Sonntag, 16. September 2012

FRAU UND MUTTERSCHAFT (2010) Isabel Viñado Gascón


In ihrem Buch „Ein eigenes Zimmer“ behauptet Virgina Woolf, dass die Armut die soziale und intellektuelle Entwicklung eines Menschen verhindert.

Nach ihrer Meinung liegt die Ursache für die Ungleichheit zwischen den beiden Geschlechtern in der traditionellen Geldknappheit der Frauen. Die Gründe für die Armut der Frauen erklärt sie nicht. Sie nennt die Mutterschaft und die Kinderpflege als mögliche Gründe, aber sie vertieft dieses Thema nicht weiter. Statt dessen kümmert sie sich um die Kreativität, weil dies eigentlich der Kern ihres Interesses ist.

Sie ist nicht die einzige, die für das Problem der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Frauenarbeit zu keinem Ergebnis kommt. Weder die traditionalistischen, noch die zeitgenössischen Feministinnen haben eine befriedigende Lösung gefunden.

Am Anfang des Feminismus war die Kinderlosigkeit die Lösung. In der Gegenwart sieht es nicht so aus, dass die Frau – stolz auf ihre Weiblichkeit-  sich wünscht, auf Kinder zu verzichten.

So taucht das Bedürfnis nach einem neuen Feminismus auf, der - wie schon Virginia Woolf postulierte - der Frau das Frausein erlaubt. Das schließt die Möglichkeit der Mutterschaft ein. Man soll eine individuelle Entscheidung treffen, die akzeptiert sein muss.

Der Gesellschaft ist bewusst wie wichtig dieses Thema für ihre eigene ökonomische und kulturelle Entwicklung ist. Deshalb schlägt sie ständig verschiedenen Lösungen vor, um den Konflikt zwischen Arbeit und Mutterschaft zu entschärfen.

Der größte Haken ist, dass die Kinder unter der Aufssicht anderer Leute bleiben müssen. Die richtige Person dafür zu finden, ist nicht einfach.

Die Großeltern, die einst eine wichtige Unterstützung waren, leben heutzutage entweder weit von ihren Kindern entfernt oder sie können sich nicht um alle Enkelkinder gleichzeitig kümmern.

Außerdem fühlen sie sich zu jung und kraftvoll. Sie wollen nicht auf das Vergnügen des Reisens und die Freiheiten verzichten, die für Senioren im Angebot sind.

Das heißt, dass einige Kinder zu Tagesmüttern, andere zum Kindergarten gebracht werden. Ihre Qualität hängt meistens vom monatlichen Beitrag ab. Andere bleiben zuhause bei der Putzfrau, die gleichzeitig auch das Kindermächen ist. Eine Erzieherin mit einer hohen pädagogischen Qualifikation bleibt – heute wie gestern - den wohlhabenden Kreisen vorbehalten.

 
Sobald die Kinder zur Schule gehen, bleiben sie entweder allein zuhause oder melden sich für verschiedene Aktivitäten ein, damit sie bis zur Rückkehr der Eltern beschäftig sind.

Wenn die Eltern nach Hause kommen,  sind sie zwei Erwachsene mit gutem Willen, aber erschöpft.

Trotzdem: Die Gesellschaft verlangt von ihnen, dass sie sich mit mehr Intensität als in der vorherigen Generationen um ihre Kinder kümmern.

Diese hohe Anforderung beschränkt sich nicht nur auf die Kindererziehung. Dasselbe gilt für den Haushalt oder die Beziehungen.

Dank der Elektrogeräte ist die Haushaltsarbeit einfacher geworden, aber die Ansprüche an Hygiene sind auch viel höher. Die persönlichen Bindungen beruhen nicht mehr auf der traditionellen Arbeitsteilung, sondern auf der Selbstverwirklichung eines jeden Partners. Das führt dazu, dass viele Paare sich trennen, sobald  sie keine voll befriedigende Beziehung mehr haben.

Dazu muss man hinzufügen, dass der Mangel an Arbeitsplätzen nicht selten erzwingt, eine Stelle an einem anderen Ort als dem Familienwohnsitz anzunehmen. Deshalb können viele Kinder ihre Väter oder Mütter nur am Wochenende sehen.

Alle diese Betrachtungen führen zu der Frage, ob jene Feministinnen, denen gegenüber Virginia Woolf so viel Abneigung fühlte, nicht viel realistischer waren als Woolf, wenn sie behaupteten, dass die Frauen auf ihre Weiblichkeit und vor allem auf ihre Mutterschaft verzichten müssten.

