Mittwoch, 25. Juni 2014

3. „Kontrapunkt des Lebens“ (1928) Huxley - Huxley und Virginia Woolf. Die Neuankömmlinge. Nichts Neues in Sicht… vorerst

Im Roman von Aldous Huxley „Point Counter Point“ (1928) Vintage Classics, Random House 2004, können Sie die Textpassagen finden, die ich hier zitiert habe.


Die Neuankömmlinge (Aufsteiger, homo novus) in der besseren Gesellschaft kommen aus niedrigeren sozialen Schichten. Sie sind intelligent und stehen für politische Positionen ein, die die Gleichbehandlung fordern. Ihre Beziehung mit den elitären Kreisen ist kompliziert und nicht  frei von Paradoxien. Einerseits bewundern die Neuankömmlinge das Axiom „ laissez faire, laissez passer“, das die Entscheidungen ihrer wohlsituierten Gastgeber leitet. Anderseits ist ihnen bewusst, dass dieses Axiom auch das frivole und oberflächliche Verhalten einer privilegierten sozialen Klasse bestimmt. Eine sozial Klasse, die in ihrem Elfenbeinturm eingeschlossen ist, gleichgültig gegenüber den Problemen der Arbeiterklasse. Bei den Neuankömmlingen treten die politischen Ideale von Gleichheit und Gerechtigkeit  mit dem Neid auf die Schönheit und den Glanz der Mitglieder der besseren Gesellschaft zusammen auf.

Beide Gruppen - die bessere Gesellschaft und die Neuankömmlinge - teilen jedoch Gemeinsamkeiten:

1.       Sie lehnen beide puritanische Einstellungen ab. Die Gründe dafür sind aber verschieden. Was für die eine der letzte zu brechende Damm gegen die Freiheit ist, bedeutet für die anderen die Verkörperung der Macht der herrschenden Kreise und Ausdruck der Doppelmoral.
Aber auf jeden Fall streben sie alle – jeder auf seine Art und Weise-  nach dem Komfort und Unterhaltungsmöglichkeiten, die die neuen technologischen Entdeckungen im Alltag bringen und –  wie Illidge treffend sagt- eben nicht kostenlos sind.

2.       Deshalb sind sie sich auch über die Bedeutsamkeit des Geldes einig.

„Point Counter Point“  Pg.76.
Illidge shrugged his shoulders. ‘Parties, music, science –alternative entertainments for the leisured. You pay your money and you take your choice. The essential is to have the money to pay.’ He laughed disagreeably.

Für den Neuankömmling Illidge wie für die gut situierte Virginia Woolf ist es unentbehrlich, Geld zu haben. Woolf wird sogar behaupten, dass wenn sie zwischen dem Frauenwahlrecht und einer Rente von fünfhundert Pfund zu entscheiden hätte, sie zweifellos (sofort) die Rente von fünfhundert Pfund nehmen würde („Ein eigenes Zimmer“). Beide Gruppen sind der Überzeugung, dass zwar das Geld die Freiheit ermöglicht, aber zugleich auch Korruption und Dekadenz impliziert. Wie Illidge beobachtet: Das liegt in der Natur des Geldes.
„Point Counter Point“  Pg. 69
‚Money breeds a kind of gangrened insensitiviness.‘

Den extrem Reichen ist die Bedeutsamkeit des Geldes auch nicht fremd. Sie sind für ihre Knauserigkeit bekannt. Rampion heiratet Mary. Er sagt ihr, dass er nicht von dem Geld ihres vermögenden Vaters leben will. Mary lacht und tröstet ihn: ihr Vater sei gegen die ungleiche Ehe. Es bestehe „keine Gefahr“, dass er ihre prekäre Existenz finanziere; vor allem, da sie -  Mary - diese Situation freiwillig gewählt habe.
„Point Counter Point“  Pg.142
‘Not that they’ll be very anxious to give me anything’ she added with a laugh. She was right. Her father’s horror at the misalliance was as profound as she had expected.’

3.       Beide Gruppen stimmen auch darin überein, die Freiheit und individuelle Unabhängigkeit als Privileg zu betrachten. Die elitären Kreise wie die Arbeiterklasse wissen, dass nur einige wenigen imstande sind, solche Rechte zu genießen. Es ist wahr, dass Mary ihren Mann Rampion ermuntert, seine sichere Stelle als Lehrer aufzugeben, damit er sich auf die Malerei konzentrieren kann. Aber wie Huxley zeigt weiß Mary nicht, was es bedeutet, unter Geldnot zu leben.

„Point Counter Point“ Pg.141
‚But why should you be a pedagogue, when you can write and draw? You can live on your wits.’
‘But can I? At least pedagogy ‘safe’
‘What do you want to be safe for?’ she asked, almost contemptuously.
Rampion laughed. “You wouldn’t ask if you’d had to live on a weekly wage, subject to a week’s notice. Nothing like money for promoting courage and self-confiance.’

Hier enden aber bereits die Gemeinsamkeiten zwischen den gut situierten Klassen und der Arbeiterklasse. Die privilegierten Klassen können nicht verstehen, dass die materielle Not einerseits dazu zwingt, Arbeiten und Bedingungen zu akzeptieren, die nicht immer mit den eigenen Talenten und  Berufswünschen übereinstimmen, und anderseits, sich an die Menschen ihrer Umgebung anpassen zu müssen. Das ist genau, was der Kommunist Illidge – die Figur, die Huxley als Neuankömmling in seinem Roman einführt – meint, wenn er Walter seine Liebe zur Privatheit vorwirft. Die Reichen, sagt Illidge, müssen keine Beziehungen mit den Nachbarn unterhalten, weil sie die bezahlte Hilfe ihres Personals haben. Die Armen dagegen haben kein Geld, um notwendige Hilfe bezahlen zu können. Sie müssen sich daher gegenseitig helfen. Deshalb ist es unentbehrlich für die Arme, gute Beziehungen zu den Nachbarn zu bewahren.

„Point Counter Point“ Pg. 70
‚But you rich‘ the other went on‚ you have no read neighbours. You never perform a neighbourly action or expect your neighbours to do you a kindness in return. It’s unnecessary: You can pay people to look after you (…) No, you’re generally not even aware of your neighbours. You live at a distance from them. Each of you is boxed up in his own secret house. (…) Privacy’s a great luxury. (…) In a poor street misfortune can’t be hidden. Life’s too public. People have their neighbourly feeling kept in constant training.’

Für die privilegierten Kreise birgt eine solche Anpassung an den Nächsten eine schrecklichen Gefahr: Die Steigerung der Tendenz zur Vermassung und Beinflussbarkeit. Ihrer Meinung nach verhindert dies die Urteilskraft, die immer frei und unabhängig sein soll. Trotzdem insistiert Illidge weiter, dass die Freiheit Geld kostet. Nur derjenige, der Geld hat, kann frei sein.
„Point Counter Point“ Pg.78
‚Money to pay,‘  he repeated. That’s the essential.’
Die wirtschaftliche Erklärung der Welt, die Individuen wie Illidge für alle Aspekte der Existenz anbieten – gleichviel, ob es sich um ein politisches, moralisches oder künstlerisches Thema handelt -  nervt letztlich die Mitglieder der besseren Gesellschaft. Sie vergleichen Illidges Reden mit religiöser Litanei: langweilig und bedeutungslos für ihr Leben.

„Point Counter Point“ Pg.70
‚Illidge went on like a denouncing prophet.’

Huxley lässt durchblicken, dass Illidges Bitterkeit eher seinen eigenen Neid reflektiert als ein ehrliches Streben nach sozialer Gerechtigkeit. Deshalb stören Illidge am meisten nicht die Charakterfehler der Reichen, sondern ihre Tugenden. Diese sind nach Illidges Meinung Produkt ihrer wirtschaftlichen Sicherheit. Die Reichen müssen sich noch nicht einmal Gedanken machen über die Entwicklung ihrer Extravaganzen, weil ihre Bankkonten sie sogar aus dem Irrenhaus retten würden.

„Point Counter Point“ Pg.76
Illidge resented the virtues of the rich much more than their vices. Gluttony, sloth, sensuality and all the less comely products of leisure and an independent income, could be forgiven, precisely because they were discreditable. But disinterestedness, spirituality, incorruptibility, refinement or feeling and exquisiteness of taste –there were commonly regarded as qualities to be admired; that was why he so specially disliked them. For these virtues, according to Illidge, was as fatality the product of wealth as were chronic guzzling and breakfast al eleven. (…) ‘Why can’t they be frank and say outright what they’re all the time implying –that the root of all their virtue is a five per cent gilt-edgeg security?’

“Point Counter Point” Pg.77
‘If the Old Man wasn’t the descendant of monastery-robbers’ he would say to the praisers or admirers, ‘he’d be in the workhouse or the loony asylum.’

Aus der Sicht der Mitglieder der privilegierten Gesellschaft verhindert diese negative Einstellung, dass  Illidge die guten Momente des Lebens genießen kann. Trotz dieser Unfähigkeit will Illidge weiterhin in der Wärme der elitären Klassen bleiben. Damit weist Huxley auf Illidges Widersprüche hin, die zwischen seinen Ambitionen, seine Worten und seinen Handlungen bestehen.  Spandrell wird Illidges Inkonsistenz ans Licht bringen. Er erzählt, dass Illidge seine Mutter unterstützt, die Erziehung seines kleinen Bruders bezahlt und fünfzig Pfund seiner Schwester als Hochzeitsgeschenk gegeben hat.  Lucy versteht nicht, was daran komisch ist. Spandrells Antwort ist nichts, wenn Illidge ein bürgerliches Verhalten verteidigen würde. Die Loyalität gegenüber seiner Familie beweist ein absolut bürgerliches Verhalten. Wenn Illidge seinen politischen Ideen wirklich treu wäre, würde er keine Unterscheidung zwischen seiner Mutter und dem Rest der Frauen machen. Mehr noch: In einer nach seinen Ideen organisierten Gesellschaft, würde er wegen der Arthritis seiner Mutter sogar Euthanasie ihr praktiziert werden.

„Point Counter Point“ Pg.202
‘I can give you examples of his practical inconsistencias. I discovered not long ago, quite accidentally, that Illidge has the most touching sense of family loyalty.’

Die Figur des Neuankömmlings, die Huxley in die geschlossene, wohlhabende und adlige englische Welt einführt ist der Kommunist Illidge. Bei Virginia Woolf sind die Feministen und die gebildeten und radikalen christlichen Frauen die Neuankömmlinge.

Was beide Schriftsteller in ihren Romanen zeigen ist, dass solche Figuren nicht imstande sind, die Mitglieder der vermögenden Kreise zu erschüttern, noch nicht einmal aufzuregen. Eigentlich halten sie sie für bedeutungslos: ohne Sinn für die Kunst und die Individualität.

Tatsächlich wird Illidges Freund Spandrell, das „enfant terrible“ der guten Gesellschaft, derjenige, der den Führer der totalitären Partei „Die Freien Engländer“ ermordet. Mit dem Unterschied, dass er mit seiner Tat keinem Parteibefehl folgt. Viel weniger noch Illidges politischen Einfluss. Er bringt den Führer Webley um, weil er seiner eigenen Überzeugung gehorcht. Spandrell ist gegen den Totalitarismus ganz egal ob die elitären Kreise oder die Arbeitergruppen ihn auslösen.  Er ist ziemlich sicher, dass Webleys Suggestionskraft viele Leute überreden könnte, ihn zu wählen. Das hätte katastrophale Konsequenzen für die Freiheit in England. Spandrells Tat beansprucht die individuelle Verantwortung als Gegensatz zur Partei der Massen und zur Massengesellschaft, die die Individuen von ihrer eigenen Verantwortung und damit von ihrer eigenen Urteilskraft zu „entlasten“ versuchen.

