Donnerstag, 23. August 2012

„FEINDE, DIE GESCHICHTE EINER LIEBE“ (1973) Isaac Bashevis Singer


Der Jude Herman Broder ist ein apathischer und phlegmatischer Mann, der der Naziverfolgung dank Yadwiga, einer katholischen, polnischen Bauerin entkommen ist. Sie hat ihn bis zum Ende des Krieges auf einem Heuboden versteckt gehalten. Nach dem Krieg erfährt Herman, dass seine Frau und seine beiden Kinder umgebracht worden sind.
Er heiratet Yadwiga. Sie liebt ihn. Er ist ihr nur dankbar.

Beide emigrieren nach New York. Dort findet Herman eine Geliebte: Mascha. Mascha ist eine Jüdin, die von ihrem Mann getrennt lebt, aber nicht geschieden ist.
Die Geschichte wird noch komplizierter als plötzlich Tamara, Hermans erste Frau, erscheint. Sie ist nicht gestorben. Die Kinder dagegen haben den Krieg nicht überlebt. Sie versucht, eine neue Existenz ohne Herman anzufangen. Der Schmerz als Mutter und die Einsamkeit als Frau haben sie zerstört. Wenn sie am Leben bleibt, dann nur, weil sie eine innere Kraft am Leben hält. Diese Kraft treibt sie an, weiter zu gehen.

Das Ende des Buches ist zwar unerwartet, aber doch verständlich. Die zwei Ehefrauen tun sich zusammen. Tamara eröffnet eine jiddische Buchhandlung und Yadwiga kümmert sich um den Haushalt und das Kind, das sie von Herman bekommen hat. Mascha bleibt allein. Herman macht sich aus dem Staub, um nicht entscheiden zu müssen, mit welcher Frau er bleibt und vor allem, um sich dem sexuellen Einfluß seiner Geliebte zu entziehen.

Soweit die Geschichte.

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Zwischen den Zeilen kann man auch in diesem Buch eine in Singers Werk insgesamt zentrale Idee herauslesen: Die prinzipielle Untauglichkeit des Mannes für das Leben.  Deshalb muss die Frau die Organisation des Alltäglichen übernehmen. Die einzige Leistung des Mannes ist sein Beitrag zur Fortpflanzung. Nicht alle Frauen sind allerdings gleich und nicht alle beeinflussen die männliche Existenz auf die selbe Art und Weise und mit der selben Intensität.
Aus Singers Büchern können grosso modo drei Gruppen weiblicher Charaktere heraus kristallisiert werden.

-          Die „sensuellen“ Frauen: Mascha gehört zu dieser Gruppe. Sie steht für die sinnliche Liebe und Leidenschaftlichkeit.

-          Die „materiellen“ Frauen: Frauen, die wie Yadwiga besonders für die physische Arbeit geeignet sind. Sie sind von kräftiger Konstitution und nicht sonderlich intelligent. Sie zeichnen sich durch ihre natürliche Güte und ihr Verständnis gegenüber den anderen aus. Sie personifizieren so die Opfer der Liebe wie die Kraft des Lebens und seine Kontinuität. Sie sind die fruchttragenden Bäume des Lebens.

-          Die „intellektuellen“ Frauen: Sie transzendieren die beiden anderen Gruppen. Sie verkörpern wie Tamara Frauen, die sich über den Tod stellen und ihn überwinden. Sie sind in der Regel einsame und selbstgenügsame Frauen. Sie brauchen die Männer noch nicht mal für die Fortpflanzung. Sie sind so vollkommen, dass sie nicht die Mutterschaft benötigen, um sie sich als Person zu verwirklichen. Sie sind die Halt gebenden Wurzeln der fruchttragenden Bäume des Lebens.

 

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Die „sensuelle“ Frau bedeutet das Verderben des Mannes. Wegen ihrer wollüstigen und launischen Konstitution ist sie letztlich die Feindin jeder Liebesgeschichte. Sie ist kinderlos wie die „intellektuelle“ Frau, aber im Unterschied zu jener baut sie nichts auf und zerstört alles.

Der Mann ist sich der Gefahr bewußt, die eine solche Frau darstellt. Seine Schwäche hindert ihn aber daran, sich aus den Verstrickungen ihrer tödlichen Anziehungskraft zu befreien.

Die einzigen zwei Frauentypen, denen die Männer vertrauen können, sind die „materielle“ und die „intellektuelle“ Frau. Außerdem bilden beide zusammen ein perfektes Tandem. Die erste trägt Kraft und Leben bei; die zweite stützt und erhebt letztere.

Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass Yadwiga und Tamara sich für ein gemeinsames Leben entscheiden. Die beiden anderen Hauptfiguren: Herman, der apathische Mann und Mascha, die „sensuelle“ Frau verlieren sich auf getrennten Wegen, ohne dass der Leser die Auflösung ihrer Schicksale erfährt.

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Das männliche Geschlecht erscheint in Singers Werk als durch das weibliche Geschlecht – im guten wie im schlechten Sinne - beherrscht. Der Mann ist nicht Jäger, sondern der Gejagte. Paradoxeweise überwiegt diese Idee in machistischen Gesellschaften häufiger als in Gesellschaften, in denen die Frauen eine bessere sozioökonomische Position genießen. Und all das unter dem Motto: „Armer Mann, diese Hexe hat ihn verführt“.

