Das Thema ist extrem
schwierig und unter den gegenwärtigen Umständen ganz besonders, würde ich
sagen. Das Problem ist nicht nur, dass das Coronavirus unsere Schwäche vor der
Krankheit und dem Tod zeigt. Auch die wirtschaftliche Krise verpflichtet uns zu
einer Reflexion. Aber vor allem die Krise in der Gesellschaft, die eigentlich
die Krise der Gesellschaft selbst ist, treibt mich persönlich in die Konfusion.
Die Krise der Gesellschaft konfrontiert uns mit etwas, was ich selbst nie als möglich
erwogen hätte: die Ausnutzung und die Entleerung der Menschenrechte, um die
Demokratie zu destabilisieren. Man kämpft für die Frauenrechte in Westen, nicht
dort wo die Frauen keine Rechte haben. Man kämpf für die Kinderrechte im
Westen, nicht dort, wo die Kinder keine Rechte haben. Man lässt unsere Jugend
gegen Windmühlen kämpfen, und ich frage mich, ob sie ihre Kräfte behalten
werden, wenn die Stunde des Kampfes gegen den richtigen Riesen kommt.
Warum ist es schwer über die
Bedingungen des Fortschritts zu schreiben?
Weil es schwierig ist, die Gedanken
einzuordnen. Es ist schwer das Wissen zu strukturieren, die Situation zu
analysieren ohne in Defätismus oder Utopie zu verfallen, Argumente aufzubauen
mit der notwendigen Nüchternheit und Bescheidenheit, die man braucht um
kritische und ehrliche Urteile zu konfigurieren.
Die Frage ist da: Bedingungen des
Fortschritts.
Und bevor wir eine Antwort
gefunden haben, bekommen wir schon neue Fragen:
„Was ist Fortschritt?“ Ist
Fortschritt das Synonym für Wohlstand? Ist Fortschritt ein Synonym für die
Anzahl von Patenten? Ist Fortschritt ein Synonym für Gerechtigkeit, für das
Niveau der sozialen Moral in einer Gesellschaft?
„Wohin mit dem Fortschritt?“ Um
neue Menschenarten zu schaffen? Um das Universum zu kolonisieren? Um besseren
Gesellschaften zu erreichen? „Was ist „eine bessere Gesellschaft“? Ist es das
eine ökologische Gesellschaft, oder eine industrielle Gesellschaft? Ist das
eine Gemeinde oder eine globale Gesellschaft? Eine Gesellschaft der Humanisten
und Philosophen, oder eine Gesellschaft der Wissenschaft? Warum sollte eine
Gesellschaft der Wissenschaft auch eine Gesellschaft der Philosophen sein? Wozu
braucht die Wissenschaft den Humanismus und die Philosophie mehr als die
Ergebnisse? Im Wettlauf um eine Impfung gegen das Coronavirus sind viele
ethische Tabus gebrochen, - habe ich gehört.
Aber bleiben wir bei unserer
Frage:
„Welche Bedingungen sind nötig
für den Fortschritt?“
Albert Schweitzer in seinem Buch "Kulturphilosophie, Verfall und Wiederaufbau der Kultur. Kultur und Ethik" nennt zwei
Bedingungen: Optimismus und Ethik.
Eigentlich sind diese zwei
Bedingungen das Gegenteil von dem, was Nietzsche behauptet. Nietzsche
kritisiert den sokratischen Optimismus und er plädiert für eine Inversion der
Werte. Hat er wirklich eine Inversion der Werte verteidigt, oder eher eine
Rückkehr zu einer neuen Ehrlichkeit, dem Beispiel jener frühen christlichen
Sekten, die eine Rückkehr zu der Wahrhaftigkeit der ersten christlichen
Gemeinden predigen? Aber dieses Thema möchte ich jetzt nicht vertiefen.
Eigentlich ist das gleichgültig. Mit
oder ohne Nietzsche diese Inversion war schon da. Es hatte mit der Inversion
des deutschen Idealismus zu tun. Die Inversion des deutschen Idealismus hat den
nihilistischen Materialismus erzeugt.