Schlussfolgerung

Huxley und Woolf betrachten die Neuankömmlinge, die ihre privilegierten und exklusiven Kreise erreichen, mit Geringschätzung. Sie verleihen ihnen finstere und neidische Persönlichkeiten. Solche Charaktere können sich nicht von ihren Minderwertigkeitskomplexen lösen, die die individualistische und unbekümmerte bessere Gesellschaft in ihnen auslösen. Diese Leichtigkeit der wohlhabenden Gruppen bedeutet nicht, dass sie die Realität der sozialen Ungerechtigkeit ignorieren. Sie suchen auch nicht ihre eigenen Müßiggang und ihr Desinteresse für alle Themen, die nicht direkt mit ihnen zu tun haben, zu verstecken. Weder Huxley noch Woolf ertragen die Heuchelei derjenigen, die einerseits die elitären Kreisen erreichen – sogar sich in sie integrieren – wollen und anderseits sich moralisch überlegener als die Wohlhabenden ansehen, weil sie selbst aus niedrigeren und ärmeren sozialen Schichten stammen.

Aus der Lektüre ihrer Romanen kann man schlussfolgern, dass Huxley wie Woolf folgende Ansichten verteidigen:

1.       Die Moral ist nicht umkehrt proportional zur Kaufkraft.
2.       Die Moral ist nicht Besitz irgendeiner politischen Gruppe oder sozialen Schicht. Ihre Natur hat zuallererst einen individuellen Charakter.
3.       Es ist demagogisch, moralische Prämissen zu nutzen, ja ausnutzen, um den selbstverständlichen Wunsch, reich zu werden und bequem zu leben, zu kaschieren.

Beide Schriftsteller – Huxley und Woolf - kritisieren ihre eigene privilegierte soziale Klasse, ohne aber von ihr abschwören zu wollen. Besonders Huxley kritisiert den Zynismus ihrer Mitglieder wie ihre Gleichgültigkeit gegenüber den sozialen Themen. Jedoch besteht kein Zweifel daran, dass Huxley und Woolf stolz auf die künstlerische, wissenschaftliche und intellektuelle Atmosphäre ihrer Kreise sind. Sie sind auch nicht ganz sicher, dass dies in der Arbeiterklasse existieren könnte. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens weil die Arbeite arbeiten müssen, um sich zu ernähren. Deshalb verfügen sie nicht über die notwendige Freiheit, um sich Aktivitäten zu widmen, die keine oder nur geringe Einkünfte bringen. Zweitens folgt aus der wirtschaftliche Prekarietät die Mitglieder der Arbeiterklasse Abhängigkeit statt individueller Autonomie. Weder Huxley noch Woolf ertragen die engen Geister, die nur aus dem Fenster der Vorurteile und deren Perspektive den anderen imponieren wollen.

Bis hierhin die Parallelen zwischen beiden Autoren. Während Woolf sich in den Elfenbeinturm der Künstler zurück zieht, bleibt Huxley an der Grenzlinie, die seine Welt von den anderen Welten trennt. Der originelle Titel des Buches: „Point Counter Point“ zeigt ganz deutlich Huxleys Absicht. Nämlich: Seine eigenen Gesellschaftskreise der Komplexität und Wechselhaftigkeit  der Wirklichkeit seiner Zeit entgegen zu setzen. Die großen Probleme, die Huxley sein Leben lang beschäftigt werden, werden hauptsächlich mit der Industrialisierung und dem Fortschritt zu tun haben.

Der Elfenbeinturm fühlt noch nicht die Schläge der Geschichte. Seine Bewohner sind zu beschäftigt mit sich selbst. Aber die Trompeten lassen hören, dass sie sich unaufhaltsam nähert. Illidge ist der erste. Er trägt das Banner der neuen Winden der Geschichte. Hinter ihm kommen noch viele andere Bannerträger.

„Point Counter Point“ Pg.77
‚But being unpleasant to and about the rich, besides a pleasure, was also, in Illidge’s eyes, a sacred duty. He owed it to his class, to society at large, to the future, to the cause of justice.’

Treu zu seinem Leben, treu zu seiner sozial Gruppe. Huxley wird bis zu seinem Tod stets behaupten, was Nietzsche schon in seiner Zeit sagte, nämlich: Nicht die Menschen, sondern der Mensch verändert die Geschichte. Nicht die Masse, sondern das Individuum baut sie.

Nächstes Mal wird erscheinen:

4.       „Huxley und Nietzsche. Aufklärung: Das schwierige Gleichgewicht zwischen Vernunft und Gefühl.“ „Kontrapunkt des Lebens“ (1928) Huxley.

Dieser Blog und der letzte: „Huxley und die dunkle Kräfte der Romantik.  Die Ära des Nationalismus und der Mystik.“ sind extrem lang und kompliziert. Man könnte sagen, dass sie kleine Essays sind. Ihre Ausarbeitung auf Spanisch war damals schwierig genug. Sie können sich vorstellen, wieviel Mühe die deutsche Übersetzung eine Amateurin kostet. Der Juli wird sehr wahrscheinlich blogfrei.

Isabel Viñado-Gascón






Sonntag, 22. Juni 2014

2. „Kontrapunkt des Lebens“ (1928) Huxley. Huxley und Virginia Woolf. Frauen: Das Verschwinden des Konflikts zwischen Pflicht, Befreiung und Hedonismus.

Hier sind es, die von mir benutzte Ausgabe:
-          Aldous Huxley „Point Counter Point“ (1928) Vintage Classics, Random House 2004. Auf Deutsch: “Kontrapunkt des Lebens”
-          Aldous Huxley „Brave New World“   (1932) Vintage Classics, Random House 2004. Auf Deutsch: “Schöne neue Welt”
-          Virginia Woolf  “Mrs Dalloway” (1925) S. Fischer Verlag 2006
-          Virginia Woolf  “Ein eigenes Zimmer” (1929) Fischer Taschenbuch Verlag 2007.

Was wird von den Frauen in der hohen Gesellschaft erwartet:

1.        Organisation der Gästeabende.
Die Damen der privilegierten Klassen nehmen an den gesellschaftlichen Treffen teil. Sie organisieren die Salonveranstaltungen und entscheiden über die Gästeliste. Ihre Hauptaufgabe besteht hauptsächlich darin, für die Harmonie und das Gelingen  der Gesellschaftsabende  zu sorgen. Ihre Rolle dort besteht darin, mehr oder weniger passende Bemerkungen zu machen, liebenswürdig die Gäste zu bewirten und Nachsicht gegenüber den maskulinen Schwächen zu zeigen, dabei aber gleichzeitig darauf achtend, dass noch nicht mal die Männer selbst – vor allem die Männer selbst - das das bemerken.

2.       Die Kindererziehung.
In den privilegierten sozialen Klassen mangelt es an Kindern. Die Männer sind überzeugte Malthusianer und denken an Geburtskontrolle. Die Frauen kämpfen um die soziale und politische Gleichberechtigung, aber vor allem um ihre persönliche und kreative Entwicklung. Was sie damit anstreben, ist die ökonomische Unabhängigkeit. In diesem ganzen Prozess bedeutet die Mutterschaft ein Hindernis: Von der Schwangerschaft an bis das Kind wenigstens fünf Jahre alt ist, ist die Mutter gebunden, weil das Kind ihre ganze Energie in Anspruch nimmt. Je mehr Kindern sie bekommt, desto weniger Zeit hat sie für ihre kreative Arbeit und ihre  Selbstverwirklichung.

Ein eigenes Zimmer“ S.25.
„Denn eine College-Stiftung würde die gänzliche Abschaffung der Familie erfordern. Ein Vermögen verdienen und dreizehn Kinder zur Welt bringen –kein Mensch könnte das durchstehen. Betrachten wir die Tatsachen, sagten wir. Als erstes sind da die neun Monate, bevor das Kind geboren wird. Dann wird das Kind geboren. Dann gehen drei oder vier Monate damit hin, das Kind zu stillen. Nachdem das Kind abgestillt worden ist, gehen bestimmt fünf Jahre damit hin, mit dem Kind zu spielen. (…) Manche Leute sagen auch, das Wesen des Menschen bilde sich im Alter von ein bis fünf Jahren heraus.

Diejenigen, die trotz allem Kinder bekommen, folgen dem Freiheitsimperativ, der in den Theorien der Kindererziehung jener Zeit vorherrscht. So gesehen verfügen die Kinder der guten Gesellschaft über eine enorme Flexibilität in ihren Aktivitäten und Stundenplänen.
Huxleys Absicht liegt nicht darin, eine solche Kindheit zu idealisieren. Erstens, weil in Wirklichkeit die kleine Kinder fast immer unter der Beaufsichtigung des Hauspersonals sind. Letzteres stammt aus einfachen sozialen Verhältnissen und hat eine ganz andere Bildung bekommen. Die Bildung des Personals wurde nur durch feste und simple Schemata geprägt. Diese hatten nur ganz wenig mit den kreativen Tendenzen der Erziehungsideale der besseren Kreise zu tun. Die Hausangestellten werden zum Beispiel nie verstehen, warum ein Kind malen darf, ohne sich um die richtigen Proportionen zu kümmern. Sie werden nie akzeptieren, dass sich so etwas „Kreativität“ nennen kann.
Zweitens, weil Huxley zeigt, dass diese scheinbare Freiheit nur die Gleichgültigkeit der Eltern gegenüber ihren Kindern vertuscht. Mütter und Väter beschäftigen sich lieber mit ihren eigenen Zielen und ihrer Selbstverwirklichung als mit der seelischen und intellektuellen Entwicklung ihrer Nachkommen. Auch wenn Huxley den Egoismus beider Elternteile kritisiert, gibt er den Müttern eine größere Verantwortung.  Huxley ist nämlich davon überzeugt, dass es die Mütter sind, die die Kinderseele modellieren.

Der englische Schriftsteller empfiehlt den Frauen, die Mütter geworden sind, dass sie ihren Egoismus hintanstellen und sich auf ihre mütterliche Aufgaben konzentrieren. Sonst könnte ihr verantwortungsloses Verhalten Unsicherheiten und Traumata in den Kinderseelen verursachen, deren Konsequenzen ebenso unvorhersehbar wie unglückselig wären. Der kleine Phil stirbt. Es ist die Rache Huxleys an seiner Figur Elinor, die zu kaltherzig und distanziert zu ihrem Sohn war.
Am negativsten aber erscheint Spandrells Mutter. Ihr Egoismus und leichtsinniges Verhalten werden ihren Sohn für immer zerstören. Kurz nachdem Spandrells Vater gestorben ist, heiratet sie einen Militär. Der Militär ähnelt den Militärs aus den pornografische Schriften, die er im Internat liest. Das ist für einen sensiblen Pubertierenden nahezu unerträglich. Erfolglos fleht er seine Mutter an, ihn nicht zu heiraten. Huxley genehmigt der Mutter nur einige schwache Rechtfertigungen, die keinen – auch den Leser nicht - überzeugen.

Point Counter Point“   Pg. 235.
‚But the responsibility of his upbringing weighed on her heavily. The future had always frightened her; she had always been afraid of taking decisions; she had no trust in her own powers. Besides, after her husband’s death, there wasn’t much money. (…) For nine months out of twelve she was alone (…) It was shortly after poor old Fritz’s death that she first met Major Knoyle, as he then was.’

Weder die Argumente Geld noch Einsamkeit wirken überzeugend. Huxley lässt den Lesern durchschauen, dass in ihrer Entscheidung in Wirklichkeit nur ein Faktor zählte: Egoismus. Spandrell wird sich von diesen Traumata nie erholen. Spandrell wird an nichts und niemanden glauben. Er wird ein Außenseiter der Gesellschaft.

„Point Counter Point“  Pg.236.
‚You didn’t  think much of my happiness in the past; he said (…) ‘When you married that man’, he went on, ‘did you think of my happiness? (…) ‘You didn’t listen to me, and now you tell me you wanted to make me happy.’

