätig für das Wohl des Vaterlandes, er scheute weder Mühe noch Geld, wo er etwas Gutes zu befördern hoffte, und doch ist noch nie in Deutschland ein Mann so grausam, so unerbittlich, so zernichtend verspottet worden, wie eben dieser Mann. Obgleich wir, die Spätergeborenen, recht wohl wissen, daß der alte Nicolai, der Freund der Aufklärung, sich in der Hauptsache durchaus nicht irrte; obgleich wir wissen, daß es meistens unsere eignen Feinde, die Obskuranten, gewesen, die ihn zugrunde persifliert: so können wir doch nicht mit ganz ernsthaftem Gesichte an ihn denken. Der alte Nicolai suchte in Deutschland dasselbe zu tun, was die französischen Philosophen in Frankreich getan: er suchte die Vergangenheit im Geiste des Volks zu vernichten; eine löbliche Vorarbeit, ohne welche keine radikale Revolution stattfinden kann. Aber vergebens, er war solcher Arbeit nicht gewachsen. Die alten Ruinen standen noch zu fest, und die Gespenster stiegen daraus hervor und verhöhnten ihn; dann aber wurde er sehr unwirsch, und schlug blind drein, und die Zuschauer lachten, wenn ihm die Fledermäuse um die Ohren zischten und sich in seiner wohlgepuderten Perücke verfingen. Auch geschah es wohl zuweilen, daß er Windmühlen für Riesen ansah und dagegen focht. Noch schlimmer aber bekam es ihm, wenn er manchmal wirkliche Riesen, für bloße Windmühlen ansah, z. B. einen Wolfgang Goethe.

Er schrieb eine Satire gegen dessen "Werther", worin er alle Intentionen des Autors aufs plumpste verkannte. Indessen, in der Hauptsache hatte er immer recht; wenn er auch nicht begriffen, was Goethe mit seinem "Werther" eigentlich sagen wollte, so begriff er doch ganz gut dessen Wirkung, die weichliche Schwärmerei, die unfruchtbare Sentimentalität, die durch diesen Roman aufkam und mit jeder vernunftkräftigen Gesinnung, die uns Not tat, in feindlichem Widerspruch war. Hier stimmte 29Nicolai ganz überein mit Lessing, der an einen Freund folgendes Urteil über den "Werther" schrieb: "Wenn ein so warmes Produkt nicht mehr Unheil als Gutes stiften soll.- meinen Sie nicht, daß es noch eine kleine kalte Schlußrede haben müßte? Ein paar Winke hinterher, wie Werther zu einem so abenteuerlichen Charakter gekommen; wie ein anderer Jüngling, dem die Natur eine ähnliche Anlage gegeben, sich davor zu bewahren habe. Glauben Sie wohl, daß je ein römischer oder griechischer Jüngling sich so, und darum, das Leben genommen? Gewiß nicht. Die wußten sich vor der Schwärmerei der Liebe ganz anders zu sichern; und zu Sokrates Zeiten würde man eine solche [Liebesbegeisterung], welche [etwas Widernatürliches zu wagen] antreibt, [Im Original griechisch JM] nur kaum einem Mädelchen verziehen haben. Solche kleingroße, verächtlich schätzbare Originale hervorzubringen, war nur der christlichen Erziehung vorbehalten, die ein körperliches Bedürfnis so schön in eine geistige Vollkommenheit zu verwandeln weiß. Also, lieber Goethe, noch ein Kapitelchen zum Schlusse; und je zynischer, je besser!"

 Freund Nicolai hat nun wirklich, nach solcher Angabe, einen veränderten "Werther" herausgegeben. Nach dieser Version hat sich der Held nicht totgeschossen, sondern nur mit Hühnerblut besudelt; denn statt mit Blei war die Pistole nur mit letzterem geladen. Werther wird lächerlich, bleibt leben, heuratet Charlotte, kurz endet noch tragischer als im Goetheschen Original.