Die Probleme, die diese Themen stellen, haben keine einfache Lösung. Die Trennung zwischen Mann und Frau ruht in einem ersten Moment auf „der Möglichkeit des Werdens“.

Wie Virginia Woolf zeigt konnte der Mann studieren und verreisen, wann immer er wollte. Die Möglichkeiten der Frauen dagegen waren stark eingeschränkt, wenn nicht sogar annuliert.

Mit der Eroberung ihrer Freiheit stoßen wir in einem zweiten Moment auf das „Problem des Werdens“. Das „Ich“ tritt aus sich heraus und sich selbst gegenüber. Es verwandelt sich damit zu einem Ziel, das zu entwickeln ist. “Werden” bedeutet in diesem Sinn, sich mit seinem eigenen „Ich“ zu beschäftigen. Dieser Anspruch kollidiert allerdings mit dem Begriff der Mutterschaft, weil dort die Handlung des Werdens sich nicht nach einem „Ich“ , sondern nach einem „Du“ richtet.

Die aktuelle auf  Hedonismus und Selbstverwirklichung gegründete Gesellschaft macht es dem „Ich“ jedoch schwer, „aus sich heraus“ zu treten. Man kann nun behaupten, dass sich um ein „Du“ zu kümmern, es einschließt, das eigene „Ich“ zu entwickeln. Wir werden uns hiermit noch später befassen.  Die vorherrschende Meinung aber ist, dass Mütter, die sich zuhause um ihre eigenen Kinder kümmern, ihr Leben verlieren; nicht allerdings, wenn sie beruflich mit fremden Kinder zu tun haben: Kindererzieherin, Tagesmutter, Lehrerin, Kinderkrankenschwester und so weiter. Diesen Widerspruch könnten wir auf alle anderen beruflichen Felder erweitern.

Die Erklärung dafür ist in zwei Grundlagen unserer Gesellschaft zu finden. Nämlich das Streben des „Ichs“ nach Selbstverwirklichung und die ökonomische Unabhängigkeit, die dafür nötig ist.

Wie Virginia Woolf erwähnt hat ist Geld  das einzige Mittel, um Freiheit und Unabhängigkeit zu erreichen.

Nach diesen Prinzipien wäre eine durchführbare Lösung, um Mutterschaft mit Arbeit zu harmonisieren: Die Frau soll sich erst als „Ich“ entwickeln. Später kann sie aus sich heraus treten, um sich um ein “Du“ zu kümmern.

Das klingt ziemlich vernünftig und viele sind damit einverstanden. Das einzige Hindernis ist aber, dass ein „Werden“ immer im ständigen Aufbau bleibt. Das macht es unmöglich, genau bestimmen zu können, wann ein „Ich“  so weit „geworden“ ist, dass es sich um ein „Du“ kümmern kann.

Wenn wir die akademische Arbeitskarriere als Parameter annehmen, wird es sehr wahrscheinlich nicht vor ihrem vierzigsten Geburtstag sein. In diesem Alter aber bemerken  viele Frauen verblüfft, dass sie Schwierigkeiten haben Mutter zu werden oder sie müssen ihre Karriere, Baby und Präklimakterium in Einklang bringen.

Die Frauen sind sich dieses Problemes bewusst. Jede - nach ihren eigenen persönlichen Kriterien – gibt darauf eine verschiede Antwort.

Wir könnten diese Antworten in drei Gruppen klassifizieren. Jeder dieser Gruppen verdient dabei den Respekt sowohl der übrigen Gesellschaft als auch der jeweils anderen beiden Gruppen.

Sehen wir uns also diese drei Gruppen und ihre Positionen an:

A.    RADIKALE FEMINISTINNEN

Darunter wollen wir die Frauen verstehen, die „den Akt des Werdens“ in seiner ganzen Radikalität und Vollkommenheit zu erreichen wünschen. Hier hinein gehörten in religiösen Epochen Nonnen und Hexen. In sekulären Zeiten sind es die traditionalistichen Feministinnen gewesen.

Sie alle charakterisiert, dass sie die üblichen Weiblichkeitsmerkmale drastisch ablehnten. Sie wollten in der von den Männer beherrschten Welt ihren Platz mit maskulinem Verhalten erobern.