Das Gegenbild ist die positive Figur Jane Paston. John Bidlake heiratete sie, weil er krank und allein war. Er suchte jemanden, der sich um ihn kümmern würde. John Bidlakes Meinung nach vereint Jane Paston die richtigen Eigenschaften dafür. Sie ist hübsch, ernst und häuslich. (‚a stay-at-home‘ „Point Counter Point.“ Pg.240) Als John Bidlake unerwartet gesund wird, kehrt er zu seinem alten Single-Leben zurück. Sie bleibt allein mit den zwei Kindern und übernimmt ihre Erziehung.
                                                                                    
Die Frauen der hohen Gesellschaft: Die traditionelle Frau und die Geburt des Neuen.

Huxley und Virginia Woolf weisen Frauen und Männern verschiedene Wirkungskreise zu. Der Mann ist Intellekt. Die Frau ist Gefühl. “But Elinor was more interested in love than in logic“, schreibt Huxley in „Point Counter Point” (Pg.94). Der Mann ist Ying und die Frau ist Yang. Keiner von beiden ist wichtiger oder höher als der andere. Virginia Woolf behauptet in „Ein eigenes Zimmer“, dass jeder Mensch zwei verschiedene Naturen in sich trägt: eine weibliche und eine männliche. In Abhänigigkeit vom konkreten Geschlecht wird der eine oder der andere Teil dieser Natur mehr aktiviert. Dagegen ist Huxley überzeugt, dass jedes Geschlecht spezifische Merkmale besitzt. Trotzdem erkennt er an, dass die Kommunikation zwischen Mann und Frau durch die Existenz eines gemeinsamen Gebietes möglich ist.

“Point Counter Point”. Pg.148.
 ‘Living comes to you too easily’, he tried to explain. ‘You live by instinct. You know what to do quite naturally, like an insect when it comes out of the pupa. It´s too simple, too simple’. He shook his head. ‘You haven’t earned your knowledge; you’ve never realized the alternatives.’
‘In other words,’ said Mary, I´m a fool.’
‘No, a woman.’

Beide Schriftsteller wären gewiss sehr empört, würde man sie als „machistisch“ bezeichnen. Beide verteidigen die Idee, dass sowohl die Männer wie die Frauen ihre Unabhängigkeit und Autonomie in ihrer Beziehung behalten sollen. Jeder von ihnen benötigt seinen eigenen Aktionsraum. Deshalb ist es wichtig, dass jeder seine eigenen Freundeskreis und seine Beschäftigung hat. Virginia Woolf meint, dass der Geist sich nur so entwickeln kann. Ihre Figur Mrs. Dalloway heiratet Richard Dalloway statt Peter Walsch, weil sie mit Richard ihre Freiheit weiter genießen kann.

Mrs Dalloway. S.11.
‘Denn in der Ehe musste es einen kleinen Freiraum, eine kleine Unabhängigkeit geben zwischen Leuten, die tagein, tagaus im selben Haus lebten; die Richard ihr gab, und sie ihm. (…) Aber mit Peter musste alles geteilt werden; alles durchgesprochen werden‘.

Dieses Bedürfnis nach einen Freiraum stellt die Grundlage für die Kommunikation und gegenseitig Achtung und Respekt dar. Damit meint Woolf weder, dass jeder ein getrenntes Leben zu führen noch, dass das Zusammenleben der Ehe einer bloßen Wohngemeinschaft zu ähneln habe. Es handelt sich einfach darum, gleichsam einen eigenen Garten zu haben, um sich bei Bedarf zurückziehen zu können.
Huxleys Meinung nach hat ein Mann nur dann einen wahren Freiraum, wenn  seine Ehefrau ihm keine Vorwürfe und keine Szenen macht. Huxley ist überzeug, dass eine Frau nicht nur die Abendgesellschaften vorbereiten soll; vor allem soll sie sich um ihren Mann kümmern. Das heißt: Sie soll seine Schwächen akzeptieren statt ihn ändern zu wollen. Wenn es denn unbedingt sein muss, ist es ratsam, den Mann auf zärtliche Art und Weise zu verändern zu versuchen, ohne dass er es merkt. Es ist dies nicht eine Frage der Unterordnung,  sondern der praktischen Intelligenz. (Ich muss gestehen: für „Musketier-Frauen“ wie mich ist das unmöglich.)

Huxleys Vorbilder sind Lady Edward und Rachel Quarles. Lady Edward heiratet Lord Edward: gleichermaßen reich wie kindlich. Lady Edwards Lösung ist John Bidlake als Geliebte zu haben.  Es ist eine Liebe, die es ihr erlaubt, ihre eigene Sensualität zu entdecken, ohne den Kopf zu verlieren. Letzteres hätte bedeutet, Haus, Geld und Adelstitel zu verlieren. Lady Edward ist nicht bereit zu erlauben, dass das passiert.

„Point Counter Point“  Pg.27.
„If she had lost her head, she might have lost Tantamount House and the Tantamount millions and the Tantamount title as well. She had no intention of losing these things.”

Rachel Quarles ist auch ein Vorbild, wenn auch anderen Stils. Sie heiratet einen Mann, der absolut unfähig für die Politik und für die Geschäfte ist. Um den Bankrott zu vermeiden, stellt sie sich vor ihn und übernimmt die Verantwortung dafür. Sie macht dies so taktvoll, dass ihr Mann sich nicht als Versager ansieht. Eher das Gegenteil.

Die intellektuelle Teilnahme der Frauen an der Gesellschaft spielt nur eine sekundäre Rolle für Huxley. Der gebildete Engländer zeigt keine Scham, wenn es sich darum handelt, sich über das intellektuelles Streben der Frauen lustig zu machen. Seine Figur Molly wird von ihm sehr streng beurteilt. Der Schriftsteller bestreitet nicht, dass Molly intelligent ist. Aber er behauptet, dass sie ihr Wissen allein ihrer disziplinierten und harten Arbeit verdankt. Im Roman zeigt er mehrere Widersprüche, wenn er sie beschreibt. Nach einigen Zweifeln, die vielleicht auf Gewissensbisse bei der Behandlung seiner Figur zurückzuführen sind, verwandelt Huxley sie in ein Plappermaul. Sie kann sich zwar lang uns ausgiebig unterhalten, aber nur über eine beschränkt Zahl von Themen. Wie sie selbst anerkennt; sie macht jeden nervös, auch ihren Mann. Er droht ihr sogar mit der Scheidung, weil sie nicht beruhigend genug ist.

„Point Counter Point“   Pg.111.
Like all conscientious professionals, she was not content to be merely talented. She was industrious; she worked hard to develop her native powers. (…) Like all professional talkers Molly was very economical with her wit and wisdom.

“Point Counter Point” Pg.115.
‘That’s why Jean is always threatening to divorce me. He says I’m too stimulating. ‘Tu ne m’ennuies pas assez,’ he says; and that what he needs is une femme sedative.’

Das sind nicht nur Huxleys Ideen. Traditionell hat die Gesellschaft das Wissen der Frau nie richtig akzeptiert; noch weniger, dass sie es mit Stolz in der Öffentlichkeit zeigt. Einige „tolerante“ und Männer „von Welt“, akzeptieren die intellektuelle Beteiligung der Frau, wenn sie damit eine Liebesbeziehung anfangen wollen. Aber Huxley beschreibt Molly als jemanden, der sich nur um der Unterhaltung wegen unterhält. Sie akzeptiert keine liaison; noch nicht mal mit ihrem Bewunderer: der phlegmatische Philip. So will Huxley Molly „le coup de grâce“ geben.
Rampion - eine der Hauptfiguren des Romans - befiehl seiner Frau Mary zu schweigen. Er kann noch nicht mal ertragen, dass seine Frau seine Ideen wiederholt. Aus ihrem Mund, meint er, klingen sie total anders. Das heißt: schlechter.

„Point Counter Point“  Pg.122
‚Oh, for God’s sake shut up!’ said Rampion.
‘But isn’t that what you say?’
‘What I say is what I say. It becomes quite different when you say it.’

Mary reagiert gelassen. Sie lacht. Das Einzige, was sie stört, sind die groben Manieren ihres Mannes ihr gegenüber in der Öffentlichkeit. Er wahrt nicht die Umgangsformen. Man muss daran erinnern, dass der Unterschied zwischen Huxley und Woolf in der wichtigeren Bedeutung der Form in Woolfs Werke liegt. Gerade weil sie eine Frau ist, hätte die britische Schriftstellerin wahrscheinlich geantwortet. Huxley hätte dieser Behauptung gewiss zugestimmt.

„Point Counter Point“ Pg.122
She laughed. ‘Ah, well’, she said good-humouredly, ‘ratiocination was never my strongest point. But you might be a little more polite about it in public.’

Marjory - eine andere Figur -  gibt zu verstehen, dass ihr kulturelles Niveau hoch ist. Sie hat viele Bücher gelesen; sie erinnert sich sogar daran, was sie gelesen hat. Aber sie ist sich nicht sicher, ob sie den Inhalt richtig verstanden hat. Die Beobachtungen, die sie in Gesprächen beiträgt, sind eigentlich auswendige gelernte Lektürefragmente.

„Point Counter Point“  Pg.13
(…) she was really rather a bore with her heavy, insensitive earnestness. Really rather stupid in spite of her culture –because of it perhaps. The culture was genuine all right; she had read the books, she remembered them. But did she understand them? Could she understand him? (…) Marjorie knew how to listen well and sympathetically. (…) For Marjorie had a retentive memory and had formed the habit of learning the great thoughts and the purple passages by heart.

Nach Huxleys Meinung hat die weibliche Seele eine intuitive Natur. Deshalb versteht er das Interesse der Frauen für den intellektuellen Bereich als eine Quelle von Ruhe und Frieden für ihre Seelen. Er sieht in der Kunst, in der Literatur und in der Meditation, die richtigen Instrumente, mit denen Frauen ihr seelisches Gleichgewicht finden können. Er ermuntert das Interesse der Frauen an intellektuellen Aktivitäten. Letztlich liefern sie auch die notwendige Kraft und Gefasstheit, um die stets merkwürdigen  und unverständlichen Männer ertragen zu können. Aber seine Unterstützung verschwindet sobald die Frauen beanspruchen, dass ihre künstliche Ausdrücke und Produktionen denen der Männer gleichwertig sind.

„Point Counter Point“ Pg.422)
But Mrs. Bidlake had permitted her husband to fade out of their married life without a quarrel, with hardly a word.
Pg.423)
She held her peace and herself retired for consolation into those regions of artistic and literary fancy, where she was native and felt most at home. A private income, supplemented by the irregular and fluctuating contributions which John Bidlake made whenever he remembered or felt he could afford to support a wife and family, allowed her to make a habit of this foreign travel of the imagination. (pg 322. “Mrs Bidlake had a special weakness for Buddhism.”

Huxley lehnt die intellektuelle Gleichheit zwischen Frauen und Männern ab. Das bedeutet aber nicht, dass er die Intelligenz der Frauen bestreit. Ganz im Gegenteil: Er ist überzeugt, dass die weibliche Intelligenz subtiler als die männliche ist. Deshalb ist John Bidlake verärgert mit seiner früheren Geliebten, Lady Edward. Lady Edward hat bei einem Abendessen einen französischen Maler und seinen schärfsten Kritiker am Tisch  zusammengesetzt. Lady Edward versucht John Bidlake zu überreden, dass es nur ein bedauerlicher Zufall gewesen ist. Bidlake ist bewusst, dass Lady Edward sich damit nur amüsieren wollte.

„Point Counter Point“ Pg.49. ‘You might occasionally forget, if your memory were bad. But I assure you, it needs a first-class memory to forget every time. A first-class memory and a first-class love of mischief.’

Virginia Woolf bestreitet nicht die Behauptung, dass die Frauen weniger als die Männer zur Geschichte beigetragen haben. Stattdessen sucht sie eine Antwort dafür. Anders als Huxley begründet sie dies nicht mit intellektuellen Mangel der Frauen, sondern mit den besonderen Umständen, unter denen sie in der Regel gelebt haben.

Trotz allem gibt es etwas, dass die Männer und die Frauen der wohlhabenden Kreise immer geteilt haben: Der Elfenbeinturm.

