Dienstag, 17. April 2012

„ONKEL WANJA“ (1896) von Tschechow


In dem Theaterstuck “Onkel Wanja” von Tschechow, finden wir dasselbe Thema wie in “Ein großer Mann” von Philippe Soupault: der Sinn der Existenz und der Einfluss der leeren und gleichgültige Seelen auf die Leben der anderen.

In Soupaults Buch brauchen sich Aktivität und Inaktivität gegenseitig als entgegengesetzte Pole, die sich gegenseitig anziehen. Nächste Woche werden wir über dieses Buch sprechen.

Bei Tschechow ist es anders. Für ihn haben die leeren Seelen keine Tugend oder positive Kennzeichnug. Sie sind keine Motoren, die etwas bewegen ohne bewegt zu sein. Sie können keine Energiezentren bedeuten. Eher das Gegenteil: Sie sind egoistische Seelen. Sie sind unfähig, etwas für die Anderen zu empfinden. Und am Ende schleppen sie den Anderen zur Hölle, zum Nichts, zu derselben existenziellen Sinnlosigkeit, in der sie leben. Wenn wir sie in unserer Nähe leben lassen, sind wir verdammt.

Die leeren Seelen stecken mit ihrer Inaktivität an. Nur wenn wir uns von solchen Seelen entfernen, können wir zur Arbeit zurückkehren.

Die Fragen, die dieses Theaterstuck stellt, sind:

Wozu leben?
Wozu arbeiten?

                 Wir sollten aber zuerst zwei Sätze analysieren.

Der erste Satz lautet:

“Wenn Gott gestorben ist, ist alles erlaubt”

Humanisten wie Dürrenmatt bemerken zu diesem Satz: Es ist nicht wahr. Wenn Gott gestorben ist, ist trotzdem nicht alles erlaubt, weil es einen Mensch und eine Natur gibt. Man muss den Menschen und die Natur respektieren .

Aber Tschechow interessiert sich nicht für diesen Satz, wenigstens nicht direkt. Seine Antwort gilt für einen anderen Satz.

“Wenn Gott gestorben ist, hat nichts einen Sinn”

Gerade gegen diesen Satz kämpft Tschechow. Er meint, solches zu behaupten ist, nicht nur falsch, sondern gefährlich, weil das die Zerstörung des Menschens bedeutet.

Sogar wenn wir in der tiefsten Dunkelheit sind, bleibt etwas an Wert: die Arbeit. Die Arbeit ist so fundamental für Tschechow wie die Menschheit (Humanitas) für Dürrenmatt. Etwas ähnliches sagt Tolstoi in der “Kreutzersonate”, wenn er schreibt, dass der Tod nur Sinn hat, wenn wir kein Ziel haben. Aber wenn wir ein Ziel haben, ist es eine Katastrophe, sterben zu müssen.

Auf jeden Fall haben beide Antworten - die von Dürrenmatt und von Tschechow - einen gemeinsamen Punkt: Der Mensch mit oder ohne Gott hat einen Wert in sich selbst, einfach weil er ein Mensch, ein Lebenswesen, ist.

Aber Tschechow geht viel weiter als die Humanisten. Die reine Existenz bedeutet gar nichts oder  auf jedenfall ganz wenig. Die reine Existenz gibt dem Menschen den selben Status und das selbe Niveau, das die anderen Lebenswesen auch haben. Deshalb kritisiert Tschechow die Gefühllosigkeit der Menschen gegenüber der Natur: weil die Natur aus Lebewesen besteht, die  genau wie die Menschen Recht auf das Leben haben.

Was den Menschen von der Natur unterscheidet ist die Arbeit.

Nach Dürrenmatts Meinung, wenn Gott gestorben ist und alles erlaubt ist, gibt es trotzdem noch etwas, das nicht erlaubt ist: die Zerstörung anderer Lebewesen.

Tschechow meint, wenn Gott gestorben ist, dann gibt es noch etwas, das Wert hat: die Arbeit. Die Arbeit gibt unserer Existenz einen Sinn. Tschechow gibt keine moralische Antwort. Seine Antwort ist rein existenziell. Er geht auf die Suche nach etwas, das Sinn haben kann, wo es keinen Sinn gibt.

Das Theaterstück spricht ein weiteres Problem an: Was passiert, wenn jemand für etwas Sinnloses arbeitet; für etwas, das sich mit den Jahren als etwas Sinnloses erweist, als ein bloßer Verbrauch der eigenen Energien? Was passiert, wenn jemand plötzlich merkt, dass sein Leben unnütz war, wegen eines Ideales, das kein richtiges Ideal war? Was passiert, wenn dieser jemand merkt, dass wenn er seine eigene Energien anders benutzt hätte, sie anderswo hin dirigiert hätte, sein Leben nutzbar oder nutzbarer gewesen ware?

 Das Stück stellt dem Leser vor allem zwei Fragen.

Welche Folgen verursachen die leeren Existenzen, die Tschechow beschreibt und wie kann man gegen sie ankämpfen?

Was passiert, wenn die Samen in dürre Erde fallen?

Die Antwort von Tschechow ist immer einunddieselbe: Arbeiten.

Auch wenn die Arbeit keinen Erfolgt hat oder nicht belohnt worden ist, ist es nötig, weiter zu arbeiten. Die Arbeit ist ein Ziel in sich selbst. Der Mensch entscheidet, was er macht, und für wen er das macht.

Wenn jemand merkt, dass seine Arbeit sinnlos ist, muss er einen Ausweg suchen.

Entweder er wechselt seine Aktivität oder er bleibt bei ihr. Das kommt darauf an, wie mutig er ist. Trotzdem ist es besser eine sinnlose Arbeit zu machen als gar keine. Die Arbeit schafft es, dass wir vergessen, dass es kein Gott gibt. Am Ende unseres Lebens gibt es - wie Astrow aus “Onkel Wanja” sagt - kein Licht.

Tschechows Pessimismus ist ständig präsent. Er zeigt die Entzweiung mit der Natur und die Undankbarkeit derer, denen wir geholfen haben.

Trotzdem gibt es etwas, was uns immer und immer wieder retten kann: die Arbeit.

Bis nächsteWoche!
Isabel Viñado Gascón

 

 


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