Man kann ihre Radikalität und Kälte kritisieren, aber auf keinen Fall kann man sie als heuchlerisch oder inkonsequent bezeichnen. Auch sollte  nicht die wichtige Rolle bestritten werden, die sie in der Geschichte des Feminismus gespielt haben und auch heute immer noch spielen: Denn sie haben die Frauen auf ihre Fähigkeiten aufmerksam gemacht und  gleichzeitig auch dazu verpflichtet, diese Fähigkeiten zu entwicklen.

In unserer Gegenwart haben sich die Feministinnen auf zwei Strömungen verteilt: die Karrierenfrauen und die sogennanten „party girls“. Die ersten konzentrieren ihre Energien auf die Arbeit; die letzteren dagegen leben für den Moment, sie wollen keine festen Bindungen, die ihre Freiheit einschränken könnten. Sie pflegen ein „Ich“, das nur für den Augenblick eingerichtet ist und nur ihn genießt.

Viele halten die „party girls“ für die radikalsten Feministinnen,  weil sie ein Verhalten aufweisen, das traditionell für Männer, aber nicht für Frauen akzeptiert war.

 

B.     HARMONISIERUNG VON FEMINISMUS UND MUTTERSCHAFT

Die meisten Frauen wollten die gleichen Chancen wie die Männer, ohne dafür jedoch auf die Mutterschaft verzichten zu müssen. Dafür haben sie verschiedene Wege ausprobiert.

1.      Virginia Woolf  - selbst kinderlos - fand in der schöpferischen Tätigkeit die Art und Weise, beide Aspekten zu vereinbaren. Dank ihr könnten die Frauen Mutter werden und Geld verdienen. Leider hat sie vergessen, dass kreative Arbeit nur in ganz wenigen Fällen ein erwähnenswertes Einkommen bedeutet sowie, dass sie viel Anstrengung und Arbeitsdosis verlangt. Deshalb müssen viele Frauen auf die Kreativität verzichten – oder sie wenigstens den familiären Pflichten unterwerfen.

Anderseits gibt es viele Frauen, die ihre Erwerbsarbeit direkt nach der Entbindung wieder aufnehmen müssen.  Ihnen fehlen nämlich die ökonomischen Mittel, um zuhause zu bleiben und eine geeignete Kinderbetreuung zu bezahlen. Solche Frauen werden es deshalb kaum akzeptieren können, dass die Existenz des „Schöpfergeistes“ ihre Situation erträglicher macht.

 

2.      Andere Alternativen - wie Experimente mit Telearbeit – haben auch viele Nachteile bewiesen. Die Arbeitszeit kann sich für die Frauen zusammen mit der Kindererziehung und der Hausarbeit leicht  auf den ganzen Tag ausbreiten.  Anderseits haben sie auch nur limitierte Entwicklungsperspektiven in ihren Job, weil sie im Unternehmen weniger anwesend sind. Ein vergleichbares Schicksal erwartet diejenigen, die Teizeitstellen haben. Aktuelle Vorschläge lauten, dass die Männer zuhause bleiben, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Die meisten Väter bezeichnen diese Situation (un)verschämt als „kreative Pause“. Einen solchen Ausdruck benutzt man nicht, wenn die Frau diejenige ist, die zuhause bleibt. Das heißt, dass im Allgemeinen die Männer ihre Kinder nur betreuen, wenn die Zeit nicht länger als ein Jahr dauert, und wenn ihre Frauen weiter für die Haushaltorganisation verantwortlich sind.

 

3.      Die traditionellen Frauenberufe wie Lehrerinnen und Beamtinnen haben gezeigt, dass sie die am meisten geigneten sind, um Mutterschaft und Weiblichkeit zu ermöglichen.

 

Trotzdem teilen alle diese Arbeitsformen einen gemeinsamen Nenner: Sie bringen in der Regel niedrigere Löhne. Außerdem weisen Frauen häufig Leitungspositionen zurück, weil sie mehr Zeit für die Familie wollen.

Zu den Hindernissen, Mutterschaft und Arbeit zu vereinbaren, kommt der externe Druck der Gesellschaft hinzu, dass die Frauen nicht ihre Weiblichkeit verlieren.

Folglich  streben die Frauen gleichsam nach der Erlangung der Perfektion. Sie wollen eine aufregende Teilzeitstelle, damit sie sich als Personen verwirklichen können. Sie kämpfen für die idealen Körpermaße. Sie interessieren sich für die gute Literatur. Sie hören Vorträge, sie besuchen Museen und kulturelle Veranstaltungen.