Weder das Haushaltspersonal noch die anderen sozialen Schichten spielen irgendeine Rolle in ihrem Leben. Lord Edwards Assistent Illidge, Mitglied der Kommunistischen Partei, wird diesem seine Unbekümmertheit für die sozialen Probleme vorwerfen. Huxleys Protagonisten betrachten diese Empfindungslosigkeit gegenüber den fremden Existenzen nicht – wie Illidge -  als unmoralisches Benehmen, sondern als ein Ausdruck des Respektes für ihre Privatsphäre. Ihrer Meinung nach beweist ihre Interesslosigkeit für die Probleme der Anderen eigentlich nur ihre Höflichkeit und Diskretion.
In solchen wohlhabenden Gruppen besitzt die individuelle Autonomie einen der höchsten Plätze in ihrer Werteskala. Illidge klagt, dass eine solche Autonomie nur mit Geld praktizierbar ist. Die Bewohner des Elfenbeinturms sind damit einverstanden. Aber sie weigern sich das „Mea Culpa“ zu intonieren. Sie geben zu, dass das Geld wichtig ist. Aber es ist eigentlich nur die erste Stufe auf der Treppe zu einer erfolgreichen, bewundernswerten und einzigartigen Persönlichkeit. Die Treppe zu steigen, das macht jeder allein. Dort ist die Konkurrenz zwischen Ebenbürtigen so gewiss wie die Tatsache, dass alle Stufen einer Treppe nach oben wie nach unten führen.

Auf jeden Fall bedeutet Illidges Anwesenheit in einer bis dahin abgeschlossenen Welt, dass die neuen Ideen nicht mehr verschwiegen werden können. In unserem nächsten Blog werden wir dieses Phänomen analysieren.

Lucy, das Symbol der neuen Frau.

Die Veränderungen werden jedoch nicht nur in der äußeren Welt auftauchen. Auch im inneren Bereich erscheinen neue Strömungen, die in den Ideen und Lebensformen der jugendlichen Gesellschaftsmitglieder ihren Ursprung haben. Sie werden die Fundamente einer Jahrzehnte lang unaufgeregten Welt zum Schwanken bringen. Der Generationskonflikt wird eine Revolution noch bedeutsamerer und tieferer Dimensionen verursachen als die sozio-politischen Umwälzungen. Die Jugend sieht ihre Vorfahren wie Lebewesen aus einer anderen Welt und sogar aus einer anderen Galaxie. Nicht nur Huxley, sondern auch andere europäische Schriftsteller werden über diesen Bruch in ihren Romanen  berichten, zum Beispiel Erich Maria Remarque in „Im Westen nichts Neues“ (1929); allerdings mit katastrophalen Konsequenzen für die Jugend, die bis zum Krieg an die alten Strukturen und ihre Werte glaubte. Die Neuigkeit, die Huxley einführt ist, dass in seinem Elfenbeinturm die Fraktur durch eine weibliche Figur – Lucy - eintritt.

„Point Counter Point“   Pg.175
‘You speak of the old as though they were Kaffirs or Eskimos.’
‘Well, isn’t that just about what they are? Hearts of gold, and all that. And wonderfully intelligent – in their way, and all things considered. But they don’t happen to belong to our civilization. They’re aliens.’

Solche Spaltungen haben vor allem mit den Veränderungen in der Mentalität der Frauen in Bezug auf die sexuellen Themen zu tun. Die neuen Frauen sind stolz auf ihren Körper und ihre Weiblichkeit. Sie haben nicht den geringsten Wunsch, den intellektuellen Ambitionen der Männer nachzujagen. Wie schon Collins, Huxley und Woolf in ihren Werken betont haben, ist die zerebrale Frau vor allem langweilig. Deshalb kann diese Figur nicht als Vorbild einer Generation dienen, die die ersten Steine für die Gründung der Spaßgesellschaft gelegt hat. Die Spaßgesellschaft öffnet verschiedene Wege, um mit neuen Erfahrungen zu experimentieren. Es gibt zwei Merkmale, die diese Generation charakterisieren und gleichzeitig die den Unterschied gegenüber den Vorgängergenerationen ausmachen. Erstens, wird sie die erste Massengeneration sein. Die Unterhaltung wird eine Massenunterhaltung werden, die Kommunikation wird eine Massenkommunikation werden, die Medien Massenmedien. Jazz, Kino...alle diese Arten der Unterhaltung werden Massenphänomene. Zweitens, die sexuelle Befreiung der Frau ist Teil der neuen Herausforderungen. Lord Edward führt in seiner Bibliothek ein für ihn ernstes und unangenehmes Gespräch mit seiner Tochter Lucy. Die Sache ist wichtig. Ihm ist wurde berichtet, dass seine Tochter mit jungen Männern tanzt. Lucy bezeichnet die väterlichen Warnungen als naiv. Lucy: das „party-girl“, das „it-girl“, wird diejenige sein, die den Sturz der alten und überholten Gesellschaft verursachen wird.

Die Figur von Lucy zeigt zwei extreme Eigenschaften.

1.       Die sexuell befreite Frau
Sie hat sich von der romantischen Liebe verabschiedet. Sie ist überzeugt, dass Eheschließung ebenso wie Liebe  - und damit Treue und Aufopferung für die Familie - nur Hindernisse für ihre Selbstverwirklichung und die Entwicklung ihrer Persönlichkeit sind. Sie verachtet Liebeskonflikte und Liebeskummer, sobald sie sie ernsthaft emotional belasten.
Huxley versteckt seine Sorgen nicht. 1932 wird er sein Buch “Schöne neue Welt” veröffentlichen. Dort wird er ausführlicher auf dieses Verhalten eingehen. In diesem Roman wird er nach den emotionalen Konflikten der Vergangenheit fragen.
„Brave New World“   Pg. 35
 ‘Their world didn’t allow them to take things easily, didn’t allow them to be sane, virtuous, happy (…) what with all the diseases and the endless isolating pain, what with the uncertainties and the poverty –they were forced to feel strongly (and strongly, what was more, in solitude, in hopelessly individual isolation, how could they be stable?’

Aber was als „sexuelle Unabhängigkeit“ daher kommt bedeutet für Huxley die Umwandlung der Frau in ein Stück Fleisch - pure Materie. In “Schöne neue Welt” findet es ein Mädchen, Fanny, erstaunlich, dass ihre Freundin Lenina sich vier Monate lang mit demselben Mann getroffen hat, ohne gleochzeitig eine Beziehung einem anderen gehabt zu haben („Brave New World“ Pg.34/35). Huxley lässt die Frauen sprechen. Jedoch zeigt er, dass das emotionales Element im tiefsten Kern der Frau steckt; nicht aber in der Natur des Mannes präsent ist. So füllen die Unterhaltungen zwischen Fanny und Lenina über die Männer, mit denen sie sexuelle Beziehungen haben könnten, mehrere Seiten des Romans. Die Männer dagegen verlieren nur wenige Worte über dasselbe Thema.
Huxleys Schlussfolgerung ist, dass die vielgepriesene sexuellle Befreiung der Frau sie zur Entwürdigung und Verkommenheit führe.
„Brave New World“ Pg.39.
‚Talking about her as though she were a bit of meat. ‘Bernard ground his teeth. ‚Have her here, have her there. Like mutton. Degrading her to so much mutton.‘

2.       Ehrliches Desinteresse für den intellektuellen Bereich
Man könnte sich fragen, warum sich die Figur von Lucy durchsetzt und nicht die Figur der zerebralen Frau, gerade wenn ihr Kampf für die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau die ersten Früchte trägt.  Die Frauen haben das Wahlrecht errungen und studieren immer zahlreicher an den Universitäten. Aus der Sicht der Männer werden solche intellektuellen weiblichen Strömungen allerdings mit Skeptizismus betrachtet. Sie behandeln die Frauen immer noch als das „schwache Geschlecht“.
Bemerkenswert ist, dass die Frauen dieser Zeit mehr Verständnis und Sympathie für Lucy als für die intellektuellen Frauen zeigen. Die Abneigung von Virginia Woolf gegenüber den Feministinnen ihrer Zeit und den radikal-christlich intellektuellen Frauen wie Miss Kilman, einer ihre Figuren in Mrs Dalloway, ist bekannt. Sie liefert dieselbe Begründung, die Huxley benutzte, um seine Abscheu gegen den Kommunisten Illidge zu rechtfertigen: Beiden Arten von Menschen mangelt es an Leichtigkeit und Humor.
Woolf wirft den intellektuellen Frauen vor, dass sie zu streng seien. Ihre Welt sei eng und rieche schlecht. Ihre Bücher und ihr theoretisches Wissen könnten ihnen den notwendigen inneren Frieden nicht vermitteln, weil sie ihre Weiblichkeit und das gute Benehmen vernachlässigten.

„Mrs. Dalloway“ (S.123)
„Miss Kilman hatte nicht vor, sich angenehm zu machen. Sie hatte immer ihren Lebensunterhalt verdient. Ihre Kenntnis der neueren Geschichte war im höchsten Grade gründlich.“

Das erklärt auch, warum ihre Kenntnisse sie nicht glücklich machen können. Sie sind neidisch auf die Schönheit und Feinsinnigkeit anderer Frauen. Elizabeth, Mrs Dalloways Tochter, fühlt sich von der Persönlichkeit von Miss Kilman angezogen. Sie ist ganz anders als die Frauen, mit denen sie normalerweise umgeht. Aber letztlich lehnt Elizabeth ihre Angebote ab. Ihre Vorschläge sind zu kaltherzig und zu wenig weiblich. Elizabeth kann es nicht mehr ertragen, dass ihre scheinbar moralische Überlegenheit immer von unendlichen Klagen und Jammerei begleitet ist.

„Mrs. Dalloway“ (Pg.133)
„Es war das ständige Reden von ihren eigenen Leiden, das Miss Kilman so schwierig machte.“

Nicht nur Virginia Woolf beschreibt intellektuelles Streben als unweiblich. Die Hauptfiguren in den Jane Austen Romanen („Stolz und Vorurteil“ zum Beispiel) kümmern sich kaum um die Förderung ihrer intellektuellen Kenntnisse. Ihnen kommt es dagegen auf die Entwicklung ihres gesunden Menschenverstandes an. Dieser ist nämlich unentbehrlich, wenn es um die richtige Wahl eines Ehemannes geht. Die Hauptfiguren der Geschwister Bronte  - „Jane Eyre“, „Agnes Grey“ - sind Frauen, deren Armut sie dazu zwingt zu lernen, um ihrer Misere über den Ausweg als Erzieherin oder Gouvernante entfliehen zu können. Nur die Liebe rettet sie aber von ihrem Schicksal als graue Maus und Melancholikerin ihre Leben zu fristen. In „Sturmhöhe“, aber nicht nur dort, wird gezeigt, dass gesunder Menschenverstand nicht nur eine rationale, sondern auch eine emotionale Seite enthalten muss. Andernfalls ist die Tragödie unvermeidbar.
Woher kommt die Verachtung dieses Frauentyps? Historisch betrachtet trifft es zu, dass die sozial unangepassten intellektuellen Frauen häufig als Hexe behandelt wurden. Entweder kamen sie auf dem Scheiterhaufen um oder sie waren zur Einsamkeit und sozialen Isolation verdammt. Die angepassten intellektuellen Frauen verbrachten  ihr Leben – freiwillig oder unfreiwillig - im Kloster.
Die Männer bleiben ihren Vorurteilen treu. Isaak Bashevis Singer verurteilt sie in seinen Werken zur Kinderlosigkeit. Huxley beschreibt sie als „Plappermäulchen“, als „Schwätzer“ oder einfach als fleißige und disziplinierte Wesen, die ihre Kenntnisse auswendig gelernt haben, ohne sie richtig zu verstehen.
Solche männlichen Gehässigkeiten hätten doch eigentlich Mitgefühl, Sympathie und Verständnis des Rests der weiblichen Gesellschaft für den intellektuellen Frauentyp wecken sollen. Er hätte das Symbol des neuen Frauentyps werden können. Es ist schwer zu erklären, warum Woolf sie als langweilig und als Jammerlappen beschreibt und warum Woolf nicht bereit ist, solche Frauen in ihren exklusiven Kreisen zu akzeptieren.