Immer muss ich mich fragen, ob
Hegel der größte Philosoph aller Zeiten ist, oder eher der „Antichristus“ der
Philosophie. Er hat die Philosophie bis auf den letzten Tropf ausgepresst. Er
hat auf die guten Ratschläge Kants nicht gehört. Kant der Vernünftige Anspruch
gewarnt, das Ding an sich zu erkennen, weil es einfach unmöglich war es mit den
Kenntnissen zu erreichen; es war unmöglich das Ding an sich in das Ding für uns
zu verwandeln. Das Noumenon würde immer
wie ein unerreichbarer Kern bleiben. Aber Hegel der Panphilosoph aus
Württemberg wollte unbedingt die letzte geschlossene Tür öffnen, und glaubte
die richtige Methode gefunden zu haben. Ob er das Ding an sich erreicht hat,
ist zweifelhaft. Was er aber geschafft hat ist die Tür der Inversion zu öffnen,
die Tür zum dialektischen Materialismus, und damit jene Tür zu öffnen, die zum
Nihilismus führt.
Hegels Erklärung des Endes der
Geschichte bedeutet auch das Ende der Philosophie. Nicht das Ende der
akademischen Philosophie ist damit gemeint, sondern das Ende der „Philosophia
Perennis“, die auch Hermetische Philosophie genannt wird. Entgegen dem
oberflächlichen Vorurteil vieler Leute hat die hermetische Philosophie mit Esoterik
oder Spiritualismus oder mit Spiritismus nichts zu tun. Die hermetische
Philosophie ist die Grundlage, (das Grundwasser sozusagen) der akademischen
Philosophie. Sie bildet die Trägersicht der akademischen Philosophie, der
„oberflächlichen“ Philosophie, der sichtbare Philosophie.
Die hermetische Philosophie, die
Philosophia Perennis, hatte den Mensch mit dem Universum, mit den höheren
Kräfte des Universums verbunden.
Die Existenz diese höheren guten
Kräfte bedeutetet die Existenz der unteren bösen Kräfte. Die Kräfte waren, in
der Tat überall aber nicht jede Kraft hatte dieselbe Natur. Der Mensch musste
achtsam werden. Fortschritt bedeutete die Entwicklung dieser Achtsamkeit. Deshalb
war diese „Selbstachtung“ („Achtsamkeit“) als erste Bedingung des Fortschritts
so wichtig.
Nehmen wir Dante zum Beispiel.
Dante geht in die Hölle. Aber
seine Reise ist mehr eine Reise nach vorne als eine Reise in den Fortschritt.
Er geht in die Hölle, um so schnell wie möglich dem Horror der Hölle zu
entfliehen. Dantes Richtung geht nach vorne und nach oben.
Passen Nihilismus und Fortschritt
zusammen? Können beide Begriffe zusammen koexistieren?
Wiedermal klingt die alte Frage
an: „Was ist Fortschritt?“
Wiedermal zeigt die deutsche
Sprache ihre bildliche Kraft.
Fortschritt: Fortschreiten, ein
Schritt fort.
Ein Schritt fort, ja. Aber wohin?
„Ein Schritt fort“ ist etwas
anderes als „ein Schritt nach vorne“. Wenn man einen Schritt nach vorne macht,
weißt man genau die genommene Richtung.
Aber was ist, wenn man einen
„Schritt fort“ macht?
In diesen Fall ist die Richtung
noch nicht entschieden.
Hegel hat die Kiste der Pandora
geöffnet. Sein Versuch (und seine Versuchung) nach „vorne zu gehen“ hat die
Inversion des Idealismus in Materialismus ermöglicht. Das Materialismus
bedeutet durch die Materie zu dringen, in die Materie zu geraten, die Materie zu
durchbohren. Immer tiefer, zu einer immer dunkleren Kammer bis es kein Licht
mehr gibt. Noch nicht mal Materie. Der Geist ist zuerst Materie geworden und
dann Nichts geworden. Der Geist ist gespenstisch geworden. Was ist ein
Gespenst? Etwas dass ohne richtiges Bewusstsein, ohne richtiges Sein, existiert.