Kurz: Sie halten sich im sozialen, sportlichen und sexuellen Leben aktiv. Gleichzeitig sind sie auch Haushaltsorganisatorinnen und Mütter. In unseren Tagen aber verpflichtet „Mutter zu sein“ nicht nur auf eine affektive Bindung mit dem Kind, sondern auch auf eine intensive Aufmerksamkeit auf die intellektuelle und soziale Kindesentwicklung. So müssen die Frauen den Kontakt mit den Erziehern und Lehrern pflegen, die Schulhausaufgaben kontrollieren und sich um den Musik- und Sportunterricht kümmern.

Das magische Schlüsselwort, um all das zu schaffen, was die Gesellschaft verlangt, lautet: Organisation.

Der Preis, den die Frauen für diese übermenschliche Überförderung bezahlen müssen, ist der „burn out“.

Damit fühlen sie sich wieder „schuldig“. Diesmal, weil sie ihre Kräfte nicht richtig gemessen haben. So versinken viele Frauen entweder in der Depression oder in der Selbsttäuschung.

 

C.    RADIKALE MUTTERSCHAFT

In dieser Gruppe finden sich so radikale Frauen wie in derjenigen der radikalen Feministinnen, auch wenn ihre Kriterien absolut entgegen gesetzt sind.

Die Frauen dieser Gruppe haben sich für die komplette Hingabe an ihre Familien entschieden. Das hat nichts mit Unterdrückung zu tun. Wohl bemerkt: Ich habe das Wort „entscheiden“ benutzt. Gerade die Freiheit, mit der sie ihre Entscheidung getroffen haben, charakterisiert diese Gruppe. Sie werden von vielen als rückschrittlich, von anderen als verrückt und nur von ganz wenigen als Heldinnen bezeichnet. Auf jeden Fall bilden sie eine Gruppe, die zur Minderheit geworden ist.

Es gibt gute Grunde dafür. Die Beziehungen zwischen Frauen und Männer sind nicht mehr „bis der Tod Euch scheidet“, sondern bis die Leidenschaft erstirbt. Die Arbeitswelt ist ungewisser geworden. Die Kindererziehung muss immer besser sein und folglich teurer. Und letztlich sind diese Frauen zu sozialer Einsamkeit verdammt, wenn nicht gar zu sozialer Ablehnung.

Dies bringt es mit sich, dass die Frauen immer weniger zuhause mit ihren Kindern bleiben können. Wenn sie sich trotz all dieser Schwierigkeiten dafür entscheiden, folgen sie einer persönlichen Berufung. Diese hat denselben Verpflichtungsgrad und dieselbe Intensität wie eine religiöse Berufung.

SCHULßFOLGERUNG

Die Frau, die heutzutage überlegt, Mutter zu werden, muss zuerst – einerlei ob als Karrierefrau, mit einer Teilzeitstelle oder als „Nur-Hausfrau“ – abwägen, wieviel Kraft sie hat.

Es gilt zu verhindern, dass die Frau überfördert ist. Das schadet nicht nur ihr selbst, sondern auch ihrer Familie und der Gesellschaft im Allgemeinen. Unabhängig davon, welche Option eine Frau wählt, ist es wichtig, sich bewußt zu sein, was Mutterschaft bedeutet:

a)      Eine Beschränkung der Entwicklung ihres eigenen „Werdens“.

b)      Mutterschaft ist immer tragisch. Einerseits treffen in der Mutterschaft zwei entgegen gesetzte Interessen aufeinander: Das Interesse eines schon existenten „Werdens“ und das Interesse eines „Werdens“, das gerade anfängt zu sein. Anderseits sind beide „Werden“ sind durch die absolute und tiefeste Liebe, die es geben kann, gebunden.

Meine Schlußfolgerung nach alle diesen Betrachtungen ist, dass Geld bei diesem Thema eine sehr wichtige Rolle spielt. Je besser die wirtschaftliche Situation eine Frau ist, desto mehr Chancen hat sie, Mutterschaft und Karriere zu harmonisieren.

Wie der große spanische Dichter Quevedo schon vor Virginia Woolf sagte:

 

„Ein mächtiger Edelmann ist Herr Geld“

 („Poderoso Caballero es Don Dinero“ )

Bis zur nächsten Woche!
Isabel Viñado-Gascón.







 

 

 

 

 

 

 

 

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