Meiner Meinung nach ist der Ursprung dieser Ablehnung in dem Kampf der sozialen Eliten Englands gegen den Puritanismus zu sehen. Diese vom Calvinismus beeinflusste religiöse Strömung wurde in XVI. Jahrhundert in England geboren. Ihre drei Hauptmerkmale waren: die Schrift als Mittelpunkt des Glaubens, die Genügsamkeit als Lebensform und der Wert der Bildung, die sich aber eigentlich nur auf die Bibel konzentriert.
Die Konsequenz eines solchen Rigorismus im Glauben und in den Sitten war der Mangel an Geistesfreiheit. Das verhinderte ebenso das richtige Wissen wie die Kreativität. Hier liegt der Grund für die Zurückweisung des Puritanismus in Woolfs Kreisen. Dieser religiöse Puritanismus und die Liebe (romantische wie eheliche Liebe) verurteilten die Frauen zur Immobilismus und Passivität. Sie halten die Frauen fern von weltlichen Vergnügen und machten ihre geistige Entwicklung unmöglich.

„Mrs. Dalloway“  S.124.
„Liebe und Religion! dachte Clarissa, als sie, mit einem Kribbeln über den ganzen Körper, in den Salon zurückging. Wie abscheulich, wie abscheulich sie sind!“

Clarissa Dalloway und ihre Zeitgenosse haben diese enge Religiosität und die Liebe bekämpft und besiegt.  Lucys Generation ist von solchen Ketten befreit, ohne an den Kämpfen teilgenommen zu haben.
Mehr noch: Lucys Generation kehrt die Kritik von Clarissas Generation um. Die puritanische christliche Religiosität und die Liebe sind nicht mehr die Haupthindernisse für die Freiheit. Die Themen der Religion und der Romantik interessieren sie einfach nicht. Freiheit und Wissen sind die Elemente, die die neue Generation als inkompatibel betrachtet. Dank den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritten sind die Lebensumstände einfacher geworden. Der Anspruch nach absoluter Freiheit trifft mit dem Wunsch nach einem hedonistischen Lebensstil zusammen. Er wird zuerst in der besseren Gesellschaft erscheinen und wird sich nach und nach in den andere Schichten der Gesellschaft verbreiten.

Die neue Frau lebt ohne die Paradigmen des christlichen Glauben und der sentimentalen Romantik. Die neue Frau glaubt nicht mehr an die ewige Liebe. Tochter einer neuen Welt, die sich gegen jede – gleichgültig welche - Bindung stellt, stürzt sie im Leben ohne ein anderes Ideal als das, in jedem Moment ihre sinnlichen Erwartungen zu befriedigen.

Huxley positioniert sich als Gegner einer solchen Haltung. Er ist überzeugt, dass das Verhältnis zwischen der Anzahl der Freizeitmöglichkeiten und der Spaß, der aus diesen Möglichkeiten resultiert, umgekehrt proportional ist. Deshalb darf der Hedonismus nach Huxleys Meinung  als Wertprinzip der Gesellschaft  nicht in Frage kommen. Es gibt hierfür vor allem zwei Argumente. Das erste ist die Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten. In einer hedonistischen Gesellschaft kann der Mensch seine eigenen Kräfte nicht mehr entwickeln. Wenn der Mensch schwach und oberflächlich wird, ist er dazu verdammt, von einem leeren und sinnlosen Werdegang geherrscht zu sein. Er selber kann die Zügel seiner Existenz nicht in seine eigenen Händen nehmen. Das zweite Argument ist, dass ein Leben, das primär auf die sinnlichen Emotionen ausgerichtet ist, kein vollendetes Leben sein kann. Die sinnlichen Sensationen verlangen immer neue und größere Emotionen. Sie enden immer in moralischen Aberrationen. Je mehr Unterhaltungsmöglichkeiten desto mehr Unzufriedenheit. Der frenetische Wunsch nach neuen Emotionen ist letztlich immer eine fruchtlose Suche. Die Konsequenzen sind entweder Verdrossenheit gefolgt von Passivität, oder der Fall in eine tiefe Grube unkontrollierter sinnlicher Emotionen.

Die Lösung wäre die Minderung der Anzahl der Vergnügungen, damit diese richtig und authentisch genossen werden können. Lucy kennt die Gefahren. Sie selbst weißt nicht wo und wie die Lebensexperimente enden können, aber sie lehnt diesen Vorschlag ab.

„Point Counter Point“ Pg.62/63                             
‚Children are brought up so stupidly nowadays. No wonder the’re cynical.’ She preceded eloquently. Children were given too much, too early. They were satiated with amusements, inured to all the pleasures from the cradle.’ (…) She quoted Shakespeare.
                                  “Therefore are feasts so solemn and so rare,
                                  Since seldom coming, in the long year set,
                                  Like stones of worth they thinly placed are…”
‘They’re a row of pearls nowadays’
‘And false ones at that’, said Lucy.
Mrs Betterton was triumphant. ‘False ones –you see? But for us they were genuine, because they were rare. We didn’t “blunt the fine point of seldom pleasure” by daily wear. Nowadays young people are bored and world-weary before they come of age. A pleasure too often repeated produces numbness; it’s no more felt as a pleasure.’
‘And what’s your remedy?’ enquired John Bidlake.
‘The remedy’, she went on, ‘is fewer diversions.’
‘But I don’t want them fewer,’ objected John Bidlake.
‘In that case’ said Lucy, ‘they must be stronger –progressively.’
‘Progressively’ Mrs Betterton repeated ‘But where would that sort of progress end?’
In bull fighting?’ suggested John Bidlake. ‘Or gladiatorial shows? Or public executions, perhaps? Or the amusements of the Marquis de Sade? Where?’
Lucy shrugged her shoulders. ‘Who knows?’
                                            

Lucy verkörpert aus meiner Sicht einen Frauen-Typ, der sich in bestimmte Gesellschaften etabliert hat: Dieser Typus versucht - wie damals die Passagiere der ersten Klasse der Titanic – den Rhythmus des Spaßes zu halten während das Schiff hoffnungslos sinkt.
Dieses Thema habe ich in meinen Blog über die „Persische(n) Briefe“ von Montesquieu (Oktober 2012) ausführlich behandelt. Andere Blogs über der Problematik Situation der Frau sind: „Ein eigenes Zimmer“, von Virginia Woolf. „Feinde, die Geschichte einer Liebe“, von Isaac Bashevis Singer, und „Frau und Mutterschaft“. Sie alle sind im Mai 2012 erschienen.

                                                &&&&&&&&&&&&&&

Es bleibt nicht mehr viel zu sagen übrig: Die aktuelle Frau ist Opfer und Vollstrecker ihrer aktuellen Situation. Sie will Mutter werden, ohne auf die Merkmale der Weiblichkeit zu verzichten. Sie will weiter als Frau behandelt werden, ohne ihre traditionellen eigenen Tugenden zu üben. Sie verlangt, dass die Tür für sie aufgehalten wird  – in der Form von Quoten in der Politik und in den Unternehmen.
Auf die Gefahr hin als „Moralist“ oder „altmodisch“ beschimpft zu werden: Das „Schminkalter“ fängt für viele Mädchen mit zehn Jahre an. Sie leben ihr siebzehntes Lebensjahr, wenn sie dreizehn sind. Nächtliche Ausflüge und alkoholische Getränke sind für viele Pubertierende etwas ganz Normales. Viele Male sind die Mädchen diejenigen, die das Limit des Vernünftigen sprengen. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem die Gesellschaft „es reicht“ sagen sollte.   Vielen Eltern ist nicht bewusst, dass die Reife der Körper ihrer Kinder nicht unbedingt der Reife ihrer intellektuellen Fähigkeiten entspricht. Diese haben sich schneller als letztere entwickelt. Die Schlussfolgerung ist: körperlich frühreif und geistiger Infantilismus. In vielen „You Tube“ Videos stellen sich Hunderte von Mädchen vor, die wie Sechzehnjährige aussehen. Dabei sind sie zum Teil nur zwölf Jahre alt. Sie zeigen stolz ihre schönen und modischen Klamotten und geben ihren gleichaltrigen Zuschauerinnen 12 oder 16?) Tips. Diese Beschäftigung könnte positiv und amüsant sein, weil sie die freie Kommunikation und die Kreativität fördert. In der Tat: Die Beschreibung der Farben, der Stoffe, der Kombinationsmöglichkeiten… all das würde ein „sehr gut“ verdienen. Leider wiederholen sie in jedem ihrer Videos ständig dieselben Formeln.
Das Problem: Ein Mangel an Sprachbeherrschung? Das wäre nicht so schlimm. Schlimmer scheint mir der  Mangel an Ideen. Schlimmer noch: Die Gleichgültigkeit gegenüber Ideen; ja sogar der Wille, dass Ideen nicht existieren. Ich würde mir keine Sorge über die jungen Mädchen machen, wenn es andere Arten von Videos gäbe. Videos über kleine Ausflüge oder über ferne Reise; über wissenschaftliche Experimente in der Küche; Kinokritiken; Meinungen über Zeitungsartikel; Ausstellungen; Essensvorbereitung… Bestimmt wird es das geben. Ich glaube das gerne. Aber sie sind nicht die bekanntesten Clips. Ich habe sie noch nicht gesehen. Außer auf dem Feld der klassischen Musik vermeidet die „gute“ Jugend ihren großen Auftritt auf der großen Schaubühne, die das Internet geworden ist. Der Grund dafür liegt nicht an ihrer Schüchternheit. Der Grund ist, dass so etwas nicht gut ankommt. Es ist einfach nicht „cool“.

Manchmal erinnere ich mich an den biblischen Satz: „Die Frau wird den Teufel besiegen.“ Ich habe den Verdacht, dass – um das zu verhindern - der Teufel sich entschieden hat, die Frau zu zerstören.
Ich habe Angst, dass meine Leser meine Worte missverstehen und sie mich in enge und erstickende religiöse Konzepte einrahmen. Dies läge meinen Absichten fern. Es ist wahr: Ich plädiere immer wieder für eine Korrektur der Haltung der Frauen. Aber nur deshalb, weil ich der Meinung bin, dass solche Haltungen extrem gefährlich für sie selbst sind. Entweder werden die Frauen in die Selbstverachtung fallen, oder ihre Haltung wird zum Vorwand missbraucht werden, um den Frauen wieder in Hareme oder Klöster einzuschließen. „Ni pute, ni soumise“ –schreit die neue Frau. Ich auch. Wir brauchen die Kraft, um die Mauer zu zerstören, und die Kraft, ein neues Gebäude zu errichten. Man kann das nicht ohne die körperliche Freiheit schaffen - das ist wahr. Meine These aber ist, dass wir ohne die gleichzeitige Entwicklung unserer intellektuellen Fähigkeiten und der Entwicklung unserer Empfindlichkeit nicht viel erreichen können werden. Auf jeden Fall kein dauerhaftes und wertvolles Gebäude.

Virginia Woolf und andere Frauen haben gezeigt, dass eine Frau mit Kopf aber ohne Weiblichkeit langweilig und unerträglich ist. Meine Absicht ist zu beweisen, dass eine Frau mit Weiblichkeit, aber ohne Kopf dazu verdammt ist, von den Männern „ausradiert“ zu werden. Die Männer ihrerseits sind nicht frei von Gefahr. Aber sie haben besser gewusst, Hedonismus und Lebenskampf zu verbinden. Um ehrlich zu sein, haben sie oft Spaß und Unterhaltung (Liebe inbegriffen) ausgenutzt, um ihre Ziele zu erreichen. Deshalb überrascht nicht, dass Maupassant – zum Beispiel -  seinen „Bel Ami“ schrieb.
Hinter der Leidenschaft, die ein Bel Ami gegenüber den Frauen vorspielt, gibt es keine wahre Liebe. Es gibt nur einen kalten und machiavellistischen Wunsch, die soziale Macht zu erreichen. Gerade weil ihm die soziale Relevanz der Frauen in der Gesellschaft bewusst war, wollte er sie sexuell erobern. Damit suchte er aber nicht ihre Liebe. Eigentlich wollte er nur die Vorteile, die ihr sozial Einfluss für sein Leben bringen können. In der Sehnsucht nach der romantischen und ewigen Liebe lassen die Frauen sich ausnutzen. So kann man Virginia Woolf verstehen, wenn sie über die Abscheulichkeit der Liebe und der Religion klagte. Aber auf kein Fall kann man behaupten, dass Bel Amis Promiskuität ihn in „reines Fleisch“ oder „pure Materie“, verwandelt hätte.