Nichts und Etwas gleichzeitig. Das ist eigentlich Nihilismus: der Ort wo „Sein“
und „Nichtsein“ sich vereinen und das Chaos erzeugen. Nach dem Nihilismus „tot
zu sein“ ist eine Situation und in diese Hinsicht „tot zu sein“ ist schon
etwas. Nihilismus verdammt im selben Maß zur Freiheit, wie ein Gespenst zum
Leben verdammt ist. Nihilismus ist das Bewusstsein, dass das Leben Nichts ist,
deshalb ist Nihilismus ein Leben im Tode: weil Nihilismus das Leben wie ein
Gespenst verbringt. Nihilismus verdammt zur Freiheit. Freiheit ist keine
Befreiung mehr. Wie könnte ein Gespenst frei sein? Das Gespenst findet keine
Ruhe, keine Befreiung in der Tat, in der Aktion, in der Handlung. Niemals ist
es befreit, niemals ist es zufrieden, niemals finde es Frieden. Niemals kann es
sich sehen. Das Gespenst kann sich sie nie im Spiegel sehen. Das ist eine
extrem wichtige Information. In der hermetischen Philosophie deutet der Spiegel
auf das Wort „spekulative“. „Spekulative“ komm von lateinischen Wort:„speculum“
(„Spiegel“).
Das Gespenst kann sich nicht
sehen, weil es kein richtiges Bewusstsein hat. Deshalb kann es auch nicht
richtig „sehen“ was von ihm ausgeht. Das Einzige, was es sehen kann sind Effekte,
Konsequenzen, Tränen, Lachen… Das Theater, etwas in Szene zu setzen ist immer
dabei. Das Gespenst ist frei sich durch das Schloss
des Lebens zu bewegen, aber diese Freiheit ist nur ein Herumstreichen, ein Vagabundieren,
ein Herumhängen.
Dante tritt ab.
Auftritt Freud.
Freud versucht zu erreichen, was
früher Dante gemacht hatte. Aber Freud will nicht nur einen Besuch in der Hölle
abstatten, als Warnung gegen das, was passieren wird, wenn jemand dort
eingeschlossen bleibt. Freud ist ein aufgeklärter Mensch. Er will mehr, viel
mehr als Dante erreichen. Er will der Zerstörer der Hölle werden. Er will die Hölle aufzuräumen, damit es keine
Hölle mehr gibt. Er will die Hölle abzuschaffen, damit das Leiden endlich
verschwindet. Was er eigentlich versucht ist
der Erlöser des Gespensts zu werden!
Freud ist der neue Messias.
Leider hat er keinen Erfolg. Freud
kennt das Leiden der Hölle, das religiöse Leiden, aber er kennt nicht das
Leiden des Nihilisten; er kennt nicht das Leiden des Gespenstes. Er kann sich
nicht das Schlimmste vorstellen. Dass nämlich das Gespenst dortbleiben will, wo
es ist. Das Gespenst will nicht erlöst werden. Das Gespenst will eigentlich, dass
die anderen Bewohner des Schlosses des Lebens auch Gespenster werden. Das
nihilistische Gespenst fühlt sich immer allein. Deshalb gibt es in der
Kollektiven Masse immer etwas Gespenstisches, etwas Nihilistisches. („Brodeck´s
Report“ von Philippe Claudel)
Die Abschaffung der Hölle, die
Reise nach oben bleiben als Utopie. Dem Gespenst passiert, was viele Gefangene
passiert, wenn sie zu lange in der Gefangenschaft gewesen sind: Sie empfinden
die Hölle als ihr wahres Zuhause. Deshalb wollen sie nicht mehr weg. Das
Gespenst bleibt da unten; in der Hölle mit seinen Traumata; als dem einzigen
Ort, der verständlich für es ist.
Fortschritt.
Fort von dieser Gefangenschaft zu
gehen.
Fort von dem gespenstischen
Zustand zu gehen.
Man kann die Hölle nicht
abschaffen. Nicht als Mensch.
Man kann fort gehen: nach oben.
Fort vom Nihilismus. Fort vom
Nichts.
Optimismus, als erste
Bedingung für den Fortschritt, weil Pessimismus nur nützlich ist, wenn man selbst
starker als dieser ist.
Optimismus: Auch wenn es eine
Hölle gibt, und gerade, weil es eine Hölle gibt, gibt es einen Himmel.
Da es eine Hölle gibt, gibt es auch
einen Himmel, und weil der Mensch nach Abbildung Gottes gemacht ist, können
wir, - auch wenn wir nicht ganz die Hölle zerstören können - den Himmel auf
Erde erweitern.