Ein solcher Diskurs widerspricht nicht dem Leitgedanke einer machistischen Gesellschaft. Solche Sätze bedeuten eigentlich, dass die Frauen vermeintlich charakterlos sind und nur durch Trickserei ihre Wünsche erfüllen und ihre Existenz absichern können. Für die Männer ist die eine oder die andere Frau gleichgültig.

Ein solches Modell verhindert nicht nur, dass die Frau frei ihren Mann wählen kann, sondern auch, dass sie wegen eigener persönlicher Charaktermerkale gewählt sein kann. Eine Frau trägt in sich selbst nichts Besonderes, das sie von anderen unterscheidet - außer vielleicht Externalitäten wie Schönheit und Reichtum. Alle Frauen sind gleich tugendhaft und alle sind gleichermaßen angepasst an die Gesellschaft, in der sie leben, sonst würden sie ausgestoßen.

In den traditionellen Gesellschaften erscheinen zwei Arten von Frauen: Die „Tugendhaften“ und die „Nicht-Tugendhaften“. Dabei bezieht sich „tugendhaft“ in einem ersten Moment auf das sexuelle Verhalten der Frau und nur in einem zweiten Moment auf andere moralische Werte.

Die Treue der verheirateten Frau garantiert den sozialen Frieden, weil sie die „Konkurrenz“ zwischen Jägerinnen verhindert und sie darauf verpflichtet,  sich auf ihre eigene Familie zu konzentrieren, damit diese erfolgreich wird. Auf den Mann kann sie sich wegen dessen schwacher Natur nicht verlassen. Jede andere Frau könnte ihn ja „verführen“.

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Singer zeigt aber – wie wir gesehen haben – noch einen dritten Frauentyp: die „intellektuelle“ Frau.

Auf keinen Fall ist dieser Typus neu. In der Geschichte haben sich solche Frauen eher abseits der Gesellschaft gehalten – oder sie wurden abseits gehalten. Im Mittelalter waren Repräsentantinnen dieses Typus so verschiedene Frauen wie Hexen und Nonnen.

Unsere moderne Kultur hat den intellektuellen Fortschritt und die Beteiligung der Frau in der Öffentlichkeit gefördert. Im Gegensatz zu vergangenen Jahrhunderten müssen die Frauen, die sich für die Wissenschaft und „männliche“ Berufe interessieren, weder ins Kloster eintreten noch Angst vor dem Scheiterhaufen haben.

In der machistischen Ideologie weiß der Mann nicht genau, wie er gegenüber diesem Frauentyp reagieren soll. Er fühlt sich hilflos vor diesen Frauen, die mutig genug sind, sich als Seinesgleichen zu verstehen.

Die Rache des Mannes, die Rache auch des Schrifstellers Singers, besteht darin, ihnen zu entziehen, was traditionell die Weiblichkeit charakterisiert: die Mutterschaft. Selbst Tamara, die Kinder hatte, verliert sie und bleibt kinderlos.

Die einzige Frau, die aus machisticher Sicht in Betracht kommt, um Kinder zu erzeugen ist die tugendhafte „materielle“ Frau. Dem Mann ist bewußt, dass er nur eine Fortpflanzungsrolle erfüllt. Wenigstens will er aber entscheiden, wer die Gefäße der künftigen Generationen sind. Aus seiner Sicht dürfen weder die „sensuellen“ Frauen mit ihrem moralischen Elend noch die „intellektuellen“ Frauen mit ihrer beunruhigenden überlegenen Geisteskraft Mütter werden.

Singer stellt jeder Frau frei, ihren eigenen Weg zu wählen. Die Türen sind offen. Die männliche Rache aber erscheint in dem Moment, in dem er die Mutterschaft nur der „materiellen“ Frau erlaubt. Denn sie sind die Frauen, die zum Selbstverzicht bereit sind, um  sich um andere zu kümmern.

Hat Singer recht oder müssen Feministinnen gegen seine Bücher ankämpfen? Handelt es sich um literarische Freiheit, die der Autor sich erlaubt hat, oder um Libertinage der Schreibfeder? Stellt Singer eine Wirklichkeit vor, die die Gegenwart zu verstecken versucht, und von der niemand sprechen möchte, oder ist das Buch das Produkt der uneingestandenen männlichen Ängste angesichts der verlorenen Hegemonie als Mann?

Carlota Gautier, meine beste Freundin, war fünfzehn Jahre als ihr Vater sich eines Tages mit ihr über ihre Zukunft unterhielt. Seiner Meinung nach musste Carlota zuerst grundsätzlich entscheiden, ob sie arbeiten oder heiraten wolle. „Beides zusammen geht nicht“, sagte er und fügte hinzu: „Die Unternehmen gehen bankrott und die Familien brechen auseinander.“

Auch wenn dies hier nicht der richtige Ort ist, das Leben meiner Freundin und ihres Vaters zu vertiefen, seien Sie versichert: Die Worte von Carlotas Vater hatten ihren Grund in tiefster Liebe... gestützt auf seine eigenen Überzeugungen.

Es wäre vielleicht nicht schlecht zu erfahren, was die Frauen in der Literatur über dieses Thema denken. Ich werde das in meinen nächsten Blogeinträgen vertiefen.

Bis zur nächsten Woche!

Anton von Thaler

 

 

 

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