Was die „it girls“ in pure Materie umwandelt ist, dass ihre Promiskuität kein anderes Ziel als die Promiskuität selbst hat. Sie sind überzeugt, dass sie Männerfresser sind. Sie lassen sich jedoch von der Liste der Klassenschönheiten, die die Jungen anfertigen, beindrucken und manipulieren. Sie merken noch nicht einmal, dass die Liste immer die Namen der Mädchen enthält, die immer bereit waren, mit den Jungen auszugehen.

Ich wiederhole. Ich habe nichts gegen die Sorgsamkeit der Frau um ihre Schönheit. Die Schönheit um der Schönheit selbst ist eines der wichtigsten Ideale der Kunst. Trotzdem muss man eine Präzisierung hinzufügen. Die Schönheit um der Schönheit willen verlangt als „Conditio sine qua non“ die Distanz zwischen dem angeschauten Objekt und dem Individuum, das es anschaut. Die pure Schönheit ist nur pure Schönheit, wenn sie unberührte Schönheit ist. Das ist: Eine Schönheit, die kein externes Element beschmutzt hat. Wie Kierkegaard in „In Vino Veritas“ geschrieben hat: Die Frau als Gattung treibt den Mann zu den höchsten Idealen an. Die konkrete Frau in seiner Nähe, seine bessere Hälfte, aber ist an das Alltagsleben gefesselt.

Mit Recht haben sich viele Frauen gegen die Betrachtung der Frau als Ideal der Schönheit gestellt. Sie weigerten sich, marmorne Statue zu sein. Sie wollten kein Objekt werden. Sie wollten auch nicht die „Alltagsfrau“ sein; haben ihre volle Teilnahme in der Gesellschaft gefordert. Eine diese Frauen war Virginia Woolf. In ihrem Essay „Ein eigenes Zimmer“ bedauerte sie, dass die Männer ihre beste Werke den Frauen gewidmet haben, ohne jedoch ihnen ihre Unabhängigkeit zu erlauben.

Virginia Woolf verteidigt die These, dass das Heruntersteigen der Frau von dem Sockel, auf den die Männer sie gestellt hatten, nicht die Ablehnung ihrer Weiblichkeit bedeuten darf. Ich sehe mich dazu verpflichtet hinzuzufügen: Aber auch nicht die Ablehnung ihres Gehirns.

Virginia Woolf hätte nicht vermutet, dass die Frauen ihre Empfindsamkeit und ihre Kreativität vernachlässigen und stattdessen ein sinnloses Verhalten annehmen würden. Die Sinnlosigkeit dieses Verhaltens hat nichts mit seinem moralischen oder unmoralischen Charakter zu tun. Dieses Verhalten ist sinnlos, weil es kein Ziel verfolgt.
Sie verfolgen kein geistiges Ziel. Noch nicht mal ein materielles! Natürlich verachtet ein „it girl“ nicht das Geld – ganz im Gegenteil. Geld hier und jetzt, nicht mit einem auf lange Sicht angelegten Gewinnstreben. Und wenn das Geld dann aufgebraucht ist, bleibt das „it girl“ dann möglicherweise als zerbrochenes Spielzeug zurück. Anders eine Frau, die das Image des „it girls“ zielgerichtet einsetzt, um ihr Leben zu bestreiten. Sie hat ein Ziel!

Isabel Viñado Gascón

Nächstes Mal:
3.       Huxley und Virginia Woolf. Die Neuankömmlinge. Nichts Neues in Sicht…vorerst.
„Kontrapunkt des Lebens“ (1928) Huxley.

Fortsetzung folgt…
                                                                                                                                                         






















Sonntag, 8. Juni 2014

KONTRAPUNKT DES LEBENS (1928) Aldous Huxley

Dieser Roman ist extrem komplex. Huxley ist nicht so sehr an der Handlung interessiert wie an der Exposition seiner eigenen Überzeugungen, Ängste und Wünsche in Bezug auf die Gesellschaft. Ihm ist  bewusst, dass die Gesellschaft, die er kennt nicht „die Gesellschaft“, sondern „seine Gesellschaft“ ist. Deshalb bleibt er dort, wo er hingehört: in den reichen gebildeten englischen Kreisen. Von diesem sozialen Standpunkt aus schreibt er seine Analyse. Huxley ist kein „enfant terrible“. Er liebt seine Wurzeln und verzweifelt versucht er sie am Leben zu halten. Die Zeit läuft ab. Eine Lebensform stirbt, ohne die alten Probleme gelöst zu haben. Im Gegenteil: Sie haben sich verschlimmert. Die neuen Generationen müssen sich weiter mit ihnen auseinandersetzen. Der Elfenbeinturm, in dem er und seine Kreise leben, wird der Brandungswelle nicht widerstehen können. Werden die neuen Herrscher besser werden? Kaum, denkt Huxley. Herrschen und Regieren ist nicht mehr eine Sache der Personen, sondern der Kollektive, und die Kollektive können nicht richtig denken, nicht richtig fühlen. Herrschen und Regieren ist kein Sandkastenspiel, sondern besteht darin, Probleme zu lösen; und die Probleme sind zu groß, zu schwierig, zu komplex geworden. Wie jemand einmal geschrieben hat: Wir würden eigentlich eine Gesellschaft von Helden brauchen. Die Angst von Huxley und vielen anderen war, dass wir uns eher für eine Herden-Gesellschaft  entscheiden würden.

„Kontrapunkt des Lebens“ behandelt mehrere Themen. Ich werde sie in einer Reihe von Blogs analysieren:

-          „Kontrapunkt des Lebens“ (1928) Huxley.
1.       Huxley und Virginia Woolf: Gesellschaft, Männer und Politik.
-          „Kontrapunkt des Lebens“ (1928) Huxley.
2.       Huxley und Virginia Woolf. Frauen: das Verschwinden des Konfliktes zwischen Pflicht, Befreiung und Hedonismus.
-          „Kontrapunkt des Lebens“ (1928) Huxley
3.       Huxley und Virginia Woolf. Die Neuankömmlinge. Nichts Neues in Sicht… vorerst.
-          „Kontrapunkt des Lebens“ (1928) Huxley
4.       Huxley und Nietzsche. Aufklärung: Das schwierige Gleichgewicht zwischen Vernunft und Gefühl.
-          „Kontrapunkt des Lebens“ (1928) Huxley
5.       Huxley und die dunkle Kräfte der Romantik.  Die Ära des Nationalismus und der Mystik.
Es dauerte mehrere Monate bis ich diese Reihe von Blogs auf Spanisch abgeschlossen hatte. Die Aufgabe einer deutschen Übersetzung schien mir zuerst  fast unmöglich. Jetzt muss ich zugeben, dass sie sogar zur Verbesserung des ursprünglichen spanischen Blog beigetragen hat.

Huxley und Virginia Woolf: Gesellschaft, Männer und Politik

Viele sehen in Aldous Huxley und Virginia Woolf Antagonisten, weil der erste sich auf den Ideengehalt konzentriert, während die andere stärker auf die Form achtet. Auch wenn diese Bemerkung richtig ist, so ist auch zu bemerken, dass das Bild, das sie von der englischen Gesellschaft zeichnen, ziemlich ähnlich ist. Was nicht sonderbar ist, wenn wir bedenken, dass sich beide Schriftsteller in denselben elitären und gebildeten Kreisen bewegen. In dem Roman von Virginia Woolf: „Mrs. Dalloway“ wird sogar der Name des Großvaters von Aldous Huxley und bekannte Malthusianer, Thomas Huxley als eine der Lieblingslektüren der Protagonistin zitiert.
Ich habe keine Zweifel daran, dass Virginia Woolf behaupten würde, dass die Unterschiede zwischen Huxley und ihr auf ihr verschiedenes Geschlecht zurück zu führen sind. Huxley ist ein Mann. Deshalb schreibt er wie ein Mann und als solcher behandelt er die Themen, die ihn interessieren. Virginia Woolf dagegen ist eine Frau und in ihrer literarischen Arbeit will sie unbedingt das Leben aus der Perspektive einer Frau behandeln.
Ansonsten sind ihre Ähnlichkeiten verblüffend und das schließt auch die Betrachtung der Frau ein.

Hier die Ausgaben, die ich für meine Blogs benutzt habe:
-          Aldous Huxley „Point Counter Point“(1928) Vintage Classics, Random House 2004. Auf Deutsch: “Kontrapunkt des Lebens”
-          Wilkie Collins „The Moonstone“ (1868) Penguin Books, 1994. Auf Deutsch: “Der Monddiamant”
-          Aldous Huxley “Brave New World Revisited” (1958) HarperCollins, 2006. Auf Deutsch: „Wiedersehen mit der neuen schönen Welt“
-          Aldous Huxley “Brave New World” (1932) Vintage Classics, Random House 2004. Auf Deutsch: ”Schöne neue Welt”
-          Virginia Woolf “Mrs Dalloway” (1925) S. Fischer Verlag 2006.

Die Männer der Hohen Gesellschaft

1.       Interesse
Alle Männer, die Huxley und Woolf in ihren Werken beschreiben, gehören zu alteingesessenen englischen Familien und  üben Berufe wie Politik, Kunst oder Medizin aus. Normalerweise war die Praxis der Politik für den ältesten Sohn vorgesehen und die Militärkarriere für den zweiten. Aber es war mehr ein Vorschlag als ein Zwang. Etwas gilt für alle: dass sie zum Leben nicht arbeiten müssen, enthebt sie nicht von ihrer Pflicht, sich für die Welt zu interessieren. Allerdings muss man zugeben, dass es schwierig ist, eine Aktivität zu finden, um sich zu beschäftigen, wenn die materielle Lage abgesichert ist. Es verlangt große Anstrengungen und die Betroffenen fallen häufig in Verzweiflung.

(„Point Counter Point“ S.35-36) ‘But what are you interested in?’ his father had asked. And the trouble was that Lord Edward didn’t know. (…) The fourth marquess could not conceal his anger and disappointment. ‘The boy’s an imbecile,’ he said, and Lord Edward himself was inclined to agree. He was good for nothing, a failure; the world had no place for him. There were times when he thought of suicide.’

Trotz solcher großen Gesten ist – wie Huxley selbst mit seine Figuren zeigt – dieses Interesse an den eigenen Aktivitäten in den meisten Fällen nur oberflächlich. Sogar Lord Edward, der endlich in der Medizin seine Berufung gefunden hat, unterbricht seine wissenschaftlichen Forschungen und rennt ins Wohnzimmer, um der Musik von Bach zu zuhören, die in diesem Moment für die Gäste gespielt wird; Philip, Mr. Quarles Sohn und Elinors Ehemann, ist ein durchschnittlicher Schriftsteller, die mehr Zeit in die Konzeption der künftige Bücher als in die Schreiberei selbst investiert. Was die politischen Meinungen des Journalisten Walter Bidlake betrifft, sie alle mangeln an ideologischer Tiefe. Wie der Butler in dem Buch „Der Monddiamant“  sagt:

(The Moonstone (1868) Wilkie Collins. Pg.58-59) ‘Gentlefolks in general have a very awkward rock ahead in life –the rock ahead of their own idleness. Their lives being, for the most part, passed in looking about them for something to do, it is curious to see –especially when their tastes are of what is called the intellectual sort – how often they drift blindfold into some nasty pursuit’.