Ethik: Es gibt „schlechte Taten“
und „guten Taten“. Es gibt zwei Richtungen: eine Richtung „nach unten“ und eine
andere Richtung „nach oben“. Die Ethik (die Ethik von der sokratischen Antigona) befreit uns von der
Tyrannei der anderen Menschen, von der Tyrannei des Gespenstes.
Ethik verdammt uns nicht zur
Freiheit. Ethik verpflichtet uns zur Freiheit. Freiheit zu wissen, zu denken,
zu reflektieren, zu entscheiden, zu handeln. Aber Ethik verpflichtet uns auch
vor allem zur Ehrlichkeit. Ehrlichkeit zu unserem Wissen, zu unserem Denken, zu
unseren Reflektionen, zu unseren Entscheidungen und Handlungen.
Erste Axiom: Nötig ist ein erstes
Axiom, höher und größer und besser als wir selbst, als Referenz, als Leuchtturm
in der Nacht. Ob diese Richtung nach oben, direkt oder spiralförmig nach oben
geht ist nicht das Wesentliche. Die Wahrheit zählt hier nicht so viel, wie der
lebendige und ehrliche Glaube. Ein Glaube, der nicht eingeschlossen bleiben
kann, aus dem einfachen Grund, dass es ein lebendiger Glaube ist. Nihilistische
Materialismus ist ein erstes Axiom, an das viele mit einem lebendigen Glauben, glauben.
Leider verhindert dieses erste Axiom den Fortschritt nach oben, wie wir schon
gesehen haben. Der nihilistische Materialismus als Erste Axiom zieht direkt
nach unten.
Aber der Nihilistische
Materialismus ist im Moment das erste Axiom. Die Konsequenzen sind fatal. Die technologischen
und materiellen Fortschritte sind das alleinige Synonym für Fortschritte
geworden. Deshalb sollen die technologischen und materiellen Fortschritte
erreicht werden, kostet es was es wolle.
Warum?
Bedeuten technologische
Fortschritte einen wahren Fortschritt?
Die „Philosophia Perennis“ hat
von den ersten Wissenschaftlern: Magier und Alchimisten, ein reines Herz
verlangt, weil sie wahrscheinlich ganz genau wussten, dass die Maschinen, die töten
können mächtiger sind als die Maschinen, die das Leben retten.
Was ich im Moment sehe, sind Wissenschaftler,
die kaum Zeit haben sich um die letzten Fragen des Lebens zu kümmern, weil sie
sich um die Ergebnisse kümmern sollen. Der Wettlauf um die Impfung gegen das
Coronavirus bedeutet nicht nur eine Wettlauf um die national Ehre, auch nicht
einen Wettlauf um das Geschäft, sondern hat auch viele Tabus in den Standards
bei Versuchsreihen gebrochen.
Was ich beobachte ist nicht die
Sorge um das Denken, sondern die Beschäftigung mit den Entwicklungen von
Strategien.
Was ich sehe, ist nicht eine
Entfremdung zwischen Menschen und Technologie, sondern das Streben des Menschen,
Roboter zu werden.
Was ich merke ist, dass die
Gesellschaft immer weniger eine Gesellschaft ist und immer mehr ein System.
Aber das System funktioniert nicht richtig, weil der Mensch immer noch
menschlich, zu menschlich ist. Deshalb soll der Mensch Roboter werden: damit
das System besser funktionieren kann.
In Moment ist meine Sorge, dass
die Gesellschaft ihre Werte erschöpft, in derselben Art und Weise in der Hegel
die hermetische Philosophie, die Philosophia Perennis, erschöpft hat: weil die
Gesellschaft ihre Werte bis zum letzten Kern durchbohrt. Der Idealismus hat das
Gegenteil dessen erreicht, wonach er suchte.
Meine Sorge ist das die aktuelle Gesellschaft ihre Werte entleert, dass
nicht die perfekte Zivilisation erreicht, sondern die perfekte Barbarei entwickelt
und ein anscheinend gut funktionierendes System bekommt.
Ich komme schon zum
Ende. Ich weiß nicht, ob mein Gedanke interessieren. Vielleicht hätte ich
lieber schweigen sollen...
Isabel.
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