"Die allgemeine deutsche Bibliothek" hieß die Zeitschrift, die Nicolai gegründet, und worin er und seine Freunde gegen Aberglauben, Jesuiten, Hoflakaien und dgl. kämpften. Es ist nicht zu leugnen, daß mancher Hieb, der dem Aberglauben galt, unglücklicherweise die Poesie selbst traf. So stritt Nicolai z. B. gegen die aufkommende Vorliebe für altdeutsche Volkslieder. Aber im Grunde hatte er wieder recht; bei aller möglichen Vorzüglichkeit, enthielten doch jene Lieder mancherlei Erinnerungen, die eben nicht zeitgemäß waren, die alten Klänge, der Kuhreigen des Mittelalters, konnten die Gemüter des Volks wieder in den Glaubensstall der Vergangenheit zurücklocken. Er suchte, wie Odysseus, die Ohren seiner Gefährten zu verstopfen, damit sie den Gesang der Sirenen nicht hören, unbekümmert, daß sie alsdann auch taub wurden für die unschuldigen Töne der Nachtigall. Damit das Feld der Gegenwart nur radikal von allem Unkraut gesäubert werde, trug der praktische Mann wenig Bedenken, auch die Blumen mit auszureuten. Dagegen erhob sich nun feindlichst die Partei der Blumen und Nachtigallen, und alles was zu dieser Partei gehört, Schönheit, Grazie, Witz und Scherz, und der arme Nicolai unterlag.

 In dem heutigen Deutschland haben sich die Umstände geändert, und eng verbunden mit der Revolution ist die Partei der Blumen und Nachtigallen. Uns gehört die Zukunft, und es dämmert schon der Tag des Sieges. Wenn einst dieser schöne Tag unser ganzes Vaterland überstrahlt, dann wollen wir auch der Toten gedenken, dann wollen wir auch deiner gedenken, alter Nicolai, armer Märtyrer der Vernunft! Wir deine Asche nach dem deutschen Pantheon tragen. der Sarkophag umgeben vom jubelnden Triumphzug und begleitet vom Chor der Musikanten, unter deren Blasinstrumenten beileibe keine Querpfeife sein wird; wir werden auf deinem Sarg die anständigste Lorbeerkrone legen, und wir werden uns alle mögliche Mühe geben, nicht dabei zu lachen.

 Da ich von den philosophischen und religiösen Zuständen jener Zeit einen Begriff geben möchte, muß ich hier auch derjenigen Denker erwähnen, die mehr oder minder in Gemeinschaft mit Nicolai zu Berlin tätig waren und gleichsam ein Justemilieu zwischen Philosophie und Belletristik bildeten. Sie hatten kein bestimmtes System, sondern nur eine bestimmte Tendenz. Sie gleichen den englischen Moralisten in ihrem Stil, und in ihren letzten Gründen. Sie schreiben ohne wissenschaftlich strenge Form und das sittliche Bewußtsein ist die einzige Quelle ihrer Erkenntnis. Ihre Tendenz ist ganz dieselbe, die wir bei den französischen Philanthropen finden. In der Religion sind sie Rationalisten. In der Politik sind sie Weltbürger. In der Moral sind sie Menschen, edle, tugendhafte Menschen, streng gegen sich selbst, milde gegen andere. Was Talent betrifft, so mögen wohl Mendelssohn, Sulzer, Abbt, Moritz, Garve, Engel und Biester als die ausgezeichnetsten genannt werden.“

Mit meiner Meinung will ich aber nicht so weit gehen wie der Buchhändler Nikolai. Auch wünsche ich mir die Konsequenzen nicht, die er erlitten hat. Aber ein Gedanke kommt mir auf die Zunge: Werther hat sich das Leben genommen, weil er seine Leiden nicht mehr ertragen konnte. Dagegen haben sie Goethe Ruhm und Geld gebracht. Ob sich Nikolai das auch gedacht hat?

Auf jeden Fall ist es, wenn nicht merkwürdig, so doch ironisch, dass Jahre später - im Jahre 1809 - Goethe „Die Wahlverwandtschaften“ veröffentlicht hat. Dort haben Goethes sensible Zeitgenossen folgenden genialen, wenn auch vulgären Satz gelernt: „Der Tote gehört ins Grab, der Lebende an den Brotleib“. Werthers Leiden war vergessen.

Ende des Exkurses.

Isabel Viñado Gascón.

Dies war der vorletzte Blog über Kontrapunkt des Lebens. Den letzten möchte ich vor Weihnachten fertig haben. Es wäre mein Geschenk für sie alle, lieber Leser. Ob ich das schaffe? Der Versuch ist es wert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

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