2.       Die Politik

Huxleys Roman lässt die Veränderung einer Aktivität – der Politik - durchblicken, deren Praxis bis zu diesem Moment nur einigen wenigen reserviert war. Er zeigt die totalitaristischen Tendenzen einiger politischer Parteien seiner Zeit. Einige wie seine Figur Everard Webley werden solche Ideen hinter der Fassade der Intellektualität und Intelligenz zu verstecken suchen. Der britische Schriftsteller wird sich immer gegen solche Ideen äußern. Huxley wird immer die Demokratie verteidigen, aber ihm ist bewusst, dass sie zu bewahren nicht einfach ist und nicht einfacher sein wird. Es gibt zwei Risiken, auf die Huxley insbesondere hinweist:
-          1. Erstens: Die Entwicklung der Technik ermöglicht bessere Lebensumstände aber verstärkt auch die Neigung zu einer falschen Konzeption des Hedonismus.
-                    2. Zweitens: Die schädlichen Konsequenzen der Industrialisierung für die Umwelt.
Die katastrophale Folge wäre, nach Huxleys Meinung, die Entstehung eines totalitären politischen Regimes.

1.       In der Tat: Die Entwicklung der Technik vermittelt jeder sozialen Schicht Wohlgefühl und ermöglicht ein bequemeres Leben. Aber sie verursacht auch eine Massengesellschaft, deren Merkmale die Uniformierung der Sitten und Gedanken und hedonistisches Verhalten sind. Hedonistisch in dem Sinne, dass Anstrengung nicht mehr der wichtigste Wert ist, sondern die Suche nach Aktivitäten, die ein unverzügliches Vergnügen verschaffen. Wörter wie „Lust“ und „Spaß“ bekommen jetzt gleichsam eine moralische Bedeutung, die sie früher nicht hatten. Gut ist eigentlich nur, was uns „Spaß“ macht. Alles andere ist „Pflicht“. In dem neuen Wertesystem bringt die Pflichterfüllung keine Ehre und keine Befriedigung mit sich, sondern vielmehr nur eine Belastung, eine Kastration der eigenen Fähigkeiten. Auch die Kritik als Bewertungsinstrument für die Qualität einer Produktion verliert ihre Relevanz in der Gesellschaft. Sie wird nur als ein Mittel gesehen, um die kreativen Kräften der Mensch zu behindern. Zum höchsten Axiom wird: Wert ist alles, was sich gut verkauft.
2.       Das zweite Risiko ist die Industrialisierung. Bereits 1928 warnt Huxley, dass die politische Krise darin liegt, dass die Politiker nur an den technologischen Fortschritt denken. Die schädlichen Konsequenzen, die die Industrialisierung in der Umwelt und in den sozialen Strukturen verursacht, kümmert sie nicht.

(„Point Counter Point“ Pg. 74/75) ‘Progress! You politicians are always talking about it. As though it were going to last. Indefinitely. More motors, more babies, more food, more advertising, more money, more everything, forever. You ought to take a few lessons in my subject. Physical biology. Progress, indeed! What do you propose to do about phosphorus, for example?’
His question was a personal accusation.
‘But all this is entirely beside the point,’ said Webley impatiently.
‘On the contrary’, retorted Lord Edward, ‘it’s the only point.’ (…) ‘With your intensive agriculture,’ he went on, ‘you’re simply draining the soil of phosphorus. More than half of one per cent a year. Going clean out of circulation. And then the way you throw away hundreds of thousands of tons of phosphorus pentoxide in your sewage systems! (…) ‘You ought to be putting it back where it came from. On the Land.’
‘But all this has nothing to do with me,’ protested Webley.
‘Then it ought to,’ (…) ‘That’s the trouble with you politicians. You don’t even think of the important things. Talking about progress and votes and Bolshevism and every year allowing a million tons of phosphorus pentoxide to run away into the sea. (…) it’s fiddling while Rome is burning.’

Dreißig Jahre später – im Jahr 1958 - wird Huxley dieses Thema in seinem Essay: „Wiedersehen mit der neuen schönen Welt“ sorgfältig analysieren. Huxley ist überzeugt, dass die Vorteile der Industrialisierung gleichzeitig ihre Nachteile sind. Einerseits hat die Industrialisierung das Leben einfacher gemacht, was zum Wachstum der Geburtenrate führt. Anderseits bedeutet sie die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Beide Faktoren zusammen führen zur eine Steigerung der Bedürfnisse und einem Mangel der Ressourcen, weil sie nicht unerschöpflich sind. Die Energie und Ernährungsquellen werden immer knapper. Es entstehen permanente Krisen die radikale und autoritäre Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung erwarten lassen.

(„Brave New World Revisited“Pg.12) ‘And permanent crisis is what we have to expect in a world in which over-population is producing a state of things, in which dictatorship under Communist auspices becomes almost inevitable’.)

Es ist interessant zu bemerken welche Analogien zwischen den Sorgen Huxleys in  „Wiedersehen mit der neuen schönen Welt“ und der aktuelle Situation bestehen.  Ich persönlich bin der Meinung, dass viele der sogenannten „Verschwörungstheoretiker“ ihre Inspiration und Ängste dort gefunden haben. Ich empfehle ihnen die Lektüre.
Bis diesem Zeitpunkt war die Politik eine traditionelle Möglichkeit für die Mitglieder der höchsten Kreise gewesen. Aber für Viele bedeutet sie jetzt keine akzeptable Entscheidung mehr. Die Politik ist zu komplex geworden. Das wichtigste Ziel in der Politik ist nicht mehr die Ehre der Elite zu schützen und zu beweisen, sondern die Industrialisierung der Gesellschaft. Sie ist nicht mehr Sache der Lords und großen Landbesitzer, sondern der Technokraten. Die alten Zeiten kommen zu ihrem Ende. Nicht mehr Europa, sondern Amerika ist das Modell, das alle anstreben, sogar die Bolschewiken – so Huxley. Amerika ist das Symbol für das neue politische, wirtschaftliche und Wertesystem, das gerade entsteht und gleichzeitig der Beweis dafür, dass das alte nicht länger nützlich ist. In der Tat: Neue Lebensformen erscheinen am Horizont wie schwarze Wolken, die ein starkes Gewitter ankündigen.  Nach Huxleys Meinung kann die Politik dem Bürger keine Lösung anbieten. Die verschiedenen politischen Ideologien unterscheiden sich nur in der Art und Weise wie sie die Gesellschaft  in die Hölle führen werden: Mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Privatwagen. Als prioritäres Ziel haben sie alle die Amerikanisierung und Industrialisierung  der Gesellschaft. Der englische Schriftsteller meint, dass sogar die Bolschewistische Partei das amerikanische Axiom als Vorbild hat. Der Unterschied liegt daran, dass in den kommunistischen Regimen die Verwaltungsbehörden den Trust ersetzen, und die Beamten die Stelle der reichen Männer bekommen haben. Die Situation in Europa ist genauso. Nur hat hier noch die Figur des reichen Mannes ihre Stellung bewahrt hat.
Solche Umstände sind für einige inakzeptabel, für andere zu kompliziert, zu unverständlich, zu irrational und vor allem zu langweilig. Daher beschließen sie, sich aus dem Thema heraus zu halten. Der vernünftige Mensch macht dasselbe. Er ist zu der Überzeugung gekommen, dass der ideologische Kampf eigentlich nur Machtkrieg ist.

(“Point Counter Point” S.390) ‘But it’s silly, all this political squabbling’ said Rampion (…) ‘Bolscheviks and Fascists, Radicals and Conservatives, Communists and British Freeman –what the devil are they all fighting about? I’ll tell you. They’re fighting to decide whether we shall go to hell by communist express train or capitalist racing motor car, by individualist ‘bus or collectivist tram running on the rails of state control. The destination is the same in every case (…) The only point of difference between them is: How shall we get there? It’s simply impossible for a man of sense to be interested in such disputes. (…) The question for a man of sense is: Do we or do we not want to go to hell? And his answer is: No, we don’t. And if that’s his answer, then he won’t have anything to do with any of the politicians. Because they all want to land us in hell. All, without exception. Lenin and Mussolini, MacDonald and Baldwin. (…) They all believe in industrialism in one form or another, they all believe in Americanisation. Think of the Bolshevist ideal. America but much more so. America with government departments taking the place of trusts and state officials instead of rich men. And the ideal of the rest of Europe. The same thing, only with the rich men preserved.’

Ein Jahrzehnt später wird die politische Gleichgültigkeit weder für den bequemen noch für den vernünftigen Mensch ein Zufluchtsort sein können. Wie Franco Battiato Anfang der 80er Jahre in seinem Lied ‚Die weiße Fahne‘ besingen wird: ‚Wie schwierig ist es, ruhig zu bleiben, gleichgültig, während alles rundherum laut ist. In dieser Ära der Irre fehlten nur noch die Idioten des Schreckens‘.

3.       Die private Sphäre

a)      Die Doppelmoral
In den Kreisen, in denen Huxley sich bewegt, endet auf jeden Fall die Sphäre dort, wo er die private berührt. Die private Sphäre ist eigentlich die einzige, die Huxleys Protagonisten interessiert. Für sie hat das Individuum immer einen höheren Rang als das Kollektiv. Die Größe eines Mannes hängt von seiner Fähigkeit ab, sich von der öffentlichen Meinung zu distanzieren und seine eigene durchzusetzen. Deshalb sind die Künstler so sehr geschätzt. So sehr, dass man ihnen die Türen ihrer exklusiven Milieus öffnet.
Trotz dieses Strebens nach der Individualität stellt die Heuchelei, Ironie der Ironie, eines der wichtigsten Merkmale der guten Gesellschaft dar. So wird zum Beispiel Marjorie – die Geliebte von Walter Bidlake (der Sohn von John und Jane Bidlake) - nie akzeptiert. Sie ist eine verheiratete Frau, deren extrem religiöser Mann ihr die Scheidung verweigert. Diese selben Kreise zeigen aber keine Bedenken, Lucy die promiskuitive Tochter von Lord Edward zu akzeptieren. Huxley, immer seinem Wurzeln treu, wird diese Doppelmoral relativieren. Er behauptet, dass die Gründe für die unterschiedliche Behandlung nicht in der sozialen Stellung, sondern in Marjories schrecklicher Stimme zu suchen ist. Marjories Stimme - wiederholt Huxley immer wieder - ist unerträglich.

b)      Die Vorliebe für die Reise.
Die wohlhabende Gesellschaft liebt es, die Welt zu entdecken und neue Kulturen zu beobachten. Europäische Ziele wie Paris und exotische wie Indien sind ein Teil der Bildung geworden. Die Technologie und der Kolonialismus sind die beiden Faktoren, die das Reisen ermöglicht haben. Die Überfahrten sind schneller und bequemer geworden und in den Kolonien schützt das Militär den Komfort der Reisenden. Reisen ist gesund und empfehlungswert nur wenn der Reisende seiner eigenen Kultur treu bleibt. Das heißt: Das Unbekannte soll immer aus der eigenen Perspektive betrachtet werden. Viele denken, dass das nur in Bezug auf Kulturen und Religionen gemeint war. Das ist aber nicht der Fall. Ein Engländer sollte sich in Paris weiter wie ein Engländer verhalten und ein Franzose in London weiter wie ein Franzose. Ansonsten besteht das Risiko, von den eigenen Wurzeln weggeführt zu werden. Collins warnt in seinem Roman „Der Monddiamant“ vor den Gefahren des Kosmopolitismus.

(„The Moonstone“Pg.52) ‚It was not till later that I learned (…) that these puzzling shifts and transformations in Mr. Franklin were due to the effect on him of his foreign training. At the age when we are all of us most apt to take our colouring, in the form of a reflection from the colouring of other people, he had been sent abroad, and had been passed on from one nation to another, before there was time for any one colouring more than another to settle itself on him firmly. (…) He has his French side, and his German side, and his Italian side –the original English foundation showing through, every now and then, as much as to say, ‘Here I am, sorely transmogrified, as you see, but there’s something of me left at the bottom of him still.’

Indien ist die Inspiration für viele Schriftsteller. Einige wie Collins betonen in ihren Romanen den exotischen und geheimnisvollen Charakter. Andere wie Huxley konzentrieren sich lieber auf die politischen und sozialen Probleme des Landes. Sie zeigen die Diskrepanzen, die zwischen Engländern und Indern in Bezug auf Indien herrschen.
Die Engländer verstecken weder ihre rassistischen Tendenzen noch ihre Besorgnis angesichts der Übervölkerung. Ihrer Meinung nach wäre die beste Lösung dafür die Einführung der Geburtenkontrolle. Man darf nicht vergessen, dass Malthus Theorien der vorherrschende Trend in den wissenschaftlichen Kreisen waren. Huxleys Großvater Thomas Huxley war ein bekannter Vertreter dieser Idee gewesen. Es ist eine Frau, Eleanor, die in „Kontrapunkt des Lebens“ dieses Thema aufwirft. Dem  Bedürfnis nach Krankenhäusern und Medikamenten in Indien steht die niedrige Geburtenrate der privilegierten sozialen Klassen in England gegenüber. Grund hierfür sind die Ängste der Frauen vor den Komplikationen der Geburt und ihr Wunsch, sich als Mensch zu entwickeln und realisieren. In „Kontrapunkt des Lebens“ ist Huxleys Haltung hierzu noch nicht definiert. Er wird sich aber weiter mit diesem Thema in ”Schöne neue Welt”(1932) beschäftigen. In „Wiedersehen mit der neuen schönen Welt“ (1958) wird er dann seine radikale malthusianische Auffassung zur Ende denken.
In „Schöne neue Welt“ sind „Gemeinschaft, Stabilität und Identität“ (Community, Stability, Identity) die drei wichtigsten Prinzipien, die die neue Gesellschaft bilden. Das Ideal ist die soziale Stabilität und die Asepsis. Es wird versucht, die traditionellen Merkmale des Menschen wie zum Beispiel seine Emotionalität, auszurotten. Die Zahl der Bevölkerung zu stabilisieren, ist einer der Prioritäten. („Brave New World“ Pg.5).
In seinem Essay „Wiedersehen mit der neuen schönen Welt“ wird er sorgfältiger die Gründe solcher Positionen begründen. Sie haben vor allem mit dem Mangel an natürlichen Ressourcen zu tun. Die Knappheit an Nahrungsmitteln wird die Destabilisierung der Gesellschaft provozieren. Die verschiedenen Regierungen werden gezwungen sein, mehr Autorität zu übernehmen, was für das Überleben der Demokratie ein großes Risiko bedeutet. Nur eine Gesellschaft, die die richtige Maßnahme rechtzeitig ergreift, kann friedlich unter demokratische Prinzipien weiterleben und als „schöne Welt“ bezeichnet werden.
Als Gegensatz zu dieser „schönen Welt“ zeigt Huxley die menschliche Gesellschaft.  Diese Gesellschaft ist fragmentiert und unstrukturiert. Kenntnisse und Aberglaube treten zusammen auf. Ihre Existenz hat mehr mit der von Tieren als mit der von Menschen zu tun. 
Kurz: Für die gebildete europäische Gesellschaft wird das größte Problem darin bestehen, die Knappheit an Ressourcen zu bewältigen.
Die indische Elite dagegen hat andere Kümmernisse. Das erste ist das absolute Unverständnis, das die Engländer gegenüber der indischen Kultur und ihren Traditionen zeigen. Ihr Eurozentrismus hemmt sie zu akzeptieren, dass das wichtigste Problem in Indien nicht die Übervölkerung ist. Die indische religiöse Philosophie behauptet, dass Leben und Tod sich untrennbar verbunden in einem ewigen Prozess befinden, der sich ständig wiederholt. Deshalb brauche man sich nicht viele Sorgen um Leben und Tod zu machen.
Dagegen sind für die Inder die dringenden Probleme: Der englischen Rassismus, unter dem sie leiden, so wie die Förderung der politischen und sozialen Reformen, die die demokratische Selbstbestimmung in ihrem Land aktivieren sollen.

„Point Counter Point“ (Pg. 91)But why don’t you teach them birth control, Mr Sita Ram?’ Elinor had asked (…) ‘Isn’t it the only hope for India?
Mr Sita Ram, however, thought that the only hope was universal suffrage and self-government. He went on with the station-master’s history. The man had passed all his examinations with credit; his qualifications were the highest possible. And yet he had been passed over for the promotion no less than four times. Four times, and always in favour of Europeans or Eurasians. Mr. Sita Ram´s blood boiled when he thought of the five thousand years of Indian civilization, Indian spirituality, Indian moral superiority, cynically trampled, in the person of the station-master of Bhowanipore, under English feet…
‘Is dat justice, I ask?’ He banged the table.
‘Who knows?’ Philip wondered ‘Perhaps it is.’

c)       Die Vorliebe für die Natur.
Neben der Lust auf Reisen und als Gegengewicht dazu fühlen die Mitglieder der guten Gesellschaft eine große Zuneigung zur Natur. Viele leben auf dem Land; andere wie Philip und Elinor Quarrel ziehen dorthin. Trotzdem ist Huxley der Meinung, dass diese Gewohnheit eigentlich nur für Senioren und ruhige Gestalten empfehlenswert ist. Diejenigen, die einen neugierigen und offenen Charakter haben, sollten dort lieber nur als Besuch hingehen.

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Eine Reflexion über die Politik
Obwohl die Politik immer mehr an Gewicht in der Gesellschaft gewinnt, beweist Huxleys Analyse die Unwirksamkeit der politischen Ideologien für die Lösung der dringendsten sozialen und ökonomischen Probleme. Er antizipiert auch die unglückseligen Konsequenzen, die aus der Hegemonie solcher Ideologien resultieren können. Seine pessimistischen Prognosen werden einen noch gewalttätigeren Grad erreichen als sich irgendjemand damals hätte vorstellen können. Europa wird durch Totalitarismen zerstört werden. Mit Hilfe der Technologie sind neue Waffen entwickeln worden. Ihre zerstörerische Kraft ist nicht nur lebensgefährlich für den Menschen, sondern für den ganzen Planeten. Der wilde Hedonismus - wie er sich schon in der Zwischenkriegszeit zeigte - wird zu einem Pfeiler der neuen Gesellschaft. Huxley behauptet: Promiskuität und Asketismus sind eigentlich zwei Seiten ein und derselben Münze.  Beide äußern einen tiefen Hass gegenüber dem Menschen. Der wilde und promiskuitive Hedonismus setzt sich durch, weil die technologischen Fortschritte dies ermöglichen. In der Wohlstandgesellschaft sind Anstrengung und Selbstüberwindung keine essentiellen Elemente mehr für das Überleben. Sie werden durch andere Elemente wie Anpassungsfähigkeit, Mobilität und geistige Flexibilität ersetzt. Die Konsumkraft und der Umgang mit neuen Maschinen werden die Kennzeichen der neuen Gesellschaft.
1958 vertieft Huxley in „Wiedersehen mit der neuen schönen Welt“ die sozialen Konsequenzen der Industrialisierung. Der Mensch hat aus seinen eigenen Fehlern nichts gelernt. Wie denn auch? Er hat noch nicht erkannt, worin der Ursprung der Probleme liegt. Die politischen Ideologien konnten die ernsten Konflikte ihrer Zeit nicht lösen, aber sie waren nicht ihre Ursache. Sie stecken auch nicht hinter dem Neuen. Huxleys Meinung ist, dass der wahre Schuldige an allem das Phänomen der Industrialisierung gewesen war und weiter sein würde.
Auf jeden Fall werden die politischen Ideologien weiter an Einfluss verlieren. Alle – unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung -  versuchen zu erreichen, was Huxley „Amerikanisierung“ genannt hatte. Niemand wird sich fragen wie viele natürliche Ressourcen nötig sind, um einen solchen Lebensstil zu erreichen.
Nach dem Berliner Mauerfall und Untergang des Ostblocks konzentrieren internationale Organismen immer mehr Macht. Gleichzeitig sinkt das Interesse der Bürger für den politischen Bereich. Die Programme der verschieden Parteien ähneln sich so sehr, dass es eigentlich irrelevant ist, wer die Regierung übernimmt. Ihre Unterschiede liegen in Bagatellen. Alle streben dasselbe Ziel an: Amerikanischer Wohlstand.
Ab 1980 tauchten Parteien mit ganz anderer Konzeption und Geist auf. So wurde in Deutschland die Partei „die Grünen“ gegründet. Ihre Bemühungen waren darauf gerichtet, die Bevölkerung für die Umwelt  zu sensibilisieren. Sie waren von der Hippie-Doktrin der Liebe zur Natur als Äußerung der Harmonie zwischen dem Universum und dem Menschen beeinflusst. Zum ersten Mal in der Geschichte der Politik verfolgte man die Bewahrung der Natur als prioritäres Ziel. Sie versuchten der Bevölkerung bewusst zu machen, dass der Planet Erde ein erschöpflicher Ort ist. Deshalb müssen wir ihn schützen. Die Grünen hatten verstanden, was Huxley sagte: Die wahre Gefahr liegt nicht in den Ideologien, sondern in der unkontrollierte Industrialisierung. Eine der ursprünglichen Aktionen der „Grünen“ war der Kampf gegen die Atomenergie.
Anfang der neunziger Jahre entstanden andere Art von Parteien. Ihre Programme waren teilweise so zynisch wie unhaltbar. Trotzdem weckten ihre Angriffe auf die traditionelle und konventionelle Politik große Sympathien bei den Wählern. In Spanien war eine dieser neuen Parteien „GIL“. Ihre spanische Abkürzung steht für „Unabhängige Liberale Gruppe“. Eigentlich bezog sie sich aber auf den Nachnamen ihres Präsidenten und Begründers: „Gil y Gil“. Es ist war, dass sie nicht lange existiert und nur kurze Zeit in der Kommunalpolitik regiert haben. Sie waren ständig in Korruptionsskandale verwickelt und ihre schädlichen Folgen reichen bis zu unseren heutigen Tagen. Aber die Existenz solcher Parteien zeigte die Politikverdrossenheit vieler Bürger.
Eigentlich drückten „die Grünen“ mit ihren vernünftigen und dringend notwendigen Vorschlägen ein und dieselbe Idee aus wie die zynische, populistische und demagogische „GIL“: Die alte Ideologien waren obsolet. Neue Formen organisierter politischer Gruppierungen waren unentbehrlich.
Auch die neuen Parteien, die in den letzten Jahren in Deutschland entstanden sind, folgen dieser Idee. Nur „die Linke“ hat die gewohnten Strukturen. Die anderen haben sich mehr nach dem Modell bürgerschaftlicher Plattformen konfiguriert. Ihre Ziele konzentrieren sich auf einen bestimmten politischen Anspruch. So kämpfen „die Piraten“ zum Beispiel für die absolute Internetfreiheit und die „Alternative für Deutschland“ (AfD) gegen die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung.
Auch wenn die Ideen dieser neuen Gruppen eine große Unterstützung der Wähler bekommen; sie alle haben eine Nachteil: die globale Perspektivlosigkeit der Gesellschaft und ihre Probleme in ihren politischen Programmen, weil sie sich nur um ein Thema kümmern. Die Konsequenz ist die innere Spaltung, sobald sie den Sprung ins Parlament geschafft haben. Dann müssen sie sich nämlich mit der Komplexität der politischen Probleme und zwar aller auseinander setzen; und nicht nur mit dem politischen Thema mit dem sie angetreten sind.
Ihre Existenz aber enthält einen essentiellen Trend: die Bürger sammeln sich nicht mehr (oder nicht nur) unter der Fahne der Liberalen, Faschisten, Sozialisten oder Konservativen, sondern nach konkreten und bestimmten Bedürfnissen.
All diese Gruppen werfen eine gemeinsame Herausforderung auf. Nämlich: Eine globalisierte Gesellschaft wie die unsere verlangt nach einem radikalen Wechsel der politischen Strukturen und Organisation.

Isabel Viñado-Gascón

Fortsetzung folgt …